rbb24
  1. rbb|24
  2. Panorama
Quelle: dpa/M. Weber

Interview | Schattenplätze in Berlin

"Wir müssen die Stadtbäume erhalten, die wir haben"

Die Sommer der Zukunft werden Berlin noch mehr Hitze bringen. Dafür braucht die Stadt schattenspendende Bäume und weniger versiegelte Flächen, sagt Ökologin Sonja Knapp. Ein Gespräch über Berlins Hitze-Hotspots und Ideen für mehr Abkühlung.

rbb|24: Frau Knapp, werden Städte durch den Klimawandel in Zukunft besonders unter Hitze im Sommer leiden?

Sonja Knapp: Es ist schon jetzt so, dass Städte wärmer sind als ihr Umland. Man nennt das Phänomen "urbane Hitze-Inseln". Das hat damit zu tun, dass Städte weniger Vegetation haben und zu großen Teilen aus versiegelten Flächen bestehen: Straßen, Pflastersteine, Gebäude. All diese Materialien wie Asphalt, Ziegel oder Beton heizen sich tagsüber im Sonnenlicht schnell auf, geben die Hitze nachts aber nur langsam wieder ab. Dadurch wird die Temperatur hochgehalten - vor allem auch in der Nacht: Und dazu kommen jetzt noch die Auswirkungen des Klimawandels.

Zur Person

Sie haben in einem Projekt der Helmholtz-Klima-Initiative dazu geforscht, wie sich unsere Städte an Klimaveränderungen wie heißere Sommer anpassen sollten. Welche Rolle spielt dabei mehr Schatten im öffentlichen Raum?

In jedem Fall eine wichtige. Ich denke, Kühlung durch Vegetation ist das Beste, weil sie eine noch umfassendere Wirkung hat als der Schatten, den etwa eine Markise wirft oder ein Sonnenschirm. Denn der Schatten zum Beispiel einer dichten Baumkrone ist nur der eine Effekt - der andere ist Kühlung durch Verdunstung über die Blätter. Die funktioniert, solange eine Pflanze Wasser aufnehmen kann. Ein Baum zieht Wasser von den Wurzeln über seine Leitbahnen nach oben in die Blätter, um sich selbst damit zu versorgen. Er gibt dabei einen Teil des Wassers ab über die Blätter und dieses verdunstende Wasser kühlt die Luft in der Umgebung des Baums.

Aus Ihrer Sicht brauchen wir für ein hitzeresistentes Berlin also mehr Pflanzen, vor allem Bäume in der Stadt?

Ja, ich denke, Priorität müsste erstmal sein, das zu erhalten, was an Vegetation da ist. Denn es dauert lange, bis ein neu gepflanzter Baum so groß ist, dass er Schatten spenden kann. Doch bislang fallen gerade Stadtbäume immer wieder Baumaßnahmen zum Opfer, dabei sollten wir sie erhalten. Ich denke, dass wir da in den Kommunen die Prioritäten verschieben müssen. Auch wenn der Baum erstmal kein Geld abwirft - wie ein Neubau - bietet er doch etwas anderes: Lebensqualität in der Stadt, angenehmere Sommer. Das müssen wir stärker in den Vordergrund rücken aus meiner Sicht.

In Berlin gibt es nach Senatsangaben mehr als 430.000 Straßenbäume. | Quelle: imago images / Jürgen Ritter

Wenn man neue Bäume in der Stadt anpflanzt, kommt das Problem der Bewässerung. Trockenheit ist schon jetzt ein großes Problem in der Region Berlin-Brandenburg - eines, das sich durch den Klimawandel wohl noch verschärfen wird.

Ja, das ist so. Die meisten Kommunen bewässern junge Bäume, bis sie etwa zehn Jahre alt sind. Und in langen Dürreperioden brauchen auch ältere Stadtbäume zusätzliches Wasser. Da gibt es mittlerweile Baumpatenschaften, Anwohner, die den Baum vor ihrer Tür gießen. Hilfreich für neu angepflanzte Stadtbäume ist es auch, wenn sie von Anfang an sogenannte Rigolen bekommen. Das ist eine Art Wanne zum Beispiel aus Beton, die in den Boden eingesetzt wird und Regenwasser speichert. Oberhalb der Rigole pflanzt man dann den neuen Baum, sodass er sich mit den Wurzeln aus dieser Wanne mit Wasser versorgen kann.

Infos im Netz

Können auch andere Baumarten, die mit weniger Wasser auskommen, Teil einer Lösung sein? Bislang gibt es in Berlin als Straßenbäume vor allem Linden (35 Prozent) und Ahornbäume (20 Prozent), gefolgt von Eichen, Platanen und Kastanien.

Wir werden nicht umhinkommen, in Zukunft auch Arten zu pflanzen, die wir bisher nicht im Stadtbild sehen. Gerade wird erforscht, welche Baumarten sich für die trockenere Stadt der Zukunft eignen. Ich finde es dabei wichtig, auf Diversität zu setzen. Es wird nicht den einen Superbaum geben, der all unsere Probleme löst. Im Gegenteil: Je unterschiedlicher die Arten sind, die wir in der Stadt pflanzen, umso stabiler wird das urbane Grün insgesamt. Denn egal ob eine Dürre kommt oder Starkregen oder ein Schädling - wir werden dann immer Pflanzen haben, die das überstehen.

