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Audio: Inforadio | 15.08.2020 | Jule Käppel | Quelle: imago images/R. Weisflog

Mangelberufe suchen Nachwuchs

Über 40.000 Euro für die Ausbildung und andere Hürden

Für Betriebe ist es auf dem Ausbildungsmarkt immer schwerer, junge Menschen zu finden. Doch in einigen Branchen sind die Anforderungen beim Berufseinstieg auch außergewöhnlich hoch. Von Jule Käppel

Nach einer Sportverletzung hat Maria-Pia Zander-Zeidam ihre Berufung gefunden – die Physiotherapie. Der Traumjob kostet viel Geld. Für ihre dreijährige Ausbildung an der staatlich anerkannten Berufsfachschule in Berlin-Kreuzberg musste die Physiotherapeutin 13.000 Euro zahlen – und danach war noch lange nicht Schluss. Im Pausenraum der Reha-Praxis erzählt sie: "Wenn du die Ausbildung abschließt, bist du erstmal nichts und machst deshalb die Weiterbildungen."

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Teuer: Physiotherapeuten-Ausbildung

Knapp die Hälfte der Behandlungen, die Ärzte verschreiben, lernen Physiotherapeuten nicht im Staatsexamen. Sie müssen sich dafür fortbilden. Das verlängert nicht nur den Ausbildungsweg, es ist auch sehr teuer. Neben ihrer Arbeit macht die 25-Jährige eine Osteopathie-Ausbildung: "Dafür kann ich jetzt 20.000 bis 25.000 Euro zahlen. Die Manuelle Therapie mache ich auch nebenbei. Sie kostet 3.500 Euro, und davor habe ich die Weiterbildung für die manuelle Lymphdrainage gemacht mit 1.250 Euro." Die Ausbildung und die Lehrgänge kosten insgesamt über 40.000 Euro. Dem entgegen steht bei Maria-Pia Zander-Zeidam ein Stundenlohn von 15 Euro. Im Schnitt verdienen Physiotherapeuten 2.400 Euro im Monat.Die politische Reaktion auf den drohenden Fachkräftemangel in diesem Gesundheitsberuf folgte nach zweieinhalb Jahren Diskussion. Im März hat das Bundesgesundheitsministerium mit den Ländern die Schulgeldfreiheit in der Ausbildung beschlossen. Die teuren Fortbildungen müssen die Physiotherapeuten weiterhin selbst zahlen.

Feuerwehr: Drei Berufe für den Noteinsatz

Nachwuchssorgen plagen auch den Feuerwehr-Chef Mathias Bialek in Brandenburg an der Havel. Wer sich für die Laufbahn bei der Feuerwehr entscheidet, braucht eine abgeschlossene, meist handwerkliche Berufsausbildung. Danach geht es für zwölf bis 18 Monate in die Feuerwehrgrundausbildung, dazu kommt noch der Rettungssanitäter. Brandmeister oder Brandmeisterinnen müssen demnach drei Berufe lernen.

Feuerwehr-Chef Mathias Bialek in Brandenburg an der Havel | Quelle: rbb/Käppel

Unter diesen Bedingungen hat es die Feuerwehr schwer, geeignetes Personal zu finden, aber bei der Rettung hilft die Berufserfahrung. "Wir haben handwerkliche Disziplinen, die wir für das Einsatzgeschehen brauchen. Da ist es gut, wenn jemand schon mal an einem LKW geschraubt hat. Für viele Einsätze ist dieses Zusammentreffen von verschiedenen handwerklichen Berufen einfach einsatzentscheidend", sagt Mathias Bialek.

Die vorgeschaltete Berufsausbildung macht sich im Gehalt nicht bemerkbar. Während der Grundausbildung gibt es knapp 1.300 Euro. Das ist zu wenig, sagt der Leiter der Brandenburger Berufsfeuerwehr, denn die Menschen stünden mitten im Leben und hätten häufig bereits eine eigene Familie.

