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Quelle: dpa

Interview | Maskenverweigerer im ÖPNV

"Diese Menschen wollen anecken"

In Berliner Bussen und Bahnen gilt Maskenpflicht - aber immer weniger Menschen halten sich daran. Was bringt sie dazu, die Maske wegzulassen - und was würde sie dazu bringen, sie wieder aufzusetzen? Der Psychologe Stephan Grünewald hat Erklärungen.

Zur Person

Stephan Grünewald

rbb|24: Herr Grünewald, Sie sitzen, während wir sprechen, im Zug. Ich gehe mal davon aus, dass Sie eine FFP2-Maske tragen. Wenn Sie sich einmal umschauen, sehen Sie da Menschen ohne Maske?

Stephan Grünewald: Ich habe die Maske gerade für unser Gespräch abgesetzt, denn ich sitze allein in einem Abteil. Aber ich bin vorhin einmal durch den Zug gelaufen und da hatten alle eine Maske auf. Ich glaube, das ist in der Bundesbahn auch noch einmal anders – sie hat mehr hoheitliche Macht. Wenn man da auf offener Strecke abgesetzt wird, findet man ja nicht so schnell nach Hause. Da ist das Drohpotenzial einfach größer.

In Berlin fällt auf, dass zunehmend weniger Menschen eine Maske tragen. Die BVG selbst spricht davon, dass die "Maskendisziplin seit Mai merklich zurückgegangen" sei und derzeit bei 70 bis 80 Prozent liege. Denken Sie, diejenigen, die keine tragen, verweigern zum Großteil bewusst oder ist es ihnen einfach egal?

Da gibt es unterschiedliche Lager. Die Maske ist von Anfang an ein Symbol gewesen, das unterschiedliche Bedeutungen hatte. Für die einen war sie ein Schutzinstrument und für die anderen ein Synonym für Bevormundung. Da wurde die Maske als "Maulkorb" erlebt. Was man jetzt aber natürlich auch merkt ist, dass in dem Maße, in dem die unmittelbare Bedrohung nicht mehr so erlebt wird – wir sind ja nicht mehr in dem Schreckens-Szenario wie am Anfang, als man die Särge in Bergamo vor Augen hatte – die Bereitschaft derer sinkt, die entweder achtlos sind oder die Maske aus Trotz nicht tragen.

Warum sind es (gefühlt) so oft Männer oder Teenager, die keine Masken tragen? Sind die besonders risikobereit oder einfach besonders egoistisch?

Einerseits geht es da durchaus um Egoismus und andererseits ist das ja auch ein Statement. Man spricht ja auch von der Berliner Schnauze, die sich jetzt wieder zeigt. So kann man sich und der Welt demonstrieren, dass man von den Corona-Regeln nichts hält und dass man sie für nicht mehr notwendig erachtet. Diese Menschen wollen anecken. Und sie wollen sich auch solidarisieren. Wenn man der Einzige in einer U-Bahn ist, der keine Maske trägt, dann ist das schwierig. Doch meistens entsteht bei einer kritischen Masse von etwa fünf, sechs Personen, die die Maske nicht tragen, ein Solidaritätseffekt, der die anderen, die diese Haltung teilen, veranlasst, ihre Maske auch abzunehmen oder erst gar nicht aufzusetzen.

Manche Menschen tragen statt der vorgeschriebenen FFP2- eine OP-Maske. Haben Sie dafür Erklärungen?

Nun, die OP-Masken sind zum einen schlicht billiger. Und zum anderen waren ja lange Zeit beide Masken erlaubt. Ich denke, es handelt sich da um eine Grauzone. Viele, die die OP-Masken noch im 20er-Pack zu Hause haben, tragen die dann einfach. Zudem wird das, glaube ich, sogar in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Oft geht es da eher um Unwissenheit.

Würden mehr Strafen - und die auch in schmerzhafterer Höhe - mehr Leute dazu bewegen, eine Maske zu tragen?

Es ist ja immer so: Wenn Verbote ausgesprochen werden, werden sie vor allen Dingen dann eingehalten, wenn sie als sinnvoll erachtet werden, wenn sozialer Druck erkennbar ist – man vielleicht komisch angesehen wird von den Mitreisenden. Und das andere ist, dass Verbote auch sanktioniert werden. Wenn nun das Gefühl entsteht, dass der eine oder andere Schaffner auch nicht mehr so sehr auf die Maskenpflicht pocht und man sich ohne in einer Grauzone bewegt, die ohnehin selten sanktioniert wird, entsteht das Gefühl, sich am Rande der Freiwilligkeit zu bewegen.

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Ist es sinnvoll für andere Fahrgäste, Maskenverweigerer anzusprechen? Oder sollte man das lieber lassen?

Die Frage ist da, mit welcher Haltung man das macht. Wenn da eine Art Blockwart-Mentalität dahintersteht, würde ich sagen, ist das eher eine hoheitliche Aufgabe. Wenn ich aber neben jemandem ohne Maske sitze und ich mich davon bedroht fühle, ist das durchaus ein Grund, jemanden anzusprechen. Aber dann würde ich das auf die persönliche Ebene bringen und sagen, dass ich mich unsicher fühle, vor Ansteckung fürchte, und denjenigen bitten, eine Maske aufzusetzen. Es kommt darauf an, auf welchem Kanal man sendet. Wen man jemanden mit erwachsener Strenge von oben herab zurechtweist, ruft das nur infantilen Trotz hervor. Wenn man sich auf Augenhöhe begibt, von seinem Empfinden berichtet und es mit der Bitte, die Maske zu tragen, verknüpft, wird das nicht als Zurechtweisung empfunden.

Was würde dazu beitragen, dass die Menschen wieder flächendeckender Maske tragen, falls jetzt eine Herbst-Winter-Welle kommt?

Im Winter ändert sich ja sowieso die Art, wie wir uns kleiden. Der Sommer steht für zweierlei. Wir sind einerseits in eine Selbstvergessenheit, eine Unbeschwertheit hineingeraten. Die Menschen blenden den Krieg, die drohende Energiekrise und auch Corona aus und wollen unbeschwerte Tage genießen. Und zu der sommerlichen Freiheit gehört auch eine gewisse Freikörperkultur. Man trägt T-Shirts und kurze Hosen – und will auch seinen Mund nicht gern bedecken. Im Winter ist das eine komplett andere Situation. Da trägt man Handschuhe, Schal und Mütze. Da gilt ein ganz anderer Dresscode. Da passt auch die Maske rein.

Die Menschen haben außerdem gelernt, dass der Winter von der Gefährdungssituation hinsichtlich Corona komplett anders ist. Bisher ist jeweils eine neue Corona-Welle angerollt, im Bekanntenkreis gibt es viele Ansteckungen – da gibt es eine gewisse Ritualisierung. Es gibt andere Vorsichtsmaßnahmen, oft auch Abstandsregeln und vielleicht auch wieder die Maskenpflicht.

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Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sabine Priess.

Sendung: rbb 88.8, 01.09.2022, 17:40 Uhr

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