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Video: rbb24 Abendschau | 25.08.2022 | Tobias Schmutzler | Studiogast: Andreas Geisel | Quelle: imago-images/Jochen Eckel

Neubaufinanzierung in Berlin

Landeseigene Unternehmen fordern bis zu 20 Prozent Eigentumswohnungen

Um Neubauprojekte in Berlin abzusichern, wollen SPD-Senator Geisel und die landeseigenen Wohnungsunternehmen eine Eigentumsquote. Ein Tabubruch für die Koalitionspartner – Applaus kommt von der Opposition. Von Tobias Schmutzler

Ein Feierabendbier direkt an der Havel genießen: Das ist ein Glück, das Martin Felix jeden Abend erleben kann. Der 30-jährige ist Mieter an der Waterkant – dem Vorzeige-Wohngebiet in Spandau, das die landeseigenen Unternehmen Gewobag und WBM neu bauen und Schritt für Schritt erweitern. Martin Felix ist vor zwei Jahren mit seiner Frau in eine Drei-Zimmer-Wohnung gezogen, sie waren damals unter den allerersten Mietern.

Wenn es nach dem Paar ginge, müsste ihr Wohnverhältnis auf Dauer nicht nur zur Miete sein. "Wir würden diese Wohnung kaufen, ja", sagt Martin Felix. Bisher hat er die Möglichkeit aber nicht. Kein Mieter einer landeseigenen Wohnungsgesellschaft hat aktuell die Aussicht, seine Wohnung irgendwann in Eigentum umzuwandeln. Ob sich das ändern soll, darüber herrscht erbitterter politischer Streit – und die Wohnungsunternehmen, die das direkt betrifft, haben selbst eine klare Meinung dazu.

Gesobau-Chef schlägt 15 bis 20 Prozent Eigentumsquote vor

"Wir halten es grundsätzlich für eine gute Idee, in größeren Neubauprojekten einen gewissen Anteil – wir hatten 15 bis 20 Prozent vorgeschlagen – auch als Wohnungseigentum abzubilden", sagt Jörg Franzen dem rbb. Er ist Vorstandsvorsitzender der Gesobau und Sprecher für alle landeseigenen Wohnungsgesellschaften. Ihm ist wichtig, zu betonen, dass die Landeseigenen andere Eigentumswohnungen planen würden, als die hochpreisigen, die jetzt den Markt bestimmen. "Wir würden natürlich keine Luxuswohnungen bauen und anbieten, sondern für die mittleren Einkommensschichten – wie die klassischen Beispiele Busfahrer, Polizist, Krankenschwester – bauen", sagt Franzen.

Nötig wäre dafür aber eine "entsprechende Finanzierungsunterstützung durch das Land, sonst funktioniert es aufgrund der Baupreise und der Kapitalmarktzinsen nicht im Moment", so der Gesobau-Chef. Aber das öffentliche Geld wäre aus seiner Sicht sinnvoll angelegt, um für mittlere Einkommensgruppen "Eigentumsbildung und Altersvorsorge anzubieten".

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Senator Geisel: "Brutale Veränderung" seit dem Ukraine-Krieg

Der Vorstoß ist offensichtlich mit Berlins Stadtentwicklungssenator abgestimmt. Andreas Geisel (SPD) hat schon in der Vergangenheit wiederholt für einen Anteil an Eigentumswohnungen bei den landeseigenen Gesellschaften geworben. Zuletzt brachte er in einem "Tagesspiegel"-Interview [Bezahlbeitrag] eine Querfinanzierung von Neubauprojekten ins Spiel – beispielsweise beim geplanten neuen Kurt-Schumacher-Quartier auf dem früheren Flughafengelände in Tegel.

In der rbb24 Abendschau bekräftigte Geisel seinen Vorschlag. "Mir ging es darum, Mieterinnen und Mieter an den Wertsteigerungen des Immobilienmarkts teilhaben zu lassen", sagte der SPD-Politiker am Donnerstagabend. Bisher hätten davon nur Vermieter profitiert, dies wolle er ändern. Sein Vorschlag ziele auf gut verdienende Mieter, die vertraglich zusichern müssten, dass sie selbst in der jeweiligen Eigentumswohnung leben würden.

