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Audio: rbb24 Inforadio | 04.11.2022 | Thomas Rautenberg | Quelle: dpa/F.Gentsch

Schöffenwahl in Berlin und Brandenburg

Als Laie auf der Richterbank sitzen und Recht sprechen

Rund 8.000 Schöffen werden aktuell in Berlin und Brandenburg gesucht. Gemeinsam mit Berufsrichtern werden sie ab 2024 über Angeklagte urteilen. Wie kann man sich den Alltag von Schöffen vorstellen? Thomas Rautenberg hat mit Schöffen gesprochen.

Anja Sviridov ist Schöffin im Jugendstrafrecht. 2004 wurde ihr Name aus den des Einwohnermeldeamtes Reinickendorf gezogen. Die inzwischen 59-Jährige wurde für fünf Jahre als ehrenamtliche Richterin verpflichtet. Sie ist seitdem dabei geblieben und hat sich später freiwillig zur Wiederwahl gestellt.

Derzeit sei Anja Sviridov als Ersatz- oder auch Hilfsschöffin eingesetzt, erklärt sie. Sie wird gerufen, wenn andere Schöffen ausfallen und dadurch ein Prozess zu platzen droht. Dann müsse sie bei der Arbeit alles stehen und liegen lassen und sofort ins Gericht fahren, so Sviridov.

Die langjährige Schöffin Anja Sviridov | Quelle: Thomas Rautenberg

Nicht jeder wird freiwillig Schöffe

Ehrenamtliche Richterin oder Richter wird man hierzulande auf zwei Wegen. Man kann sich für das Ehrenamt bewerben. In Berlin läuft bereits die Frist. Bis Ende November sollten Freiwillige ihre Bewerbung beim zuständigen Bezirksamt eingereicht haben.

Ab Anfang Dezember werden die Kandidatenlisten dann mit Namen aus den Listen der Einwohnermeldeämter aufgefüllt. Die mögliche Berufung als Kandidat für das Schöffenamt kann jeden einzelnen Bürger also auch unvermittelt treffen. Vorausgesetzt natürlich, sogenannte Ausschlussgründe sprechen nicht dagegen.

Norman Uhlman, Landesvorsitzender der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter in Berlin und Brandenburg | Quelle: Thomas Rautenberg

ZEITPLAN

Nicht jeder darf Schöffin oder Schöffe werden

Um die Unabhängigkeit der Justiz und damit auch der Rechtsprechung zu stärken, hat der Gesetzgeber für die Schöffenwahl entscheidende Hürden eingebaut. So müssen Interessierte das 25. Lebensjahr vollendet haben und sollten nicht älter als 70 Jahre sein. Angestellte der Justiz, Rechtsanwälte und Polizisten im Vollzugsdienst werden nicht berücksichtigt. Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der kritischen Infrastruktur können im Einzelfall nicht Schöffe oder Schöffin werden.

"Eine OP-Schwester beispielsweise als Schöffin in den Gerichtssaal zu rufen, wenn dadurch wichtige Operationen aufgeschoben werden müssen wäre, wohl kontraproduktiv", sagt Norman Uhlmann, Landesvorsitzender der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter in Brandenburg und Berlin.

Natürlich dürften Schöffinnen und Schöffen auch nicht selbst ein Fall für die Justiz gewesen sein, beispielsweise in einem Insolvenzverfahren, erläutert Norman Uhlmann einen weiteren Ausschlussgrund. "Wer jemanden um sein Geld bringt, der sollte nicht gleichzeitig über die Schuld oder Unschuld anderer richten", so Uhlmann.

Schöffentätigkeit unverzichtbar

Schöffen sollen nicht darüber entscheiden, ob ein Prozess juristisch korrekt geführt wird und ob die angewandten Paragrafen stimmen, dafür gebe es die Berufsrichterinnen und -richter, die das könnten. Schöffen und Schöffinnen sollten vielmehr die Lebensumstände der Menschen bei der Urteilsfindung mit einbringen, erläutert Uhlmann.

"Ist ein Strafmaß der Schuld angemessen oder ist die erzieherische Wirkung eines Urteils gerade im Jugendstrafrecht gegeben – das sind die Fragen, denen sich die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter stellen müssen."

In menschliche Abgründe sehen

Manchmal fällt es selbst langjährigen Laienrichtern schwer, das Prozessgeschehen zu verfolgen. Anja Sviridov beispielsweise erinnert sich noch an eine Vergewaltigungsstraftat, über die sie als Schöffin mitrichten musste. Das eiskalte Vorgehen des Täters und die völlige Hilfslosigkeit des Opfers habe sie tief erschüttert, erinnert sich die 59-Jährige. "Ich stelle mir bis heute vor, wenn ich dort in der Dunkelheit gelaufen und überfallen worden wäre – allein dieser Gedanke geht mir sehr nahe. Es ist wie in einem Krimi, nur dass man nicht im bequemen Fernsehsessel sitzt. Das ist dann schlimme Realität."

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In Berlin gibt es deshalb seit einigen Jahren einen psychologischen Beratungsdienst, bei dem Schöffinnen und Schöffen mögliche Probleme nach einem Gerichtsprozess trotz der Schweigepflicht ansprechen können.

Anja Sviridov will dennoch weiter machen. Sie hat sich auch für die kommende Schöffenperiode wieder in die Kandidatenlisten eingetragen. Die Wahl ist Ende 2023. Erst danach wird sie wissen, ob und bei welcher Strafkammer sie wieder als Schöffin auf der Richterbank sitzt.

Quelle: rbb24

Sendung: rbb24 Inforadio, 03.11.2022, 6 Uhr

Beitrag von Thomas Rautenberg

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