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Gesetzlicher Ruhetag

Warum einige Spätis sonntags öffnen dürfen - und es bei anderen illegal ist

Bier, Kippen, Chips, Cola - Berliner Spätis sind vor allem sonntags, wenn Supermärkte geschlossen haben, eine beliebte Anlaufstelle. Aber: Dürfen die am Ruhetag überhaupt öffnen? Kurz: Ja, doch nur unter einer Voraussetzung. Von Hasan Gökkaya

Wer spät abends noch Lust auf ein Bier oder eine Packung Chips hat, ist in der Hauptstadt besonders gut aufgehoben: Mehr als Tausend Spätis versorgen die Kieze mit Getränken und Süßwaren, mit Zigaretten und sogar Postkarten. Rund um die Uhr. Viele haben auch sonntags geöffnet - also am bundesweiten Ruhetag, der gesetzlich geschützt ist.

Bis auf wenige Ausnahmen dürfen Geschäfte deshalb gar nicht öffnen. Das gilt insbesondere für den Einzelhandel, dazu gehören auch die Berliner Spätis. Sind sonntägliche Spätkauf-Öffnungen in Neukölln, Kreuzberg, Friedrichshain und anderen Kiezen also illegal? Antwort: jein.

In Berlin dürfen Spätis nur von Montag bis Samstag öffnen. Sonntags hingegen dürfen nur spezielle Verkaufsstellen geöffnet haben, dazu gehören Tankstellen, Apotheken und Backgeschäfte. Das regelt das Berliner Ladenöffnungsgesetz. Spätis, die schon immer sonntags offen hatten, wurden lediglich von den örtlichen Ordnungsämtern geduldet – legal war das nie.

Verbot ließ Spätibetreiber kreativ werden

Allerdings drückt das Berliner Ladenöffnungsgesetz ein Auge zu, wenn es sich um eine Verkaufsstelle für Touristen handelt. Wer also Postkarten, Kühlschrankmagneten oder "I Love Berlin"-Pullover verkauft, darf sein Geschäft auch sonntags öffnen.

Das ließ sich Tuncer Karabulut nicht zwei Mal sagen: Über sechs Monate stellte er Touristenartikel zu den vielen Bierflaschen in seinem Späti an der Danziger Straße (Prenzlauer Berg). "Ich bin vorher zum Ordnungsamt Pankow gegangen und habe das offiziell mitgeteilt. Erst einmal passierte nichts. Nach sechs Monaten schaute plötzlich ein Mitarbeiter vom Ordnungsamt vorbei und machte sich Notizen", sagt Karabulut im Gespräch mit rbb|24. Ergebnis? "Ein Bußgeldbescheid. Mein Späti wird nicht als touristische Verkaufsstelle akzeptiert, weil dafür 50 Prozent der Ladenfläche herhalten muss", sagt Karabulut. Er ist inzwischen genervt und schließt sein Geschäft sonntags.

In den letzten Jahren versuchten viele Berliner Spätibetreiber ihre Geschäfte als touristische Verkaufsstellen zu deklarieren. Denn es geht um viel Geld: Der Sonntag ist für Spätis der mit Abstand umsatzstärkste Tag in der Woche. "Außerdem erwarten meine Kunden, dass sie genau dann, wenn die Supermärkte zu haben, bei mir schnell einkaufen können", sagt Karabulut.

Inzwischen akzeptiert das Ordnungsamt Spätis, die sich als touristische Verkaufsstellen ausgeben, nur noch selten. Denn das Berliner Verwaltungsgericht stellte 2019 noch einmal klar, dass Spätverkaufsstellen, die deutlich mehr Getränke, Speisen und Süßwaren im Sortiment haben als Souvenir-Artikel, keine touristischen Verkaufsstellen sind.

Berliner Geschichte

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250 Euro pro Verstoß

Viele Berliner Spätibetreiber öffnen ihre Läden aber weiterhin. Und vermutlich befinden sich viele in einer Grauzone oder verkaufen ihre Waren bewusst illegal. Wer erwischt wird, zahlt pro Verstoß in der Regel 250 Euro, bei Wiederholungen ist auch ein Bußgeld von bis zu 2.500 Euro möglich.

Doch der Wind drehte Anfang 2020. Grund war die Klage eines Spätibesitzers gegen das Bezirksamt Mitte – und dieses Mal gab das Gericht dem Kläger recht. Die Verteidigung argumentierte nämlich, dass das Berliner Ladenöffnungsgesetz juristisch keine Rolle spielt, wenn der Spätibetreiber die Räumlichkeit als Gaststätte nutzt. "Das Berliner Verwaltungsgericht und später auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg haben bestätigt, dass Gaststätten sonntags öffnen dürfen - und dabei eben auch so aussehen dürfen wie ein Späti. Man bedient sich selbst am Kühlschrank, man zahlt am Tresen, man trinkt aus Plastikbechern und sitzt auf einer Bierzeltgarnitur, so wie es eben in einem Späti aussieht", sagt Rechtsanwalt Philipp Schröder-Ringe, der auch den Fall damals betreute.