Anlagenmechaniker: Engpass-Beruf im Verborgenen

Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik kümmern sich darum, dass Wasser aus dem Hahn kommt, die Heizung im Winter läuft, das Bad altersgerecht umgebaut wird, die Lüftung funktioniert und Gasleitungen sicher sind. Deshalb durften sie im Corona-Lockdown durcharbeiten. Aber auch in diesem systemrelevanten Beruf fehlen Fachkräfte. Der 19-jährige Jakob Al-Obaidi hat gerade die Zwischenprüfung bestanden und sagt über die Herausforderungen in der Ausbildung: "Wenn 200 Wohnungen beheizt werden sollen, und das musst du dann bauen, das ist schon eine Kunst für sich." Bei der smarten Wärmesteuerung kommt es auf den Kopf an, an anderer Stelle auf pure Muskelkraft. Azubi Jakob erinnert sich, dass er bei einer Sanierung Rohre vom Keller bis in den fünften Stock schleppen musste: "Da läufst du am Tag 16.000 Schritte und am nächsten Morgen geht es um 7 Uhr weiter."

Diese Belastungsprobe bestehen nicht alle. In Berlin bricht über die Hälfte der Azubis noch im ersten Lehrjahr ihre Ausbildung ab, weil die Anfangszeit zu hart ist, die Vorstellung vom Beruf nicht der Realität entspricht oder weil Mathematik und Physik zu anspruchsvoll sind. Voraussetzung ist ein Hauptschulabschluss.

Jakob Al-Obaidi, Anlagenmechaniker in der Ausbildung | Quelle: rbb/Käppel

Modellprojekt, um Fachkräfte zu gewinnen

Damit mehr junge Menschen die Ausbildung schaffen, hat die Berliner Innung mit der zuständigen Senatsverwaltung ein Modellprojekt gestartet. Das Ziel: Die Fachkräfte der nächsten Generation gewinnen und halten, denn sie bringen die Energiewende in die Häuser, sagt Andreas Koch-Martin, Geschäftsführer der Innung in Berlin: "Wir haben klimapolitische Ziele bis 2050. Die müssen realisiert werden und dafür braucht man die Umsetzer."

Die Klimaretterinnen und -retter im Handwerk erhalten wenig Geld. Im ersten Lehrjahr 675 Euro. Nach dreieinhalb Jahren bekommen sie als Gesellen einen Stundenlohn von 14 Euro. Jakob Al-Obaidi schätzt die Abwechslung in der Ausbildung, und er hat höhere Ziele. Nach der Lehre will der junge Tempelhofer den Meister machen. Von seinem Chef hat er sich zeigen lassen, wie man einen Betrieb führt.

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Jugendberufsagentur Berlin: Hilfe bei der Berufswahl

Insgesamt beginnt das neue Ausbildungsjahr zögerlich. Weil die Schulen geschlossen waren und Job-Messen ausfielen, konnten Betriebe und Branchenverbände junge Menschen kaum erreichen und für eine Ausbildung gewinnen. Eine Anlaufstelle für Jugendliche an der Schwelle zwischen Schule und Arbeit ist die Jugendberufsagentur Berlin. Allein am Standort Neukölln kümmern sich rund 80 Mitarbeitende von der Agentur für Arbeit, des Jobcenters, der Jugendhilfe und der Schulberatung um Heranwachsende, die noch keinen Ausbildungsplan haben.

Die zwölf Jugendberufsagenturen in Berlin sollen die Zahl der Jugendlichen senken, die nach der Schule keinen beruflichen Anschluss finden. Seit fünf Jahren gibt es das Angebot. Damals waren rund 3.000 Schulabgänger betroffen, im vergangenen Jahr immerhin nur noch 600. Bisher konnten Jugendliche mit Beratungsbedarf in den Öffnungszeiten spontan vorbeikommen. Die Hygieneregeln zum Pandemie-Schutz erlauben nun jedoch nur Gespräche nach Terminvereinbarung. Wie gravierend sich diese Einschränkung auswirkt, wird sich im Spätherbst zeigen. Bis dahin können Jugendliche nachträglich in eine Ausbildung einsteigen.

Beitrag von Jule Käppel

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