LSBTI+ im Fußball - "In der Verbandsspitze wird Diversität in keiner Weise abgebildet"

Di 31.05.22 | 14:55 Uhr
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Eckfahne in den Regenbogenfarben
Bild: imago images/Michael Weber

Christian Rudolph leitet die Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt des DFB. Im Gespräch berichtet er von Problemen, denen sich die LSBTIQ+-Community im Fußball gegenübersieht - und welche Fortschritte die Anlaufstelle bewirkt hat.

rbb|24: Herr Rudolph, in diesem Monat hat sich Jake Daniels vom englischen Zweitligisten FC Blackpool als erster aktiver Profifußballer in Europa öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt. Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie davon erfuhren?

Christian Rudolph: Ich war überrascht, denn das hat keiner erwartet. Mich freut jedes Coming Out für den Menschen, der den Schritt macht. Dass Jake Daniels einen Weg gefunden hat, sich direkt am Anfang seiner Karriere outen zu können, kein Geheimnis mehr mit sich herumtragen zu müssen, das freut mich für ihn - und auch, dass er darin offenbar auch von seinen Teamkollegen unterstützt wird.

Was kann dieser Schritt im Fußball bewirken?

Natürlich trägt er dazu bei, dass darüber gesprochen wird, dass es zum Thema gemacht wird. Es zeigt, dass die Unterstützung durchaus vorhanden ist. Man erkennt an dem, was Daniels geschildert hat, welche Last da von ihm abgefallen ist. Ich denke, das können viele Menschen gar nicht nachvollziehen, welche Last sich da aufbaut.

Jake Daniels sagte, dass der australische Fußballer Josh Cavallo ein Vorbild für ihn gewesen sei. Der Profi von Adelaide United war bei seinem Coming Out im Vorjahr 22 Jahre, Jake Daniels selbst ist erst 17 Jahre alt. Stehen Sie für eine neue Generation, die sich nicht mehr von alten Tabus einschränken lässt?

Es zeigt, dass die jüngere Generation mit einem anderen Selbstverständnis aufwächst und diesen Leidensdruck gar nicht erst erdulden will. Wir können uns freuen, dass Daniels und Cavallo diesen großartigen Zuspruch erhalten haben. Trotzdem: So etwas muss im Fußball noch viel mehr etabliert werden. Auch wenn ich an die "11 Freunde"-Aktion im vergangenen Jahr denke, dann war es zwar ein tolles Projekt, an dem sich auch viele beteiligt haben mit ihrer Unterschrift (Anm.: Zahlreiche Profis hatten in dem Fußball-Magazin unter dem Motto "Ihr könnt auf uns zählen" ihre Solidarität zu homosexuellen Fußballspielerinnen und -spielern ausgedrückt). Aber dieser Zuspruch, die positiven Stimmen, die fehlen ansonsten nach wie vor. Da müssen wir den Fußball noch viel mehr in die Pflicht nehmen.

Jake Daniels sagte, dass für sein eigenes Coming Out jetzt "der richtige Zeitpunkt" sei, das zu tun. Wenn Sie auf den gesamten Profifußball schauen: Ist der Kulturwandel, an dem Ihre LSBTI+-Anlaufstelle ja auch mitarbeitet, so weit vorangeschritten, dass man prinzipiell sagen kann: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt?

Leider kann man das so nicht sagen. Meist wird nur auf den Profibereich der Männer geschaut und auch dort nur auf die Aktiven auf dem Platz. Doch es gibt ja viel mehr Bereiche, wenn ich daran denke, dass etwa der FC Bayern 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat. Davon sind sicherlich einige queer. Erst wenn wir so weit sind, dass wir in allen Bereichen Coming Outs haben, bei den Managern, Trainerinnen, im Schiedsrichterwesen und sicherlich auch bei den Spielerinnen und Spielern, erst dann können wir davon sprechen.

In der DFB-Verbandsspitze wird Diversität in keiner Weise abgebildet, weder in Bezug auf Frauen noch auf Personen mit Einwanderungsgeschichte. Da ist noch sehr viel Luft nach oben.

Christian Rudolph

Wenn man zurückblickt auf das vergangene Jahr, in dem der DFB die zentrale Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt eingerichtet hat – was waren die größten Erfolge? Was konnte Ihre Anlaufstelle für sexuelle Vielfalt bereits anschieben?

Zunächst war es wichtig, die Anlaufstelle zu etablieren. Diese war als Modellprojekt gestartet für anderthalb Jahre. Und nun ist es so, dass die Anlaufstelle bis 2024 verlängert wird. Ich glaube, die Errichtung der Anlaufstelle war bereits ein Meilenstein. Strukturell ist es so, dass wir Teile der Community stärker einbinden konnten in unsere Arbeit, sodass wir jetzt weitere entscheidende Schritte gehen werden in Bezug auf das Spielrecht im Bereich trans*, inter* und nonbinär. Wir planen, im Sommer dieses Spielrecht bundesweit umzusetzen (Anm.: in vielen Spielordnungen der DFB-Landesverbänden existiert nur die Unterscheidung "männlich" oder "weiblich").

Anlaufstelle für sexuelle Vielfalt nun bis 2024

Die nächste Weltmeisterschaft in Katar stattfinden, einem Land, in dem Homosexualität per Gesetz verboten ist. Konterkariert es nicht Ihre Arbeit, wenn die Fußballverbände nun weitgehend widerspruchslos dort Ihr Turnier austragen?