Das neue Modell von landeseigen gebauten Eigentumswohnungen sei aus Geisels Sicht notwendig, um mit der "brutalen Veränderung der Realität" seit dem Ukraine-Krieg umzugehen. "Der Koalitionsvertrag stammt aus dem Dezember des vergangenen Jahres – wir haben aber seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine eine völlig neue Situation", so Geisel in der rbb24 Abendschau. Aufgrund der Baukostensteigerungen von 30 Prozent und der Verdreifachung der Zinsen würden bisherige Finanzierungsmodelle nicht mehr funktionieren. Darum habe er den Vorschlag landeseigener Eigentumswohnungen ins Spiel gebracht.

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Grüne: "Berlin darf alte Fehler nicht wiederholen"

Ein Plan, der in der rot-grün-roten Koalition auf heftigen Widerstand trifft. Die Linke lehnt Geisels Ideen strikt ab. Aus Sicht des Abgeordneten Niklas Schenker sollten die Landeseigenen sich auf den Neubau von Sozialwohnungen konzentrieren. "Berlin hat wirklich nicht das Problem, zu wenig Eigentumswohnungen zu haben", sagt der mietenpolitische Sprecher der Linken-Fraktion. "In den letzten fünf Jahren war ein Drittel aller Wohnungen, die gebaut wurden, Eigentumswohnungen – aber nur ein Sechstel waren Sozialwohnungen, obwohl 50 Prozent der Berlinerinnen und Berliner auf solche Wohnungen einen Anspruch haben." An diesem Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage müssten aus Schenkers Sicht vor allem die landeseigenen Wohnungsunternehmen etwas ändern, indem sie mehr Sozialwohnungen bauen.

Auch die Grünen laufen Sturm gegen den Vorschlag des SPD-Senators. Die wohnungspolitische Sprecherin Katrin Schmidberger sagt: "Berlin darf alte Fehler nicht wiederholen, der frühere Verkauf landeseigener Wohnungen rächt sich doch seit Jahren bitter." Zudem schließe "der Koalitionsvertrag eine Privatisierung von Boden oder Wohnraum mehrfach klar aus. Wir erwarten, dass die SPD sich daran hält", so Schmidberger.

Nicht mal ein Zehntel

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Unterstützung für Geisel von CDU und FDP

Anklang findet der Vorstoß des Wohnungssenators dagegen bei der Opposition. Nicht nur die CDU befürwortet Eigentumswohnungen bei den Landeseigenen. Auch die Liberalen finden den Plan gut. "Eigentlich sollte auch jeder in der Koalition an einer auskömmlichen Finanzierung der landeseigenen Wohnungsbauunternehmen interessiert sein", sagt Björn Jotzo, stadtentwicklungspolitischer Sprecher seiner Fraktion.

Die FDP will Eigentumswohnungen sogar nicht nur bei Neubauprojekten, sondern auch bestehende Wohnungen in Eigentum umwandeln – mit einem "Mietkaufmodell". Mieterinnen und Mieter sollten nach Vorstellung der Liberalen schon durch ihre Mietzahlungen einen späteren Kauf vorfinanzieren können. Zusätzlich fordert Björn Jotzo im Rahmen des Mietkaufmodells vom Staat "Darlehen, die das nötige Eigenkapital teilweise ersetzen", um den Kauf erleichtern.

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Sollen auch Bestandswohnungen in Eigentum umgewandelt werden?

Falls die Landesregierung künftig mehrheitlich landeseigene Eigentumswohnungen unterstützen sollte, würden aber voraussichtlich zuerst Mieterinnen und Mieter in Neubauprojekten davon profitieren. Martin Felix, der Mieter an der Waterkant, hätte erstmal nichts davon. Dass auch schon gebaute, landeseigene Bestandswohnungen – wie Felix’ Drei-Zimmer-Wohnung in Spandau – in Eigentum umgewandelt werden, erscheint aktuell noch unrealistischer als die Querfinanzierung von Neubauprojekten.

Trotzdem setzt Martin Felix darauf. Er und seine Frau möchten sich über kurz oder lang Eigentum anschaffen – und beide können sich vorstellen, langfristig an der Waterkant zu wohnen. Angesichts der Preise auf dem freien Markt, auf dem heute nicht selten 700.000 oder 800.000 Euro für Immobilien fällig werden, schreckt Felix aber zurück. Er hofft darauf, eines Tages günstiger eine Eigentumswohnung bei den Landeseigenen zu finden. Die offene politische Frage bleibt, ob das Land Berlin solche Träume mit öffentlichem Geld unterstützen sollte.

Sendung: rbb24 Abendschau, 25.08.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Tobias Schmutzler

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