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Quelle: dpa/Patrick Pleul

Steigende Strompreise

Warum Brandenburger mehr für die Energiewende zahlen

Brandenburg produziert viel erneuerbare Energie und exportiert sogar grünen Strom. Die Kosten für den Ausbau bleiben derweil bei den Brandenburgern hängen. Die Landesregierung will das nun ändern. Von Philip Barnstorf

Strom wird in Deutschland seit Jahren immer teurer. Das liegt unter anderem daran, dass die Netzentgelte steigen. Mit diesen Entgelten, die in der Regel rund ein Viertel des Strompreises ausmachen, halten die Stromversorger ihre Netze in Schuss, managen sie und bauen sie bei Bedarf aus. Wie bei einer Briefmarke bezahlen die Kunden also dafür, dass der Strom sicher zu ihnen kommt.

Aber nicht alle zahlen gleichviel pro Kilowattstunde (kwh). Und viele Brandenburger werden besonders stark zur Kasse gebeten. Schon in diesem Jahr liegen die Netzentgelte in Brandenburg über dem Bundesdurchschnitt und in 2023 dürfte die Diskrepanz noch größer werden.

Laut Bundesnetzagentur zahlt ein Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 3.500 kwh dann rund 440 Euro Netzentgelt. Der deutsche Durchschnitt wird auf gerade mal circa 344 Euro steigen. Warum ist das so?

Mehr Stromleitungen für weniger Menschen

Die Höhe der Netzentgelte variiert von Region zu Region, je nachdem, wieviel der Unterhalt der Netze vor Ort kostet. Deshalb wirkt sich die Bevölkerungsdichte auf das Netzentgelt aus: In Brandenburg leben auf einem Quadratkilometer im Durchschnitt gerade mal 86 Menschen - der zweitniedrigste Wert nach Mecklenburg-Vorpommern. Das heißt, relativ wenig Menschen müssen für relativ lange Stromleitungen in ihren regionalen Verteilnetzen aufkommen. Dadurch muss der einzelne mehr zahlen als in bevölkerungsreicheren Gegenden.

Energiewende auf Kosten Brandenburgs?

Aber für die hohen Brandenburger Entgelte gibt es noch zwei weitere Gründe - und die sind schon länger Grunf für politischen Streit: Brandenburg produziert pro Kopf mehr erneuerbare Energie als die meisten anderen Bundesländer.

Damit die Wind- und Solarparks hierzulande funktionieren, müssen sie an die Stromnetze angeschlossen werden. Dafür müssen die regionalen Netze ausgebaut werden - und das zahlen die Menschen vor Ort mit ihren Netzentgelten.

Brandenburg produziert zeitweise sogar so viel Strom, dass das Land ihn exportiert in andere Bundesländer und ins Ausland. In solchen Fällen zahlen dann Brandenburger einen Teil der Produktionskosten für grünen Strom, der anderswo verbraucht wird.

rbb24-Recherche exklusiv

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Windräder müssen vorübergehend vom Netz

Der Effekt wird noch verstärkt durch das sogenannte Engpass-Management: Die Stromnetze in Deutschland sind nicht perfekt miteinander verbunden. Gerade die sogenannten Stromautobahnen aus dem Norden in den Süden sind bisher nur geplant.

Wenn nun etwa Brandenburger Windräder oder niedersächsische Offshore-Windparks mehr Strom zu produzieren drohen, als in die regionalen Netze passt, müssen die Windkraftanlagen vorübergehend vom Netz genommen werden. Laut Medienberichten war das 2021 in Brandenburg 215 Mal der Fall.

Das kostet. Auch weil die Betreiber für den Ausfall entschädigt werden müssen. Und diese Kosten werden ebenfalls per Netzentgelt auf die Kunden vor Ort umgelegt. Laut Bundesnetzagentur landeten 2021 durch das Engpassmanagement zusätzlich 45,6 Millionen Euro auf Brandenburger Stromrechnungen.

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Wirtschaftsministerium findet Netzentgelte in Brandenburg "unfair"

Dass mancherorts Bürger mehr Netzentgelt zahlen für Ausbau und Risikomanagement der Erneuerbaren Energien, nennt das Landeswirtschaftsministerium auf Nachfrage “unfair”.

Immerhin: Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern haben dank ihrer ausgedehnten Windparks dasselbe Problem. Deshalb haben sich die drei Bundesländer vor 1,5 Jahren zusammengetan. Gemeinsam wollen sie die durch die Integration der erneuerbaren Energien entstehenden Netzkosten bundesweit umverteilen.

Bis zu drei Milliarden Euro von den deutschlandweit gut 20 Milliarden Euro Netzentgelt sollen so auf mehr Schultern verteilt werden. Das Wirtschaftsministerium in Potsdam ist laut eigener Aussage zuversichtlich, dass das im nächsten oder übernächsten Jahr klappt.

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Elektrische Müllautos als Lösung?

Auch Andreas Jahn hält das deutsche Netzentgelt für reformbedürftig. Jahn arbeitet für das Regulatory Assistance Project, eine NGO, die sich für kostenoptimierte Dekarbonisierung einsetzt. "Das Risiko der Erneuerbaren wird regional sozialisiert", sagt Jahn.

Als kurzfristige Lösung schlägt er nicht nur eine partielle Umverteilung vor, sondern gleich ein bundeseinheitliches Netzentgelt. Mittelfristig bräuchte es aber größere Lösungen, wie etwa ein besser integriertes gesamtdeutsches Stromnetz. So könnten lokale Überproduktionen vom gesamten Netz aufgefangen werden, sodass vor Ort keine Windparks kostenintensiv abgeschaltet werden müssen.

Langfristig befürwortet Jahn eine bessere Integration von Stromspeichern. Wenn etwa öffentliche Busse oder Müllautos mit Batterie führen, könnten sie gleichzeitig nachts als Auffangbecken für zusätzlichen Strom dienen.

Beitrag von Philip Barnstorf

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