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Quelle: rbb

#Wiegehtesuns? | Ukrainische Geflüchtete

"Ich fühle mich in Berlin nicht als Fremde"

Vor einem guten halben Jahr ist Olya Elshansky mit ihrer Familie aus der Ukraine geflohen. Ende September feiert sie zum ersten Mal das jüdische Neujahrsfest in Berlin. Für das kommende Jahr hat sie nur einen Wunsch. Ein Gesprächsprotokoll.

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Alles im letzten halben Jahr ist so schnell passiert. Zwei Wochen, nachdem wir in Berlin angekommen sind, hatte ich schon einen Kita-Platz für meine Tochter. Im gleichen Kindergarten habe ich dann auch noch einen Job gefunden. Mein Mann arbeitet in einem Co-Working-Space. Wir haben eine Routine entwickelt und uns gut eingelebt. Wir hatten großes Glück.

Nur die Wohnungssuche war schwierig. Zuerst sind wir drei Wochen bei unseren Freunden untergekommen. Irgendwann hatten wir das Gefühl, dass wir da raus müssen. Es war uns unangenehm, so lange in ihrer Wohnung zu bleiben, es kam ja aus dem Nichts.

Und dann sind wir von einer Untermiete zur nächsten. Jedes Mal haben wir gedacht, die nächste Wohnung ist die letzte. Dann können wir endlich wieder nach Hause nach Kiew. An irgendeinem Punkt haben wir aber gemerkt: So geht es nicht weiter. Wir haben uns dazu entschieden, mindestens ein Jahr in Berlin zu bleiben. Oder solange der Krieg halt andauert. Denn nochmal können wir nicht fliehen, nicht alle zusammen. Mein Mann müsste in der Ukraine bleiben. Und voneinander getrennt zu sein, kommt für uns nicht infrage.

Einmal habe ich auf Facebook nach einer Wohnung gesucht. Mein Post hatte viele Shares. Aber wir haben auch viele toxische Kommentare bekommen. Da haben Leute geschrieben: "Geht in eine andere Stadt. Berlin ist überfüllt." Oder: "Warum ist dein Mann überhaupt hier und verteidigt nicht sein Land?"

Im August haben wir dann eine Wohnung gefunden. Wir fühlen uns wohl. Aber manchmal gibt es Geräusche, die mich aufschrecken lassen. Es ist wie ein Echo des Krieges. Heute Morgen ist die Müllabfuhr vor unserem Haus gewesen. Ich habe ein paar Momente gebraucht, um zu verstehen, dass es nur das Krachen der Mülltonnen ist, was ich da höre. Das sind Dinge, die man nicht kontrollieren kann, das Trauma steckt einfach in dir.

Ansonsten fühlen wir uns aber in Sicherheit in Berlin. Ich habe zwar gehört, dass es hier auch zu antisemitischen Überfällen kommt. Ich habe das aber selbst zum Glück nicht erlebt. Ich fühle mich in Berlin nicht als Fremde. Weil es hier so viele Menschen gibt, die von überall herkommen. Es ist, als ob es gar keine Rolle spielt, wie man aussieht, welche Sprache man spricht.

Neulich stand ich am U-Bahnhof. Da habe ich gehört, dass eine Gruppe neben mir Ukrainisch spricht, dann gab es da Menschen, die auf Russisch und Englisch gesprochen haben, eine weitere Gruppe hat sich auf Hebräisch unterhalten. Die dachten wahrscheinlich, dass niemand sie versteht. Aber ich stand zwischen ihnen und hab sie alle verstanden.

In diesem Jahr feiern wir das jüdische Neujahrsfest Rosh HaShana in Berlin. Nur im kleinen Kreis, zuhause. Mit meiner Schwester und vielleicht ein paar Freunden. Es macht mich nicht traurig, dass wir in diesem Jahr hier sind. Ich bin schon daran gewöhnt, mir neue Traditionen zu schaffen. Das passt zu mir. Während Corona haben wir die jüdischen Feiertage auch schon mal über Zoom gefeiert.

Vom neuen Jahr erhoffe ich mir eigentlich nur eins: Frieden. Und zwar für alle. Seit der Krieg begonnen hat, gibt es keine anderen Wünsche mehr.

Gesprächsprotokoll: Marie Röder, rbb|24

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