Es ist eigentlich unhaltbar für uns, wenn wir als LSVD (Anm.: Lesben- und Schwulenverband, Christian Rudolph ist Teil des Bundesvorstandes) an die fehlenden Rechte der LSBTI+-Community vor Ort denken. Die Aussagen des Emirs besorgen mich, wenn er sagt, alle sind willkommen, aber man solle seine Sexualität nicht in der Öffentlichkeit zeigen und außerdem anführt, dass dies unter Strafe steht. Wir machen uns erhebliche Gedanken, nicht nur über Fans, sondern auch über die Mitarbeitenden des DFB und allen Organisationen.

Findet da ein Austausch mit dem DFB statt?

Wir können den DFB da nur beraten und hoffen, dass man zumindest ehrlich mit dieser WM umgeht und nicht davon redet, dass Fußball ein Motor für gesellschaftliche Verantwortung ist - dafür gibt es schlicht keine Nachweise. Vor diesem Hintergrund finde ich es wichtig, dass der DFB eine ehrliche Haltung hat und die dortigen Probleme auch benennt und das nicht nur in zwei Halbsätzen in einer Stellungnahme.

Zum Abschluss ein Fazit: Wie bewerten Sie insgesamt die Entwicklungen im DFB beim Thema Diversity?

Diversity ist mehr als LSBTI+, und da sieht es beim DFB schon traurig aus. In der Verbandsspitze wird Diversität in keiner Weise abgebildet, weder in Bezug auf Frauen noch auf Personen mit Einwanderungsgeschichte. Da ist noch sehr viel Luft nach oben. Beim Thema LSBTI+ kann ich schon sagen, dass wir mit der Anlaufstelle Unterstützung haben, die spüren wir auch in der alltäglichen Arbeit. Ob das jetzt wirklich in den letzten Landesverband wirkt - es ist natürlich meine Aufgabe, da am Ball zu bleiben. Aber ich kann da ein positives Zeugnis ausstellen. Und das zeigt auch die Verlängerung der Anlaufstelle.

Das Gespräch führte Johannes Mohren, rbb Sport.

Sendung: rbb24 Inforadio, 31.05.2022, 15:15 Uhr

8 Kommentare

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  1. 8.

    Latent homophob, beziehungsweise angsterfüllt, gestrig.

    Gespiegelt hört sich das so an:

    Oh, die krassen homophoben Dödel, müssen die sich immer mit ihrem Hass auf Minderheiten in der Kommentarspalte abdudeln, haben wir nichts Wichtigeres in unserem Land, als diese Dekadenz der Unaufgeklärtheit. Wenn sie wenigsten schweigen würden, aber Nope, nicht einmal den Grundanstand können sie begreifen.

    Im Klartext: Wer ist so arm dran, unter diesem Beitrag derartig hässliche und sinnfreie Sätze zu formulieren? Das müssen extrem arme Würstchen sein.

  2. 7.

    Zitat: "Wie sieht eigentlich die Fahne für Hetero aus? Und nun stelle man sich vor, diese nicht vorhandene wird fortlaufend in den Wind gehalten. Dürfte man das? Wäre das straffrei? NEIN!"

    Ähem, Sie können 24/7 mit einer Fahne herumlaufen, auf der Sie ihre Heterosexualität betonen. Dafür würden Sie in keinem Land der Welt strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Beim Schwenken von bsw. Regenbogenfahnen sieht das allerdings sogar in bestimmten europäischen Ländern etwas anders aus.

  3. 6.

    Es geht doch nicht darum, "sexuelle Vorlieben" oder gar "Praktiken" in die Öffentlichkeit zu tragen, Michael. Dass gerade im Profifussball nicht wenige Betroffene aus durchaus berechtigter Angst vor Anfeindungen und Nachteilen im Beruf Scheinbeziehungen oder auch -Ehen eingehen, ist aber Fakt und sollte nicht sein. Es geht schlicht um Akzeptanz, die bsw. Linkshänder ja wohl genießen und deshalb nicht beschimpft und bedroht werden.

  4. 5.

    Fachkompetenz zählt mehr als alles andere. Genau so eine überflüssige Diskussion wie Frauenquote auf dem Bau.

  5. 4.

    Es gibt die mehrfarbigen Fähnchen. Was sollen sie sagen? Wie sieht eigentlich die Fahne für Hetero aus?
    Und nun stelle man sich vor, diese nicht vorhandene wird fortlaufend in den Wind gehalten. Dürfte man das? Wäre das straffrei? NEIN!
    ICH (!!) respektiere jede Einzelentscheidung. Äußert sich ein Diverser fragwürdig oder abfällig zu oder über Heteros (ja, ja, das gibt es tatsächlich) geht das in Ordnung. Andersherum.... weiß fast jeder.

  6. 3.

    Wir haben zig Krisen, aber wir beschäftigen uns mit Luxusthemen. Was geht's uns doch jut.

  7. 2.

    Es wäre gut, wenn die "queer-Denker" sich einfach mal weniger wichtig nehmen würden. Wieviele Leute interessieren sich denn für sexuelle Ausrichtungen/Vorlieben anderer Leute, seien es Fußballer, Arbeitskollegen oder sonstwer? Da wird ständig ein Gewese drum gemacht... Warum um alles in der Welt sollen sich von der "Hetero-Norm" abweichende Personen jetzt "outen"? Weil Hr. Rudolph sich das so wünscht? Und dann? Hey, ich bin übrigens Linkshänder! Ist exakt genauso interessant wie der andere Kram. (Und ja, Linkshänder werden nicht unwesentlich im Alltag diskriminiert - ist ärgerlich, man macht aber kein Gewese drum.)

  8. 1.

    Oh Gott,ist das wichtig.

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