Reaktionen auf Impfstopp - Nach dem Astrazeneca-Schock sind in Berlin viele Fragen offen

Mo 15.03.21 | 20:54 Uhr | Von Tobias Schmutzler
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esundheitsministerium setzt Impfung mit AstraZeneca in Deutschland aus. Quelle: www.imago-images.de
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Die Berliner Impfzentren hat das vorläufige Aus für Astrazeneca kalt erwischt. Was passiert jetzt mit den gelagerten Vakzinen? Wie geht es weiter für alle, die eine Astrazeneca-Erstimpfung erhalten haben? Vieles wird wohl vorerst unklar bleiben. Von Tobias Schmutzler

Gegen 15.40 Uhr muss Martin Terhardt alles stehen und liegen lassen. Noch vor wenigen Minuten hat er Menschen geimpft: mit Astrazeneca, im Impfzentrum Berlin-Tegel. Doch am Nachmittag liest Terhardt plötzlich die Eilmeldung: Das Paul-Ehrlich-Institut empfiehlt einen vorläufigen Stopp für Astrazeneca-Impfungen. Kurz danach geht es schnell in Tegel. "Das Impfzentrum wurde praktisch geräumt, die Türen geschlossen und keiner wurde mehr reingelassen", berichtet Terhardt dem rbb.

Der Kinder- und Jugendarzt ist auch Mitglied der Ständigen Impfkommission. Das Aus für Astrazeneca hat ihn überrascht, obwohl sich die Berichte über mögliche schwere Nebenwirkungen des Präparats in den vergangenen Tagen gehäuft hatten. "Ich war relativ überzeugt von den Angaben der europäischen Zulassungsbehörde, dass das bisher nur zeitliche Zufälle waren", sagt Martin Terhardt dennoch. Jetzt soll die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) neu bewerten, ob Astrazeneca-Impfungen mit einem erhöhten Risiko von Blutgerinnseln einhergehen. Verkürzt gesagt: ob das Vakzin sicher ist oder nicht.

Berliner DRK-Präsident: "Dramatische Entwicklung"

"Wir haben das Impfen in den Einrichtungen in Tempelhof und Tegel unmittelbar eingestellt", berichtet Mario Czaja, Präsident des Deutschen Rotes Kreuzes in Berlin, dem rbb. "Das ist schon eine dramatische Entwicklung", so Czaja. Seine Hoffnung sei, dass das Impfen mit den anderen Stoffen jetzt umso schneller vorangetrieben werde. Eine Hoffnung, die wohl kaum einzulösen sein wird.

Als Reaktion auf das vorläufige Astrazeneca-Aus trafen sich die Gesundheitsminister der Länder am Abend zu einer kurzfristig anberaumten Krisensitzung. Am Rande der Videoschalte sagte Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) dem rbb, auch sie sei von der Entscheidung des Paul-Ehrlich-Instituts überrascht gewesen. Doch die vermehrten Fälle von möglichen Nebenwirkungen bewertet auch Kalayci als "Risikosignale".

Sieben Fälle von Blutgerinnseln bei 1,6 Millionen Impfungen

Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gebe es sieben berichtete Fälle von Impfungen, die im Zusammenhang mit einer sogenannten Hirnvenen-Thrombose stehen können. Dem stünden insgesamt 1,6 Millionen Erstimpfungen mit Astrazeneca in Deutschland gegenüber. "Vorsorglich zu sagen: 'Wir stellen das Impfen ein', ist, denke ich, eine richtige Entscheidung", so die Berliner Gesundheitssenatorin. Bis wann die Neubewertung abgeschlossen sein soll, sei bisher nicht bekannt, sagte Kalayci.

Verunsichert dürften alle sein, die bereits eine Erstimpfung mit Astrazeneca bekommen haben. Berlins Gesundheitssenatorin kündigte an, dass Betroffene in den nächsten Tagen auf der Behörden-Hotline 116 117 Auskunft erhalten werden, wie es für sie weitergeht. Geimpfte Menschen, die sich mehr als vier Tage nach der Impfung zunehmend unwohl fühlen, sollen sich laut Paul-Ehrlich-Institut unverzüglich in ärztliche Behandlung begeben. Zu den Beschwerden können starke, anhaltende Kopfschmerzen oder punktförmige Hautblutungen gehören.

Polizeigewerkschaft: "Keine Versuchskaninchen"

Die Folgen des Astrazeneca-Stopps sind vielfältig. Nicht nur die großen Impfzentren sind betroffen. Auch das Projekt, Astrazeneca in Berliner Hausarztpraxen zu verimpfen, liegt nun schon wieder auf Eis, bevor es richtig starten konnte. "Das ist natürlich ein großes Problem, dass da jetzt eine Lücke entsteht, was Impfungen angeht", sagte Berlin Gesundheitssenatorin Kalayci dem rbb. Für April wisse sie nicht, wie diese Lücke geschlossen werden solle.

