rbb24
  1. rbb|24
  2. Panorama
Quelle: dpa/Christophe Gateau

rbb|24-Datenanalyse

So könnten die Inzidenz-Zahlen weitere Öffnungspläne durchkreuzen

Eine Öffnung in fünf Schritten haben Bund und Länder beschlossen. Doch steigende Inzidenz-Zahlen könnten diese Pläne schon bald durchkreuzen. Ein Statistik-Experte hat für rbb|24 verschiedene Szenarien durchgerechnet. Von Dominik Wurnig

Lockdown oder Lockerung - der komplexe Fünf-Stufen-Plan lässt offen, wie es weiter geht. Auch rbb|24 kann nicht in die Zukunft blicken, aber wir wagen an Hand von fundierten Szenarien-Berechnungen und Prognosen zur Auslastung der Intensivbetten eine Einschätzung.

Beschlossen wurde beim Bund-Länder-Treffen, ab dem 8.März schrittweise Öffnungen zu zulassen, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner unter 100 respektive unter 50 liegt. Zwei Wochen später (frühestens am 22.März) geht es dann weiter: Bei niedriger Inzidenz wird mehr zugelassen, steigt die Inzidenz über 100 kommt es zur Notbremse. (Wobei sich das Land Brandenburg zu einem Alleingang entschlossen hat und die Notbremse erst bei einer Inzidenz von 200 ziehen will.) Wieder zwei Wochen später dasselbe Spiel: Ist die Inzidenz niedrig genug, wird weiter gelockert.

Wo steht die Hauptstadtregion?

Die Sieben-Tage-Inzidenz lag zuletzt (Stand: 8.3.) in Berlin bei 70,4 und in Brandenburg bei 63,2 pro 100.000 Einwohner und Einwohnerinnen. Das zeigen die Zahlen der Berliner Senatsverwaltung beziehungsweise des Land Brandenburg. Weil Fallzahlen immer wieder nachgemeldet werden, setzt das Berechnungsmodell (siehe unten) am 27. Februar an. Die Reproduktionszahl R lag in Berlin zuletzt (Stand: 8.3.) zwischen 0,86 und 1,15 - die beste Schätzung liegt bei 1,01. Das heißt, 100 Covid-Infizierte stecken - statistisch gesehen - 101 andere Menschen an. Für das Land Brandenburg gibt es keine Berechnung der Reproduktionszahl R.

mehr zum Thema

Corona-Grafiken

Das sind die aktuellen Fallzahlen in Berlin und Brandenburg

Virus-Variante schwer einzuschätzen

Der Statistiker Lars Koppers vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat für rbb|24 exklusiv verschiedene Szenarien berechnet, wie sich die Inzidenz-Zahl in der Hauptstadtregion entwickeln könnte. "Szenarien können dazu beitragen, mögliche Zukünfte zu untersuchen. Sie sind keine Vorhersagen, sondern zeigen das Resultat mathematischer Gesetzmäßigkeiten unter der Annahme verschiedener Parameter", sagt Koppers. Unbekannte Einflüsse wie zum Beispiel saisonale Effekte werden nicht betrachtet, können aber einen relevanten Einfluss haben.

Besonders schwierig ist momentan einzuschätzen, wie hoch der Anteil der B.1.1.7-Virusvariante ist und wie sich dieser weiter entwickelt. "Die Berechnungen sind immer nur so gut wie ihre Grundannahmen", sagt Koppers. "Wächst zum Beispiel die B.1.1.7-Variante langsamer oder wird schneller oder langsamer geimpft, verändern sich die Resultate zum Teil deutlich." Weitere Parameter sind die Inzidenz bei Berechnungszeitpunkt und der Impffortschritt.

