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Audio: Inforadio | 18.03.2021 | Sebastian Schöbel | Quelle: dpa/Rupert Oberhäuser

Geschäft mit Corona-Schnelltests

Wenn der Markt die Pandemie regelt

Solange nur wenige Menschen eine Impfung erhalten, sind Corona-Schnelltests der einzige Weg zu Lockerungen. Das lässt sich der Staat viel Geld kosten. In Berlin ist dabei das Unternehmen 21Dx der erfolgreichste Profiteur - allerdings unter fragwürdigen Umständen. Von Sebastian Schöbel

Benjamin Föckersperger steht vor der Gedächtniskirche und sieht recht zufrieden aus. Hinter ihm stehen Dutzende Menschen Schlange, um in der Kirche einen Corona-Schnelltest machen zu lassen. Jeder einzelne davon wird Föckerspergers Firma Medicorum TAM Einnahmen verschaffen: 24,99 Euro für jeden freiwilligen Test, 12 Euro für den kostenlosen Test, den die öffentliche Hand bezahlt. "Bürgertest" heißt der bei Föckerspergers Teststation.

Medicorum TAM hat insgesamt fünf Schnellteststationen in Berlin, dazu kommen mehrere mobile Testteams, die zum Beispiel von Firmen gebucht werden können. Außerdem bietet das Unternehmen kostenpflichtige Software als Lizenzmodell für Betreiber von Schnellteststationen an. Von der Qualität seiner Stationen ist der Jungunternehmer, der vorher vor allem im E-Sports-Bereich gearbeitet hat, überzeugt: "Sehr gute Leistung, medizinisch hochqualitativ, guter Service am Kunden, günstiger Preis."

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Plötzlich taucht überall 21Dx auf

Ähnliches hört man auch von anderen Schnelltestanbietern in Berlin. Und die sind nun sauer: Denn als es nun darum ging, schnell die Testkapazitäten in der Hauptstadt auszubauen, hat die Senatsverwaltung für Gesundheit keine Ausschreibung gemacht, sondern ein Unternehmen direkt beauftragt: 21Dx aus München. Unter privaten Testanbietern, aber auch Hilfsorganisationen, die große Erfahrung im medizinischen Bereich haben, hat das nach rbb-Informationen großen Unmut ausgelöst: Insider berichten, dass 21Dx plötzlich omnipräsent auf dem Markt sei, offenbar dank guter Verbindungen in die Verwaltung, so die Mutmaßung. Als nun das Schnelltestnetzwerk "test-to-go.berlin" für die kostenlosen Schnelltests gestartet wurde, bekam 21Dx den Zuschlag für die
Gesamtkoordination - ohne vorherige Ausschreibung. Dabei hatte es nach rbb-Informationen zuvor schon Angebote anderer Unternehmen gegeben, die aber unbeantwortet blieben.

Mehrere Schnelltestanbieter haben auf Nachfrage des rbb erklärt, juristische Schritte deswegen vorzubereiten. "Wir haben den Senat schon zwei Mal gerügt", bestätigte auch Benjamin Föckersperger. Demnach sei 21Dx bei Aufträgen durch die Gesundheitsverwaltung nicht nur einmal allen anderen Marktteilnehmern vorgezogen worden. "Es ist nicht verständlich, warum da nicht mal jemand anderes gefragt wurde als 21Dx", so Föckersperger.

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Corona hebelt Vergaberecht aus

Der Fall zeigt, wie hart umkämpft der äußerst lukrative Schnelltestmarkt inzwischen geworden ist: Bund und Länder bekämpfen die Pandemie mit millionenschweren Aufträgen, oft an den gültigen Vergabegesetzen vorbei. Laut Berliner Vergaberecht müssten "öffentliche Aufträge über Bauleistungen ab einem geschätzten Auftragswert von 50.000 Euro" und "öffentliche Aufträge über Liefer- und Dienstleistungen ab einem geschätzten Auftragswert in Höhe von 10.000 Euro" ausgeschrieben werden.

Das Bundeswirtschaftsministerium wies allerdings schon im März 2020 daraufhin, dass in Notfällen Kommunen auch direkt und ohne Wettbewerb beauftragen dürfen. Zwar müssten im Sinne der Haushaltsdisziplin mehrere Angebote eingeholt werden, so das Wirtschaftsministerium. "Sollten es die Umstände - wie in der jetzigen Situation - aber erfordern, kann auch nur ein Unternehmen angesprochen werden."