Viele Bevölkerungsgruppen, die in Kürze an der Reihe gewesen wären, mit Astrazeneca geimpft zu werden, müssen jetzt wieder länger warten – darunter Menschen mit chronischen Erkrankungen, Lehrerinnen und Kita-Erzieher. Für die Berufsgruppe der Polizeibeamten bestätigte der Sprecher der Berliner Polizeigewerkschaft, Benjamin Jendro, dass vereinbarte Impftermine bereits abgesagt wurden. "Solange es begründete Hinweise auf gesundheitliche Folgen gibt, dürfen auch unsere Kolleginnen und Kollegen keine Versuchskaninchen darstellen", so Jendro.

Impfstoff kann sechs Monate gelagert werden

Und was passiert jetzt mit dem bereits eingelagerten Impfstoff in Tempelhof und Tegel? Dieser sei gekühlt bis zu sechs Monate haltbar, erklärte der Berliner DRK-Präsident Mario Czaja dem rbb. Hier besteht also kein sofortiger Handlungsdruck.

Für den Impfarzt Martin Terhardt, der noch bis heute Nachmittag Menschen mit dem Astrazeneca-Vakzin geimpft hat, ist das Gefühl jetzt zwiespältig. "Man hat sich bis dahin damit wohlgefühlt, dass man das macht, was die deutsche und die europäische Zulassungsbehörde für richtig halten." Jetzt fordert er, dass die genauen Ursachen für die Neubewertung auf den Tisch kommen. Der Kinder- und Jugendarzt verweist auf Großbritannien, wo bereits 11 Millionen Menschen mit Astrazeneca geimpft worden seien. Dort wird Astrazeneca auch weiterhin eingesetzt.

Auf jeden Fall muss Terhardt morgen nicht zur Arbeit im Impfzentrum Tegel erscheinen. Bezahlt werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtungen in Tegel und Tempelhof trotzdem, so DRK-Berlin-Präsident Czaja. "Sie bleiben jetzt ein Weilchen zu Hause." Wie lange dieses Weilchen dauern wird, ist jetzt die große Frage.

Sendung: Abendschau, 15.03.2021, 19.30 Uhr

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Beitrag von Tobias Schmutzler

77 Kommentare

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  1. 77.

    „Ein Impfstoff sollte schützen.“

    Das tut AZ und zwar zuverlässig und zwar auch dann, wenn es in einer verschwindend geringen Zahl von Fällen zu komplizierten Thrombosen kommen sollte

    „Wenn nahezu alle europäischen Staaten AZ ausgesetz haben sollte man das ernst nehmen“
    Richtig, und das ganze untersuchen, ohne gleich sämtliche Impfungen zu stoppen, wie übrigens auch die EMA auf ihrer Webseite meint

    „und nicht seinen Ballermannurlaub im Focus haben“
    Ich habe nicht meinen Ballermannurlaub im Fokus (war noch nie im Leben auf Mallorca) sondern die Bekämpfung der Pandemie und die Rettung der durch Corona weitaus mehr gefährderten 60-75 Jährigen als durch die sehr seltenen Nebenwirkungen eines Vakzins. Woher nehmen Sie Ihre Ballermann-Unterstellung?

  2. 76.

    Das ist ein ganz offizielles Wort für Menschen, die geimpft werden. Es sind keine Patienten oder Klienten, weil ein Vertragsverhältnis u.ä. fehlt. Impfversager ist auch so ein tolles Wort. Aber offiziell, wenn der Körper eines Menschen auf eine Impfung nicht reagiert und die Bildung von Antikörper versagt. ;-)

  3. 75.

    Hatten sie nicht gerade woanders geschrieben, dass es keine Probleme gibt da sie einen mRNA - Termin haben? Dann kann ich natürlich große Töne spucken oder ist ihre Meinung hier nur ein Fakebeitrag?

  4. 74.

    Ich habe vor über drei Wochen die erste Impfung AstraZeneca erhalten, erfreue mich bester Gesundheit und werde hoffentlich um Pfingsten herum die zweite Impfdosis erhalten. Wenn Sie so wollen, ja, ich bin das Impfrisiko wie Millionen andere Menschen auch eingegangen.

  5. 73.

    Da ohnehin jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird, schlage ich vor, wir machen erst einmal eine umfassende Volksbefragung. Jeder Bürger gibt an, ob und wenn ja er womit geimpft werden möchte.
    Ich habe schon von Leuten, die ich bisher für sachlich denkend gehalten habe, Links bekommen zu Texten, in denen Coronaimpfung mit den Verbrechen von Mengele gleichgesetzt werden.
    In dieser Athmosphäre kann es nichts werden.

  6. 72.

    Das ist ein ganz offizielles Wort für Menschen, die geimpft werden. Es sind keine Patienten oder Klienten, weil ein Vertragsverhältnis u.ä. fehlt. Impfversager ist auch so ein tolles Wort. Aber offiziell, wenn der Körper eines Menschen auf eine Impfung nicht reagiert und die Bildung von Antikörper versagt. ;-)

  7. 71.

