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Quelle: dpa/Britta Pedersen

Der Absacker

Von Ferienfeeling, Waschbären und Küchentänzen

Es könnte so schön sein mit den Kindern, wären da nicht die Arbeit, der Haushalt, der Lockdown. Die Corona-Krise ist wahrlich nicht die Zeit der großen Familienpolitik. Das hat Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach wieder bewiesen, findet Lisa Schwesig.

Eigentlich wollte ich diese Woche nichts zum Thema "#Coronaeltern" schreiben. Und dann kam Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach, der sich am Dienstagabend im rbb-Bürgertalk "Wir müssen reden" folgendermaßen äußerte: "Wir sind im Augenblick in einer Situation, die ist gerade mal 14 Tage länger als die Sommerferien." Das sei noch kein "Wahnsinns-Ausnahmezustand". Zudem sagte er, er würde sich freuen, wenn zum Teil die Eltern ihre Kinder nach der Krise auch mal wieder richtig kennengelernt haben.

Einerseits hat Herr Steinbach ganz formal betrachtet Recht mit seinen Aussagen. Andererseits wiegelt er damit erneut die Stimmen der Eltern ab, die nun in der elften Woche die eigenen und möglicherweise noch die Kinder anderer zu Hause betreuen - zusätzlich zu Beruf, Haushalt, Selbstfürsorge. Und nein, es ist kein "Wahnsinns-Ausnahmezustand" für seine Kinder zu sorgen. Aber nebenbei noch Nachrichten produzieren, Präsentationen ausarbeiten oder Videokonferenzen führen ist eine enorme Belastung - für Eltern, Kinder, Selbständige, Kollegen und Arbeitgeber.

Sie alle stoßen allmählich mehr oder minder an berufliche, persönliche, gesundheitliche und existenzielle Grenzen. Doch statt Modelle zur Unterstützung und Entlastung von Familien zu entwerfen, heißt es von Steinbach im rbb-Bürgertalk: "Ich hoffe, dass Sie sich nicht ein Kind angeschafft haben, weil wir es als Vater Staat für sie attraktiv gemacht haben." Sagen wir es klipp und klar: Familien werden im Regen stehen gelassen.

1. Was vom Tag bleibt

Vom Regen in die Traufe: Diese Redewendung stammt vermutlich aus dem Orient im 17. Jahrhundert und bedeutet sinngemäß, dass einzelne Tropfen zusammen einen ganzen Schwall ergeben. So geht es derzeit tausenden Reisebüros in Deutschland. Denn während Herr Steinbach von "Sommerferien" spricht, sind die meisten Menschen weit entfernt davon, Urlaub zu machen. Besonders Reisebüros bekommen das zu spüren: "Unsere Kapitaldecke wird immer dünner. Und man kann davon ausgehen, dass dann, wenn innerhalb der nächsten zwei Monate nichts passiert, ungefähr 50 bis 70 Prozent aller Reisebüros eventuell pleite sind." Diese Aussage von Marion Tibursky am Mittwoch in einem Radioeins-Interview hat mich erschreckt. Tibursky leitet ein Reisebüro in Berlin-Prenzlauer Berg, muss wegen ausbleibender Einnahmen einen Kredit aufnehmen und steht kurz davor, ihr Geschäft zu schließen.

Eine Nachricht könnte für Hoffnung sorgen: Die Bundesregierung hat beschlossen, die Kontrollen an den Grenzen zu Deutschland ab Samstag zu lockern. Eine Grenzöffnung ist für den 15. Juni anvisiert. Aber auch hier gibt es ohne Regen keinen Regenbogen: Polen will seine Grenzen bis zum 12. Juni geschlossen halten. Passieren dürfen derzeit nur polnische Bürger, die im Ausland arbeiten.

2. Abschalten

An dieser Stelle brauchen wir einen richtigen Stimmungsaufheller. Was ist das bei Ihnen heute? Eine Tafel Schokolade, ein guter Wein oder ein Tanz in der Küche? Ich habe mich durch die Instagram-Welt gescrollt und folgende Leckerbissen gefunden, die hoffentlich viele Geschmäcker treffen.

Zuerst etwas für die #CoronaEltern, die heute vielleicht einen besonders schweren Tag hatten:

Dann etwas für die Kulturliebhaber, die sich eben auch nur ein Glas Wasser aus der Küche holen wollten:

Und zum Schluss für jene, die am Freitag ihr Restaurant oder Café wieder öffnen dürfen:

Und, wie geht's?

Bereits zum zweiten Mal schrieb uns Ronni, 47 Jahre, ambulanter Pfleger aus Pankow eine E-Mail. Und diesmal möchte ich ihn zu Wort kommen lassen:

"Eigentlich bin ich nicht der Typ, der seine Meinung in die mediale Welt hinausbrüllt. Aber was in dieser Stadt in den letzten Tagen abgeht, treibt mir teilweise Zornesröte bis in die Haarspitzen. Ich habe heute als ein in Berlin Geborener das erste Mal einen Spaziergang von der Friedrichstraße bis zur Oberbaumbrücke an der Spree entlang unternommen. Herrlich war es, kaum Menschen unterwegs und keine nervig lauten Ausflugsdampfer. Hin und wieder gab es Cocktails, diverse Speisen und nette Gespräche im Außer-Haus-Verkauf. In "normalen Zeiten" ist daran nicht zu denken.  