Opposition kritisiert Direktvergabe

So ist es im Fall von 21Dx offenbar geschehen. Über die genauen Gründe schweigt sich die Senatsverwaltung für Gesundheit auf Nachfrage allerdings aus. Ein Sprecher teilte lediglich mit, die Testzentren hätten sehr schnell aufgebaut werden müssen, "nachdem Bund und Länder am 3. März beschlossen haben, die Testaktivitäten eilig und deutlich hochzufahren".

CDU-Gesundheitsexperte Tim-Christopher Zeelen überzeugt das nicht. Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci hätte trotz Pandemielage zumindest andere Angebote einholen und auch erfahrene Hilfsorganisationen einbeziehen müssen, so Zeelen. "Jetzt muss die Senatsverwaltung erklären, warum das nicht geschehen ist." Auch der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Florian Kluckert, hat für die Direktvergabe an 21Dx kein Verständnis. "Man hatte genug Zeit und wusste, dass man diese Schnelltestzentren aufbauen möchte", sagte er dem rbb. "Der besondere Druck wie damals bei der Beschaffung von medizinischem Material wie Gesichtsmasken war hier nicht gegeben. Man hätte sich die Zeit nehmen können, den besten Anbieter zu finden."

Ob 21Dx der beste Anbieter ist, wird inzwischen bezweifelt. Wie der rbb zusammen mit der "Süddeutschen Zeitung" und dem "Standard" aus Wien berichtet, gab es bei der von der Firma eingesetzten Software "Safeplay" zumindest kurzeitig ein massives Datenleck. Tausende Nutzerdaten inklusive der Testergebnisse standen eine Zeitlang ungeschützt im Netz.

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Millionenaufträge im Schnellverfahren

Wie lukrativ das Geschäft mit den Schnelltests vor allem für 21Dx sein könnte, verrät ein Blick ins Berliner Testkonzept. Insgesamt 63 Millionen Euro pro Monat hat der Senat dafür bereitgestellt, für den Fall, dass alle Berlinerinnen und Berliner einmal pro Woche testen lassen. Allein 49,6 Millionen Euro entfallen auf Antigen-Schnelltests, weitere 9,8 Millionen Euro auf PCR-Tests, die nötig wären, wenn zwei Prozent der Schnelltests positiv ausfallen würden.

Allein für die Bereitstellung der digitalen Testergebnisse und die automatisierte Benachrichtigung der Probanden über die Software "Safeplay" sind 1,8 Millionen Euro pro Monat vorgesehen. Das Programm wird von 21Dx in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Startup Medicus AI verwendet. Bemerkenswert ist, dass im Testkonzept explizit auf die Einhaltung der Datenschutzverordnung bei "Safeplay" hingewiesen wird.

Dazu kommen weitere Dienstleistungen, die abgerechnet werden können: Dazu gehört der Betrieb einer Hotline für Nachfragen zu Selbsttests und Schnelltests. Kostenpunkt: 300.000 Euro pro Monat. Dazu kommen die Bereitstellung der Onlineplattform zur Terminbuchung, also "test-to-go.berlin", sowie die Bereitstellung und der Betrieb einer Plattform für Schulungen zu Schnelltests, für insgesamt 160.500 Euro im Monat.

Insgesamt könnte 21Dx durch den Vertrag mit der Senatsverwaltung für Gesundheit also weit über 2 Millionen Euro pro Monat verdienen. Nachfragen des rbb zum Vertrag mit der Firma blieben seit Dienstagmorgen unbeantwortet.

Noch bekommen die Schnelltestanbieter kein Geld vom Staat

Private Betreiber von Testzentren bekommen laut Föckersperger 12 Euro pro durchgeführten Schnelltest, Ärzte in ihren Praxen hingegen 15 Euro. "Warum, weiß keiner", sagt Föckersperger. Von dem Betrag würde die Kassenärztliche Vereinigung einen Prozentsatz einbehalten. "Bei den Ärzten sind das 0,7 Prozent, bei uns 3,5 Prozent." Auch diesen Unterschied könne sich niemand erklären, so Föckersperger - und auch nicht, ob die Beträge brutto oder netto sind. Zudem werden die reinen Kosten für die Beschaffung der Schnelltests selbst erstattet: 9 Euro bis Ende März, 6 Euro ab April.