Gerichte gestatten Mischbetriebe

Demnach kann ein Späti also ein Mischbetrieb sein: bestehend aus einem Einzelhandel, der Butter verkauft, und einer Gaststätte, die Bier und Bockwurst anbietet. Dass beide Betriebe zufällig in derselben Räumlichkeit sind, sei nicht verboten, so die Gerichte. Wichtig ist nur, dass - wie in einer Gaststätte - Getränke und Speisen zum sofortigen Verzehr bestimmt sind. Ist das der Fall, kann die "Gaststättenerlaubnis", die explizit das Ausschenken von Alkohol erlaubt, erteilt werden. "Es muss sichergestellt sein, dass die Gaststätte ernsthaft betrieben werden kann. Ein Tresen, Sitzplätze, möglicherweise eine Toilette, eine Fluchttür sowie der Besuch in einem Seminar für Hygienemaßnahmen gehören zu den Voraussetzungen. Ansonsten ist der Antrag für die 'Gaststättenerlaubnis' ein ziemlich formaler Vorgang", sagt Schröder-Ringe.

Kuriose Situation für Spätibetreiber

Gestärkt von diesem Urteil öffnet Alper Baba seinen Späti inzwischen auch sonntags. Er steht gerade vor einem Regal in seinem Späti an der Mathildenstraße (Köpenick). Es gibt viel im Angebot: Ketchup, Chips, große Flaschen Wein, Vodka, Süßwaren. Oben auf dem Regal hat Baba aber Vorhänge installiert, denn er kennt die Regeln und achtet penibel darauf, kein Bußgeld zu provozieren. "Die Vorhänge werden zugezogen, wenn ich sonntags den Laden öffne. Die Waren in diesem Regal sind an dem Tag also nicht zu verkaufen." Und wenn der Kunde eine Cola und eine Tube Ketchup braucht? "Dann sage ich ihm, dass er die Cola gerne kaufen kann, den Ketchup kriegt er aber erst am Montag", sagt Baba und muss schmunzeln.

Diese Regelung führt zu einer kuriosen Situation für Spätibetreiber. Baba darf, wenn er sonntags öffnet, also auch keine Tiefkühlpizza verkaufen. Denn die hat nichts mit seinem Gaststättenbetrieb zu tun, sondern gehört zum Sortiment des typischen Einzelhandels. Hätte Baba aber einen Backofen in seinem Späti und würde die Pizza warm machen und vor Ort servieren, dürfte er die Pizza im Rahmen seines Gaststättenbetriebs verkaufen.

Nicht alle Spätis profitieren von Regelung

Baba kennt sich aus, denn er ist nicht nur Spätibetreiber, sondern auch Vorsitzender des Vereins Späti E.V., der sich für die Interessen der Berliner Spätis einsetzt und nach eigenen Angaben 200 Mitglieder zählt. "Die Gaststättenregelung ist ein wichtiger Erfolg für die Spätis, denn so können wir sonntags öffnen. Das ist finanziell sehr wichtig für uns, besonders wenn die Mieten für die Ladenflächen steigen", sagt er.

Baba zufolge gibt es noch 1.000 bis 1.200 hauptsächlich familiengeführte Spätis in der Hauptstadt, vor zehn Jahren seien es noch 2.000 gewesen. Der Verein Späti E.V. wirft dem Senat eine unfaire Behandlung vor. "Warum dürfen Tankstellen öffnen, die verkaufen doch auch Getränke und Speisen?", fragt Baba. Er und seine Kollegen fordern, dass das Berliner Ladenöffnungsgesetz geändert wird, damit Spätis auch regulär sonntags öffnen dürfen. Denn einen Haken hat die Sache: "Von der Gaststättenregelung können nur Spätis mit großen Flächen profitieren, kleine Spätis haben meistens keinen Platz für Sitzplätze. Die können also keine Gaststättenerlaubnis kriegen", sagt er.

Politiker und Gewerkschaften gegen Sonntagsöffnung

Es gibt aber auch eine Art Lightversion der Gaststättenerlaubnis. Spätibetreiber dürfen ihre Fläche sonntags auch als "erlaubnisfreie Gaststätte" führen. Der Vorteil: Es reicht, das Gewerbe einfach beim Ordnungsamt anzumelden. Auch Spätibetreiber Baba macht das so. Der Nachteil für die Betreiber: Alkohol darf dann nur in kleinen Flaschen zum Mitnehmen verkauft werden, Bier im oder vor dem Späti trinken ist verboten. Baba weist zudem darauf hin, dass der Gaststättencharakter aber auch dann sichergestellt sein muss, etwa durch Sitzplätze.

Mit der Gaststättenregelung hat sich die Situation für Spätibetreiber insgesamt in den letzten Jahren verbessert. Und: Wie streng in den einzelnen Bezirken kontrolliert wird, ist immer noch eine politische Entscheidung. Dass aber das Ladenöffnungsgesetz konkret zugunsten der Spätis geändert wird, ist unrealistisch. Schon weil es gegen höherrangiges Recht verstoßen würde, teilte der Senat auf Nachfrage von rbb|24 mit. Abgesehen davon kommt der Vorschlag ausgerechnet bei Teilen der SPD und der Linken in Berlin auch nicht besonders gut an: Die Politiker halten es nicht für fair und umsetzbar, das Sonntagsverbot nur für Spätis zu umgehen. Der Einzelhandel würde sofort klagen, heißt es. Zudem haben auch Gewerkschaften ein Problem mit der Idee, werden doch ausbeuterische Arbeitsbedingungen an Sonntagen befürchtet.

Sendung: rbb24 explainer, 10.08.2022, 18:00 Uhr

Beitrag von Hasan Gökkaya

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