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Reaktionen auf Impfstopp

Nach dem Astrazeneca-Schock sind in Berlin viele Fragen offen

Die Berliner Impfzentren hat das vorläufige Aus für Astrazeneca kalt erwischt. Was passiert jetzt mit den gelagerten Vakzinen? Wie geht es weiter für alle, die eine Astrazeneca-Erstimpfung erhalten haben? Vieles wird wohl vorerst unklar bleiben. Von Tobias Schmutzler

Gegen 15.40 Uhr muss Martin Terhardt alles stehen und liegen lassen. Noch vor wenigen Minuten hat er Menschen geimpft: mit Astrazeneca, im Impfzentrum Berlin-Tegel. Doch am Nachmittag liest Terhardt plötzlich die Eilmeldung: Das Paul-Ehrlich-Institut empfiehlt einen vorläufigen Stopp für Astrazeneca-Impfungen. Kurz danach geht es schnell in Tegel. "Das Impfzentrum wurde praktisch geräumt, die Türen geschlossen und keiner wurde mehr reingelassen", berichtet Terhardt dem rbb.

Der Kinder- und Jugendarzt ist auch Mitglied der Ständigen Impfkommission. Das Aus für Astrazeneca hat ihn überrascht, obwohl sich die Berichte über mögliche schwere Nebenwirkungen des Präparats in den vergangenen Tagen gehäuft hatten. "Ich war relativ überzeugt von den Angaben der europäischen Zulassungsbehörde, dass das bisher nur zeitliche Zufälle waren", sagt Martin Terhardt dennoch. Jetzt soll die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) neu bewerten, ob Astrazeneca-Impfungen mit einem erhöhten Risiko von Blutgerinnseln einhergehen. Verkürzt gesagt: ob das Vakzin sicher ist oder nicht.

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Berliner DRK-Präsident: "Dramatische Entwicklung"

"Wir haben das Impfen in den Einrichtungen in Tempelhof und Tegel unmittelbar eingestellt", berichtet Mario Czaja, Präsident des Deutschen Rotes Kreuzes in Berlin, dem rbb. "Das ist schon eine dramatische Entwicklung", so Czaja. Seine Hoffnung sei, dass das Impfen mit den anderen Stoffen jetzt umso schneller vorangetrieben werde. Eine Hoffnung, die wohl kaum einzulösen sein wird.

Als Reaktion auf das vorläufige Astrazeneca-Aus trafen sich die Gesundheitsminister der Länder am Abend zu einer kurzfristig anberaumten Krisensitzung. Am Rande der Videoschalte sagte Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) dem rbb, auch sie sei von der Entscheidung des Paul-Ehrlich-Instituts überrascht gewesen. Doch die vermehrten Fälle von möglichen Nebenwirkungen bewertet auch Kalayci als "Risikosignale".

Sieben Fälle von Blutgerinnseln bei 1,6 Millionen Impfungen

Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gebe es sieben berichtete Fälle von Impfungen, die im Zusammenhang mit einer sogenannten Hirnvenen-Thrombose stehen können. Dem stünden insgesamt 1,6 Millionen Erstimpfungen mit Astrazeneca in Deutschland gegenüber. "Vorsorglich zu sagen: 'Wir stellen das Impfen ein', ist, denke ich, eine richtige Entscheidung", so die Berliner Gesundheitssenatorin. Bis wann die Neubewertung abgeschlossen sein soll, sei bisher nicht bekannt, sagte Kalayci.

Verunsichert dürften alle sein, die bereits eine Erstimpfung mit Astrazeneca bekommen haben. Berlins Gesundheitssenatorin kündigte an, dass Betroffene in den nächsten Tagen auf der Behörden-Hotline 116 117 Auskunft erhalten werden, wie es für sie weitergeht. Geimpfte Menschen, die sich mehr als vier Tage nach der Impfung zunehmend unwohl fühlen, sollen sich laut Paul-Ehrlich-Institut unverzüglich in ärztliche Behandlung begeben. Zu den Beschwerden können starke, anhaltende Kopfschmerzen oder punktförmige Hautblutungen gehören.

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Polizeigewerkschaft: "Keine Versuchskaninchen"

Die Folgen des Astrazeneca-Stopps sind vielfältig. Nicht nur die großen Impfzentren sind betroffen. Auch das Projekt, Astrazeneca in Berliner Hausarztpraxen zu verimpfen, liegt nun schon wieder auf Eis, bevor es richtig starten konnte. "Das ist natürlich ein großes Problem, dass da jetzt eine Lücke entsteht, was Impfungen angeht", sagte Berlin Gesundheitssenatorin Kalayci dem rbb. Für April wisse sie nicht, wie diese Lücke geschlossen werden solle.

Viele Bevölkerungsgruppen, die in Kürze an der Reihe gewesen wären, mit Astrazeneca geimpft zu werden, müssen jetzt wieder länger warten – darunter Menschen mit chronischen Erkrankungen, Lehrerinnen und Kita-Erzieher. Für die Berufsgruppe der Polizeibeamten bestätigte der Sprecher der Berliner Polizeigewerkschaft, Benjamin Jendro, dass vereinbarte Impftermine bereits abgesagt wurden. "Solange es begründete Hinweise auf gesundheitliche Folgen gibt, dürfen auch unsere Kolleginnen und Kollegen keine Versuchskaninchen darstellen", so Jendro.

Impfstoff kann sechs Monate gelagert werden

Und was passiert jetzt mit dem bereits eingelagerten Impfstoff in Tempelhof und Tegel? Dieser sei gekühlt bis zu sechs Monate haltbar, erklärte der Berliner DRK-Präsident Mario Czaja dem rbb. Hier besteht also kein sofortiger Handlungsdruck.

Für den Impfarzt Martin Terhardt, der noch bis heute Nachmittag Menschen mit dem Astrazeneca-Vakzin geimpft hat, ist das Gefühl jetzt zwiespältig. "Man hat sich bis dahin damit wohlgefühlt, dass man das macht, was die deutsche und die europäische Zulassungsbehörde für richtig halten." Jetzt fordert er, dass die genauen Ursachen für die Neubewertung auf den Tisch kommen. Der Kinder- und Jugendarzt verweist auf Großbritannien, wo bereits 11 Millionen Menschen mit Astrazeneca geimpft worden seien. Dort wird Astrazeneca auch weiterhin eingesetzt.

Auf jeden Fall muss Terhardt morgen nicht zur Arbeit im Impfzentrum Tegel erscheinen. Bezahlt werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtungen in Tegel und Tempelhof trotzdem, so DRK-Berlin-Präsident Czaja. "Sie bleiben jetzt ein Weilchen zu Hause." Wie lange dieses Weilchen dauern wird, ist jetzt die große Frage.

Sendung: Abendschau, 15.03.2021, 19.30 Uhr

Beitrag von Tobias Schmutzler

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