100er-Grenze möglicherweise schnell überschritten

Das erste Szenario ("Lockdown") geht davon aus, dass der Wildtyp-Virus wöchentlich um 20 Prozent zurückgeht und die Virusvariante B.1.1.7 um 40 Prozent wöchentlich ansteigt. Ab Anfang April wird zusätzlich ein bremsender Effekt durch Impfungen eingerechnet. Öffnungsschritte, die zu einem Anstieg der Reproduktionszahl führen würden, sind nicht miteinkalkuliert.

In dieser vorsichtigen Berechnung liegt die Inzidenz am 8.März bei 69 und damit knapp unter dem Berliner (70,4) und über der Brandenburger Inzidenz-Zahl (63,2). Das zeigt, dass es ein valides Berechnungsmodell ist. Bis zum nächsten möglichen Öffnungsschritt - am 22. März - steigt laut dieser vorsichtigen Berechnung die Inzidenz auf 97 pro 100.000 an. Allerdings: Das sind keine präzisen Vorhersagen, sondern zeigen vereinfacht den Zusammenhang verschiedener Effekte.

Wenn die Inzidenz dann zwischen 50 und 100 liegt, soll - mit negativem Schnelltest - Außengastronomie wieder möglich sein und Theater, Kinos sowie Konzert- und Opernhäuser wieder öffnen. Auch Sport wäre dann wieder erlaubt - im Innenbereich allerdings nur kontaktfreie Sportarten.

Das könnte aber nur eine kurze Freude sein: Wenn diese Szenario-Berechnung tatsächlich einträte, wäre die 100er-Schallmauer schon am nächsten Tag durchbrochen und die Notbremse wäre fällig. Das Land Brandenburg hat sich allerdings schon vorsorglich diese Selbstverpflichtung erst bei einer Inzidenz von 200 auferlegt.

mehr zum Thema

rbb|24-Datenanalyse

So viele Leben haben die Impfungen wohl schon gerettet

Pessimistische Szenario-Berechnung "Lockerung"

Die pessimistischere Berechnung "Szenario Lockerung" (in der obigen Grafik auf den Reiter "Szenario Lockerung" klicken) nimmt dagegen ein um zehn Prozentpunkte erhöhtes Wachstum auf Grund von Lockerungen oder verändertem Verhalten an. Das wöchentliche Wachstum der B.1.1.7-Variante läge damit bei 50 Prozent, der Rückgang der übrigen Varianten nur bei 10 Prozent.

Laut der Szenario-Berechnung "Lockerung" könnte es wohl nie zum nächsten Lockerungsschritt kommen, weil die 100er-Inzidenz schon Mitte März überschritten sein könnte und in Folge weiter steigen würde. Wie die Berechnung zeigt, würde die Virusvariante den Wildtyp schon sehr bald an den Rand drängen. Ein Eingreifen der Politik wäre dann sicherlich unvermeidlich und würde dadurch die Ausbreitung wiederum bremsen.

Prognose Intensivbettenauslastung

Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung der Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) prognostiziert regelmäßig, mit welcher Auslastung der Intensivbetten zu rechnen ist. Da momentan unklar ist, wie stark die Virusvariante B.1.1.7 bereits verbreitet ist, ist die Prognoserechnung allerdings sehr unsicher.

Berechnet wurden verschiedene Zeitpunkte für das Lockdown-Ende sowie Verläufe mit unterschiedlicher Reproduktionszahl R. Zuletzt wurde die R-Zahl in Berlin mit 1,01 durch die Senatsverwaltung berechnet. Durch Lockerungen oder durch ein weiteres Ausbreiten der Virusvariante könnte sie aber wieder sprunghaft ansteigen.

Eine Intensivbettenbelastung einer einzelnen Krankheit mit 6.000 gleichzeitig zu versorgenden Patienten ist eine historische Höchstmarke, die die bisherige aus der Influenzasaison 2018 um das Doppelte überschreitet. Rund um den Jahreswechsel waren die Krankenhäuser schon einmal an dieser Belastungsgrenze. Ob es bald wieder dazukommt, entscheiden das Virus, das Wetter, die Impfung und die Landesregierungen.

Artikel im mobilen Angebot lesen