Bislang sind die kostenlosen Schnelltests für die Betreiber von Teststationen allerdings nicht mehr als eine Investition in künftige Profite. "Im Moment verdienen wir damit gar nichts", sagt Föckersperger. Denn bisher sei die Abrechnung der Schnelltest ungeklärt, ein Konzept der Kassenärztlichen Vereinigung dafür soll laut Gesundheitsverwaltung Ende März vorliegen. Das erste Geld werde wohl erst im Mai fließen, vermutet Föckersperger. Bis dahin muss seine Firma weiter in Vorleistung gehen – und nebenbei natürlich die laufenden Kosten zahlen, unter anderem für die Anmietung von Räumen.

21Dx bleibt das wohl erspart, denn die Teststationen befinden sich in Räumlichkeiten, die der Senat zur Verfügung stellt, unter anderem Schulturnhallen. Ungeklärt ist, wieviel Geld das Unternehmen tatsächlich für seine Dienste bekommt. Die Senatsverwaltung für Gesundheit wollte auf rbb-Nachfrage keine Details zum Vertrag nennen. "21Dx handelt als Dienstleiter ausschließlich auf unsere Anweisung", teilte ein Sprecher der Verwaltung dem rbb mit. Das Unternehmen "betreibt keine eigenen Teststellen, sondern diese wurden über einen Rahmenvertrag einbezogen", so der Sprecher weiter. Der Vertrag mit 21Dx laufe zum 31. Mai aus. Auf der Webseite "test-to-go.berlin", wo alle Stationen für kostenlose Tests verzeichnet sind, taucht 21Dx durchaus namentlich als Betreiber von Testzentren auf.

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Auch der Flughafen verdient mit

Welche Blüten das Geschäft mit den Schnelltests treibt, kann man auch am Flughafen Berlin-Brandenburg beobachten. Am BER gibt es ebenfalls die Möglichkeit, sich schnell auf Covid-19 testen zu lassen - allerdings für einen stolzen Preis. Zwei Anbieter haben Teststationen im Terminal 1 aufgebaut: Im Abflugbereich die Stay Safe GmbH, im Ankunftsbereich die Rostocker Pharmafirma Centogene, die mit 21Dx kooperiert. Wer sich vor dem Abflug testen lassen will, zahlt 40 Euro für den Schnelltest, wer es nach der Ankunft tun möchte, sogar 59 Euro. Kostenlose Schnelltests, auf die Berlinerinnen und Berliner einmal pro Woche ein Anrecht haben, sind hier aber nicht möglich, teilte die Flughafengesellschaft auf Nachfrage des rbb mit. Ein Grund könnte die wirtschaftliche Kalkulation der Anbieter sein: Sowohl Centogene als auch Stay Safe haben die Flächen im Terminal 1 gemietet - und mit kostenlosen Schnelltests, die der Staat weit unter Marktpreisen vergütet, lässt sich die Miete möglicherweise nicht finanzieren.

Preissturz bei Schnelltests

Inzwischen purzeln bei den Schnelltests aber ohnehin die Preise: Waren es zu Beginn noch teilweise weit über 100 Euro, ist man inzwischen bei 25 bis 30 Euro angekommen. Daran habe auch sein Unternehmen mitgewirkt, sagt Benjamin Föckersperger. "Wir haben ab Tag eins, als wir in Berlin gestartet sind, die Preise gedrückt." Das gelte auch für den deutlich aufwändigeren PCR-Test. Mit den nun vom Staat weit unter Marktpreisen finanzierten kostenfreien Test gehe der Preissturz weiter, so Föckersperger. "Da brechen definitiv die Einnahmen weg." Weil aber Millionen von Menschen in die Teststationen kommen, lohne sich das Geschäft dennoch.

Der Gesundheitsexperte der Berliner Linken, Wolfgang Albers, ist selber Arzt. Private Schnelltestanbieter bezeichnet er als "Krisengewinnler". Für Albers sind die Schnelltests der einzige Weg, von Eindämmungsmaßnahmen abzurücken, die vor allem auf die Inzidenzwerte fußen. Ein kostenloser Test pro Woche sei dafür aber bei weitem nicht ausreichend. "Stellen Sie einen Waschkorb mit Schnelltests vor jedes Theater", so Albers, die Kosten dafür müsse der Staat tragen. "Wir können den Zugang zum öffentlichen Leben nicht in private Testzentren auslagern."

Sendung: Inforadio, 18.03.2021, 6 Uhr

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Beitrag von Sebastian Schöbel

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