    Ihre Antwort ist nach meinem Gefühl menschenverachtend. Sie fordern das andere für sie Risiken übernehmen?
    Sind Sie bereit diese Risiken selber auch zu tragen oder fordern sie es nur von Anderen?

  8. 70.

    "Doch wegen scheinbaren Nebenwirkungen ist das Präparat unbeliebt."
    Handelt es sich nur "scheinbar" oder doch "anscheinend" um Nebenwirkungen? Wer diese Frage beantworten kann, melde sich bei der Bundesregierung...

  9. 69.

    Als klar ist eigentlich gar nichts. Sie sind immer noch eine Antwort auf #62 schuldig.
    Sind Sie bereit diese Risiken selber zu tragen oder fordern sie es nur von Anderen?

  10. 68.

    Das ist weder Polemik noch geht es an der Thematik vorbei.
    Es wird doch wohl die Frage gestattet sein, ob alle die, die von anderen verlangen das sie ein Risiko für Leben und Gesundheit auf sich nehmen soll, dazu auch bereit wären.

    Ich finde den Beitrag richtig und habe die gleichen Fragestellungen auch an Sie
    - Sind diejenigen die Opfer einplanen auch bereit selber zu sterben oder mit einem schweren
    Hirnschaden den Rest des Lebens dahin zu vegetieren, wenn es darauf ankommt, oder erwarten sie es nur von Anderen?

    - Ein Impfstoff sollte schützen. Wenn nahezu alle europäischen Staaten AZ ausgesetz haben sollte man das ernst nehmen und nicht seinen Ballermannurlaub im Focus haben.

  11. 67.

    Dumpfe Polemik die an der Lage vorbeigeht: Als ob alle AZ-Befürworter an ihren Ballermann-Urlaub denken würden: Also ich habe in den nächsten Monaten weder eine Reise nach Mallorca noch sonst wohin geplant.

    Tatsache ist aber dass wir steigende Inzidenzen und eine zunehmende Müdigkeit und Belastung der Bevölkerung durch die Lockdown-Massnahmen haben. Und da ist eine Impfung - und für die brauchen wir auch AZ - die einzige Chance, da irgendwie mit klar zu kommen. Lieber ein winzige Zahl von Sinusthrombose-Toten als (Zehn-)Tausende Coronatote und monatelanger Lockdown. Übrigens kann es auch gut sein, dass selbige, wenn überhaupt, in einer noch immer sehr seltenen Häufung bei jüngeren bis mittelalten Frauen auftreten: Dann beträfe es wenigstens nicht alle.
    Vielleicht hören Sie mal den letzten Drosten-Podcast. Der Mann erklärt Ihnen das anschaulich: Wir sind in einer schweren Pandemielage - da muss ein geringes Thromboserisiko einfach als sekundäres Phänomen hinter zurücktreten.

  12. 66.

    Was sind "Impflinge" ? Sprechen Sie von MENSCHEN ?

  13. 64.

    Wenn das einzige Risiko durch AstraZeneca ist, eine Trombose zu bekommen, warum gibt es nicht für jeden Impfling einfach eine ASS100 dazu, oder täglich ne Woche vorher und danach. Dann geht man doch auf Nummer sicher. In unserem Impfzentrum haben 90 % aller Impflinge das sowieso auf ihrer Medikamentenliste. Das schadet also beim Impfen nicht und das Thema Trombose wäre vom Tisch. Impfen, um kein Corona zu bekommen, ist so viel wichtiger.

  14. 62.

    - Sind diejenigen die Opfer einplanen auch bereit selber zu sterben oder mit einem schweren Hirnschaden den Rest des Lebens dahin zu vegetieren, wenn es darauf ankommt, oder erwarten sie es nur von Anderen?

    - Ein Impfstoff sollte schützen. Wenn nahezu alle europäischen Staaten AZ ausgesetz haben sollte man das ernst nehmen und nicht seinen Ballermannurlaub im Focus haben.

  15. 61.

    Ob 3 Tote/1,6 Mio geimpfte viel oder wenig ist, hängt davon ab, wieviele Menschen durch die Impfung gerettet werden. Kommt drauf an, ob man das Thema sozial- oder egopädagogisch sieht. ;)

  16. 60.

    Erst wird geprüft und dann eventuell eingesetzt. Wenn, dann wohl frühestens im Juni. Das Verfahren ist nämlich gründlich, insgesammt ca.60 Posten müssen geprüft werden.

  17. 58.

    Und nun? Ich halte mich lieber an das hier:

    "EMA currently remains of the view that the benefits of the AstraZeneca vaccine in preventing COVID-19, with its associated risk of hospitalisation and death, outweigh the risks of side effects."

    https://www.ema.europa.eu/en/news/emas-safety-committee-continues-investigation-covid-19-vaccine-astrazeneca-thromboembolic-events

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