Welche Pflanzen können abgesehen von Bäumen dabei helfen, die Stadt im Sommer abzukühlen?

Kletterpflanzen an begrünten Fassaden zum Beispiel: Die sorgen dafür, dass sich die Innenräume eines Gebäudes erst gar nicht so stark aufheizen. Das Gleiche gilt für grüne Dächer, die Berlin aktuell besonders fördert. Eine dunkle Dachpappe kann sich im Sommer auf 70 Grad aufheizen - ein bepflanztes Dach bleibt normalerweise bei 25 Grad. Dementsprechend sind auch die Zimmer unter diesem Dach heißer oder weniger heiß. Anstatt Gebäude zu bauen, in denen man es nur noch mit Klimaanlage aushält, sollten wir von vornherein so planen und bauen, dass wir keine technische Kühlung brauchen.

Rasengittersteine könnten große versiegelte Flächen wie den Platz vor dem Humboldt-Forum immerhin teilweise wieder für Regenwasser durchlässig machen. | Quelle: dpa/W. Kumm

Müssen wir auch dafür sorgen, dass wieder mehr Flächen in der Stadt für Pflanzen zur Verfügung stehen? Stichwort: Entsiegelung.

Ja, das wäre aus meiner Sicht sehr sinnvoll. Da passiert schon einiges - zum Beispiel entlang von Bahnschienen: Grüne Straßenbahnlinien entstehen. Oder auf Parkplätzen kann man Rasengittersteine verlegen statt herkömmliches Pflaster - dann kann immerhin Wasser versickern. Im Boden ermöglicht das schon mehr Leben, als wenn ein dichter Deckel oben aufliegt.

Solche großen versiegelten Flächen, die Sie ansprechen, wie zum Beispiel Bahnhofsvorplätze, hat die Stadtklima-Forscherin Britta Jänicke in ihrer Doktorarbeit als schattenlose Hitze-Hotspots in Berlin identifiziert. Bis dort neu gepflanzte Bäume groß genug wären, um Schatten zu spenden, würden noch viele Jahre vergehen. Was könnten kurzfristigere Maßnahmen sein?

Ich kann mir zum Beispiel Kletterpflanzen vorstellen, die an Gestellen aus Holz emporranken. So könnte man grüne schattige Tunnel schaffen, als alternativen Weg über einen großen sonnigen Platz. Aus ökologischer Sicht fände ich es wichtig, für so eine Lösung schnellwachsende Arten zu nehmen, mit schönen großen Blättern, aber gleichzeitig dürfen die Blätter nicht zu dicht wachsen. Denn sonst könnte sich die Luft in so einem grünen Tunnel stauen - und das wäre besonders an heißen Tagen auch nicht angenehm. Es ist wichtig, eine Balance zu finden zwischen Beschattung und Luftaustausch.

Riesige Flächen in Berlin sind komplett versiegelt und bieten keinen Schatten - so zum Beispiel der Platz vor dem Hauptbahnhof. | Quelle: dpa/D. Enters

Eine riesige Fläche in Berlin fast ohne Schatten ist das Tempelhofer Feld. Braucht es an so einem Ort aus Ihrer Sicht mehr Bäume? Oder überwiegen die Vorzüge der Freifläche - zum Beispiel weil sie nachts schnell abkühlt und so den Luftaustausch in die angrenzenden Wohngebiete fördert?

Solche großen offenen Flächen haben in jedem Fall ihre Berechtigung. Gerade beim Tempelhofer Feld gibt es Bereiche, die jedes Jahr großflächig abgesperrt werden - zum Schutz der Feldlerche, die dort in der Wiese auf dem Boden brütet. Diese Maßnahme hat dazu geführt, dass es dort die größte Feldlerchen-Population in ganz Berlin-Brandenburg gibt. Solche Vogelarten, die auf dem Boden brüten, sind extrem bedroht. Und wenn wir jetzt mal nicht nur an unser menschliches Wohlbefinden denken, sondern auch an solche Tiere, müssen wir diese Freiflächen erhalten. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass zum Beispiel auf den Grillwiesen am Rand des Felds Bauminseln, die Schatten spenden, eine gute Idee wären.

Kein Schatten weit und breit auf dem Tempelhofer Feld - doch nachts kühlt die große Freifläche schnell ab. | Quelle: dpa/G. Fischer

Sie kennen sich als Ökologin aus mit Pflanzen. Gibt es noch etwas, das wir uns in Sachen Verschattung von der Natur abschauen können - für die Planung unserer Städte?

Mich fasziniert der Kompass-Lattich. Das ist eine Pflanze, die verwandt ist mit unseren Salaten, aber eher als Unkraut gilt. Sie wächst häufig am Straßenrand, wird vielleicht einen halben Meter hoch und die spannende Fähigkeit dieser Pflanze ist, dass sie ihre Blätter ganz gezielt aus der Sonne drehen kann, um sich vor Sonnenbrand zu schützen und den Wasserverlust zu minimieren. Ich frage mich, ob das ein Vorbild sein kann - für bewegliche Sonnensegel zum Beispiel, die mit dem Sonnenstand wandern und so kontinuierlich für Schatten sorgen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview für rbb|24 führte Anne Kohlick.

Artikel im mobilen Angebot lesen