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Brandenburg Aktuell | 22.04.2022 | Video: Fred Pilarski | Quelle: dpa/Patrick Pleul

Wiederansiedlungsprogramm an der Oder

Wissenschaftler hoffen auf Rückkehr des Baltischen Stör

Seit 15 Jahren läuft an der Oder ein Wiederansiedlungsprogramm für den Stör. Die ausgestorbene Wanderfischart gilt als Anzeiger für die Qualität des Flusssystems. Bauliche Veränderungen an der Oder scheinen den Erfolg des Projekts zu gefährden.

Sie können sich jahrzehntelang an den Geruch ihrer Kinderstube erinnern, leben im Meer und laichen in Flüssen. Baltische Störe orten ihre Beute mit elektrischen Feldern und dank ihrer Barten-Fühler wissen sie schon, wie sie schmeckt - noch bevor sie ihr Rüsselmaul öffnen. Sie können 60 Jahre alt und bis zu viereinhalb Meter lang werden. Über 250 Millionen Jahre haben sich die Baltischen Störe perfekt an die Umgebung angepasst. Seit mehr als 50 Jahren ist die Wanderfischtart ausgestorben. "Sie haben Eiszeiten überlebt und Saurier", sagt der Fischbiologe Jörn Gessner, "nur die Zweibeiner haben sie nicht überstanden, weil die kein Maß kannten beim Eingriff in ihre Lebensräume und ihre Bestände".

Wissenschaftler haben vor einigen Jahren herausgefunden, dass der Baltische Stör genetisch nichts anderes als eine Unterart des Atlantischen Störs war. Nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Stör, gewissermaßen einer Schwesterart. Von der besagten Unterart des Atlantischen Störs sind noch genügend Tiere in Kanada erhalten.

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Nachzuchtprozess in Deutschland beginnt 2005

2005 holten Jörn Gessner und sein Team vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) einige davon für die Nachzucht nach Deutschland und brachten sie in die Aufzuchtstation Born auf der Ostseehalbinsel Darß. 2007 setzten sie die ersten 50 nachgezüchteten Exemplare nicht weit von Schwedt (Uckermark) in die Oder.

Inzwischen sind es 3,5 Millionen Störe, die an verschiedenen Stellen in der Oder ausgesetzt wurden – vor allem an Orten, die als Laichplätze in historischen Beschreibungen auftauchen. Aufgezogen werden sie meist bei Fischereibetrieben in der Nähe der Einsetzstellen, unter anderem auch im Fischereihof an der Blumberger Mühle bei Angermünde.

Störe als Anzeiger für intaktes Flusssystem

Heute, 15 Jahre später, sollten die ersten ausgesetzten Tiere geschlechtsreif sein. Das heißt, dass die Wanderfische bald zum Laichen zurückkehren dürften an ihre Herkunftsorte. Eine erste Meldung gab es schon 2017. Ein Angler hatte im Oderbruch einen kapitalen Stör herausgeholt und den streng geschützten Fisch mit nach Hause genommen - statt ihn wieder in den Fluss zu lassen, wie es seine Pflicht gewesen wäre. Projektleiter Jörn Gessner vermutet allerdings, dass der Fang nicht zur ersten Generation, sondern zu einer kleinen Gruppe Störe gehörte, die später in höherem Alter ausgesetzt wurden.

Dieses oder nächtes Jahr könnten die ersten 15-jährigen Störe tatsächlich kommen, hoffen die Wissenschaftler und auch der Naturschutzbund NABU, der das Projekt unterstützt. Für dessen Präsidenten Jörg Andreas Krüger würde ein Erfolg zeigen, dass das Flusssystem halbwegs intakt ist. "Da, wo wir das nicht mehr haben, haben wir zu hohe Abflussgeschwindigkeiten, zu hohe stoffliche Belastungen, zu viel Verschmutzung. Das führt dann auch dazu, dass damit insgesamt Probleme mit dem Grundwasserhaushalt, mit der Trinkwasserversorgung und vielen anderen Dingen, die der Fluss uns bietet, einhergehen. Insofern sei der Stör mehr ein Museumsstück, das wieder in die Landwirtschaft gebracht werde.

Sorge wegen Odervertiefung

Vor allem brauche der Stör eine vielfältig strukturierte Unterwasserlandschaft, sagt der Biologe Jörn Gessner. Nun haben auf polnischer Seite Arbeiten zur Vertiefung der Oder begonnen. Damit, so fürchtet der Forscher, könnten die gerade erst wiederentstehenden Lebensräume der uralten Wanderfische zerstört werden. Gessner ist der Meinung, dass sich der Schutz der Fischfauna durchaus mit nachhaltiger Schifffahrt vertragen könnte. Gleichzeitig betont er: "Aber die hängt nicht daran, dass wir neue Buhnen bauen, dass wir den Fluss weiter einengen, dass wir Sediment die Oder runterjagen für vermeintlich größere Tauchtiefen."

Mehrfach hatten Wissenschaftler des Leibniz-Instituts IGB auf die Gefahr hingewiesen, dass mit der Eintiefung der Oder die Grundwasserstände in den Randbereichen absinken – eine Gefahr für die Flussauen [igb-berlin.de]. Das IGB liefert sich darüber seit Jahren eine Kontroverse mit der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) in Karlsruhe, die diese Gefahren für beherrschbar hält. Die aktuellen Bauarbeiten gehen auf ein Konzept der BAW zurück.

 

Sendung: Antenne Brandenburg, 25.04.2022, 14:10 Uhr

Beitrag von Fred Pilarski

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