Steigt man jedoch an der Warschauer Straße in die Straßenbahn, wird einem die Realität wie mit einem Knüppel ins Hirn gedroschen. Meine Fresse! Was ist bloß los mit den Leuten? Was ist daran so schwierig, sich einen Fetzen Gewebe vor das Gesicht zu binden, wenn man die ÖPNV nutzt? 

Der Absacker

Macht euch locker!

Na, spüren Sie es schon? Wie sich die harte Hand der Corona-Beschränkungen von unserer kollektiven Gurgel löst? Bei einigen offenbar nicht, ihnen ist im Würgegriff der Kontaktverbote das Blut in den Kopf geschossen. Was bei Sebastian Schöbel trotzdem auf gewisses Verständnis stößt.

Warum ist es ein Problem, etwas Abstand zu halten? Ein Blick in den Volkspark Friedrichshain lässt einen den Glauben an den gesunden Menschenverstand vergessen. Habt ihr eine Macke? Seid ihr schon einmal auf einer Beatmungsstation gewesen? Denkt ihr nicht an Oma und Opa? Wollt ihr nicht Reisen? Ist euch eure Stammkneipe nun doch völlig egal? 

Benutzt bitte wieder eure Denkapparate. Leider müssen ein paar einfache Regeln sein. Deutschland hat doch im weltweiten Vergleich Glück gehabt. Bisher! Was sollen eigentlich diese ganzen Verschwörungstheorien? Ja, ich weiß, den Deutschen Staat gibt es nicht. Die Milliarden Toten im Zweiten Weltkrieg sind nur erlogen. Und die Erde ist doch eine Scheibe und der Mond ein Klappstuhl.

Woher kommt dieses Corona? Von jemandem, der das Blut einer Fledermaus gesoffen hat? Aus irgendeinem Labor geflohen oder absichtlich vor die Tür gesetzt? Weil es Covid-19 nicht gibt? Alles nur erfunden! Um genau was zu erreichen? Welche Regierung würde mit wachsender Begeisterung ihre Wirtschaft in den Ruin treiben? Weltweit Todesopfer erfunden? Wer hat daran Interesse? Die Pharmaindustrie, eine Weltregierung, Aliens? Haben wir eigentlich schon die Illuminaten auf dem Plan? Soviel schreibe ich sonst selten und habe natürlich auch meinen roten Faden verloren. Liebe Grüße und bleibt ruhig Gesund."

Wie geht es Ihnen? Schreiben Sie uns an absacker@rbb-online.de. (Wir lesen alles, schaffen es aber nicht, allen zu antworten. Seien Sie bitte nachsichtig.)

Wer bin ich

Als Ur-Berlinerin ist Lisa Schwesig nie wirklich aus dieser Stadt herausgekommen, eigentlich nicht einmal aus ihrem Kiez. Zwar lebt sie nicht mehr im Prenzlauer Berg, wo sie aufgewachsen ist, fühlt sich aber im Berliner Norden zu Hause. Sie steht kurz vor ihrer Einjahresfeier beim rbb und wenn sie nicht Ihre Nachrichten auf Facebook beantwortet, produziert sie Nachrichten auf unserer Website.

Ein weites Feld…

Falls Sie sich nach meinen Zeilen fragen, was das Aufmacherbild mit #Coronaeltern, Steinbach, Reisebüros, Restaurants und Küchentänzen zu tun hat, hier die Antwort: Gar nichts und doch so viel.

Ich stieß heute auf dieses Foto der dpa-Fotografin Britta Pedersen und es sorgte für Freude in der Redaktion und auf unseren Social-Media-Kanälen. Aufmerksam geworden bin ich aber vor allem auf den Begleittext der dpa: "12.05.2020, Berlin: Ein Waschbär krabbelt aus seinem Versteck auf dem Dach. Jeden Abend verlässt er seinen Schlafplatz, um auf Nahrungssuche zu gehen."

Spätestens nachdem heute weitere Lockerungen für Kita-Öffnungen in Berlin verkündet wurden, können hoffentlich auch #Coronaeltern allmählich aus ihrem "Versteck" wieder hervorkrabbeln und auf eine "Nahrung" für die Nerven hoffen, wenn ihre Kinder ab 25. Mai zumindest stundenweise wieder in Einrichtungen betreut werden.

In diesem Sinne tanzen wir jetzt alle kurz durch die Küche, während wir die angeklebten Nudeln vom Boden schrubben und ein drittes Mal heute den Geschirrspüler ausräumen!

Lisa Schwesig

Beitrag von Lisa Schwesig

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