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Audio: Antenne Brandenburg | 09.07.2020 | Dilan Polat | Quelle: Dilan Polat/ rbb

Rinderhaltung in Lunow-Stolzenhagen

Barnimer Hof setzt auf Weideschuss statt lange Tiertransporte

Tiertransporte vermeiden - das geht auf dem Hof "Stolze Kuh" in Lunow-Stolzenhagen per Weideschuss. Laut Erzeuger leben die Tiere artgerechter und werden in gewohntem Umfeld getötet. Die Folge: kürzere Transportwege und weniger Stresshormone. Von Dilan Polat

Auf den Weiden im Nationalpark Unteres Odertal (Barnim/Uckermark) grasen Xantippe, Emily und der Rest ihrer Herde. Sie sind Rinder der Arten "Angler Rotvieh" und "Allgäuer Braunvieh". Wenn Bio-Bäuerin Anja Hradetzky morgens um sieben Uhr ihre Tiere melken will, fährt sie zu den Kühen auf die Weide. Denn nur im Winter wird der Melkstand zum Stall gefahren - im Sommer steht er direkt an der Wiese.

Die Tiere verlassen ihre Koppel nicht einmal, wenn sie zur Tötung betäubt werden müssen. Alle zwei Wochen kommt ein Jäger mit Sondergenehmigung zur Schießung für Zucht- und Gehegetiere. Dieser wartet ab, bis das zu schießende Tier in der richtigen Position ist. "Wenn der Schuss erfolgt, erschrecken sich die anderen Rinder", sagt Bäuerin Hradetzyk. Aber wenn das Rind dann auf der Weide zusammensacke, würden die anderen Artgenossen lediglich Kenntnis davon nehmen. "Manche kommen und schauen, was los ist. Das sind Herdentiere", schildert Hradetzky. "Für sie ist es normal, dass da ab und zu ein Raubtier reinkommt und eins rausholt." Das tote Rind fährt die Viehwirtin anschließend zu einem Fleischer in der Nähe.

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Eine Schlachtung im Großbetrieb kommt für Anja Hradetzky nicht in Frage: "Für uns Menschen ist der Weideschuss vielleicht ungewöhnlich, weil wir das Ganze schön ausgeblendet haben", sagt sie. "Das Töten passiert schön weit weg in großen Schlachthöfen, wo keiner reindarf und wir müssen uns damit nicht mehr konfrontieren."

Aber vor allem der Transport zum Schlachthof erzeuge enormen Stress beim Rind. Und dort angekommen, würden sie die Angst der Artgenossen spüren und riechen, ist Anja Hradetzky überzeugt. Gäbe es die benachbarten Fleischer nicht, würde die studierte Ökolandbäuerin ihren Hof in Lunow-Stolzenhagen aufgeben, sagt sie.

Brandenburg stoppte in diesem Jahr zwar Tiertransporte von und nach Russland, doch das Leid der Tiere hat damit kein Ende. Zu Wochenbgeinn erstattete die Tierschutzorganisation "Vier Pfoten" Anzeige gegen Brandenburger Veterinäre. Denn immer noch spielen sich ihrer Dokumentation nach qualvollen Transporten von lebenden Rindern aus Brandenburg in Nicht-EU-Staaten ab.

Kürzere Wege durch Direktvermarktung

Die Einzeltierschlachtung schadet dem Tier zwar am wenigsten, doch eine Ausweitung des Systems stößt an seine Grenzen. Allein 2019 wurden in Deutschland 3,5 Millionen Rinder geschlachtet. Um so viele Tiere in Weidehaltung zu schießen, gäbe es zu wenig Betriebe, die den Weideschuss anwenden, sagt die Bio-Bäuerin. Mehr wären wünschenswert.

Der Verkauf des Rindfleisches von Anja Hradetzkys Hof "Stolze Kuh" geschieht über kleinere Läden in Eberswalde (Barnim), Angermünde (Uckermark) oder Berlin. "Viele Kunden erreichen uns über das Online-Portal 'Marktschwärmer'", sagt Paetrick Schmidt, ehrenamtlicher Transporteur vom Bio-Hof. Das Netzwerk wurde 2011 in Frankreich initiiert und startete 2014 auch in Deutschland. Über die Internetseite kann der Kunde Bratwürste oder Käse direkt beim regionalen Produzenten und es dann beispielsweise auf Pop-up-Bauern-Märkten in Berlin abholen. "So begegnen sich Kunde und Produzent. Das ist eine wunderbare Gelegenheit, mehr über den Hof und die Lebensmittel zu erfahren", sagt Andreas Ulke, der Gastgeber der "Marktschwärmer" in Berlin-Friedrichshain ist.

Video: Brandenburg aktuell | 09.07.2020 | Dilan Polat

Alternative Schlachtsysteme in der Entwicklung

Martin Stock berät mit seiner Firma "360 Agro“ Unternehmen für alternative Schlachtsysteme und hat sich Betriebe, die auf den Weideschuss setzen, angesehen: "Es ist die beste Methode, um das Tier stressfrei zu töten", ist auch er überzeugt. "Das hat auf jeden Fall Zukunft, da auch in der Politik gewünscht ist, diese Tiertransporte zu vermeiden und die dezentrale Fleischproduktion auszuweiten."

Aber dieses System könne nicht als Grundlage für eine Belieferungskette dienen, wo dieses Fleisch dann im Einzelhandel lande. Dafür seien es zu kleine Mengen, meint Stock.

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"360 Agro Systeme" entwickelt und konzipiert beispielsweise mobile Boxen zur dezentralen Tötung, die direkt an den Stall herangefahren werden können. "Diese Form des Schlachtens ist nachhaltig und zukunftsträchtig. Aber letztendlich liegt es am Willen des Landwirts, ob er diesen neuen und kostenintensiveren Weg gehen will. Und ist der Verbraucher bereit, für so eine dezentrale und transparentere Fleischproduktion tiefer in die Tasche zu greifen", so Martin Stock.

Bio-Fleisch zum Supermarkt-Preisen

Laut Anja Hradetzky sei der Preisunterschied zur herkömmlichen Produktion allerdings weit weniger dramatisch und das Fleisch auf ihrem Hof "Stolze Kuh" nicht viel teurer als im Supermarkt. 1,20 Euro für 100 Gramm Hack und drei Euro für 100 Gramm Rumpsteak. Trotzdem sei sichergestellt, dass es dem Tier davor gut ging, sagt Anja Hradetzky. "Wir sind ja im Kreislauf mit der Natur. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn wir Fleisch von gestressten Tieren essen, dass wir dann auch gestresster sind in unserer Gesellschaft". Für Anja Hradetzky gibt es da einen Zusammenhang.

Beitrag von Dilan Polat

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