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Audio: Inforadio | 04.03.2021 | Sebastian Schöbel | Quelle: www.imago-images.de/Kremming

Reaktionen auf Bund-Länder-Gipfel

Fast alle Regierungschefs zufrieden - Gesundheitsexperten warnen

Nach dem Bund-Länder-Gipfel haben Berlins Regierender Bürgermeister Müller und Brandenburgs Regierungschef Woidke die Öffnungsschritte verteidigt. Mediziner sind nicht begeistert - der SPD-Experte Lauterbach erwartet ein baldiges Scheitern.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat den von Bund und Ländern vereinbarten Stufenplan zu möglichen Öffnungsschritten als gut nachvollziehbar gelobt. "Das ist ein Plan, den wir haben, der auf eine DIN-A-4-Seite passt, und wo jeder eins zu eins nachvollziehen kann, wo stehen wir jetzt und worauf kann ich mich einrichten", sagte Müller nach den Beratungen der Länderchefs mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Nacht zu Donnerstag.

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Woidke: Akzeptanz nur durch Verlässlichkeit

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) wertete die Beschlüsse des Bund-Länder-Gipfels als wichtiges Signal. Es sei gut, dass die Ministerpräsidentenkonferenz ihr Versprechen gehalten habe und mit Beschlüssen zu ersten Lockerungsschritten vorangekommen sei, sagte er. "Nur durch Verlässlichkeit erreichen wir Akzeptanz. Und das ist die Grundvoraussetzung, damit wir gemeinsam aus der Pandemie kommen."

Allerdings war Sachsen bei der Bund-Länder-Runde ausgeschert. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ließ in einer Protokollnotiz festhalten [mdr.de]: "Der Freistaat Sachsen hält die hier beschlossenen unkonditionierten Öffnungen angesichts der aktuellen und absehbaren Infektionslage sowie Impfquote für nicht vertretbar; er ist der Ansicht, dass Öffnungen mit einem verpflichtenden und funktionierenden Testregime gekoppelt sein müssen."

Lauterbach: Anfang April ist alles vorbei

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach äußerte sich besorgt zu den Beschlüssen des Spitzentreffens: "Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass mit diesem Beschluss die 3. Welle langsam anläuft. Es kann sogar sein, dass das Terminshopping und Außengastro kurz anläuft. Aber spätestens Anfang April liegt die Inzidenz über 100 und das Intermezzo ist beendet", schrieb Lauterbach bei Twitter.

Ähnliche Bedenken führten Notfallmediziner an. "Ich rechne damit, dass wir durch die beschlossenen Öffnungsszenarien deutlich steigende Zahlen von Neuinfektionen erleben werden - und dann auch vermehrt Intensivpatienten mit Covid-19", sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx. "Wir hätten uns drei weitere Wochen Zeit für das Umsetzen der Impfstrategie gewünscht", bilanzierte Marx.

"Epidemiologisch kurzsichtig"

Der Epidemiologe Rafael Mikolajczyk sieht in den Beschlüssen das Risiko eines falschen Signals an die Bevölkerung. "Lockerung in den Einstellungen kann größere Folgen haben als die Regeln selbst", sagte der Wissenschaftler der Universitätsklinik Halle der Nachrichtenagentur DPA. Das vereinbarte regionale Vorgehen sei zwar psychologisch und politisch verständlich, "epidemiologisch ist es kurzsichtig", so Mikolajczyk. Es bestehe noch eine Gefahr der Überlastung des Gesundheitssystems.

Kritik kam auch vom Verband Bildung und Erziehung. Das nur einmalige Testen pro Woche an Schulen und Kitas sei "eindeutig zu wenig und schafft eine eher gefährliche Scheinsicherheit", hieß es in einer Stellungnahme vom Donnerstag. "Sicher ist nur, dass es keinen sicheren Schulbetrieb geben wird."

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"Es war nötig, jetzt auch Perspektiven aufzuzeigen, gerade für die Wirtschaft", sagte Kai Wegner, Landeschef der Berliner CDU, dem rbb. Der Stufenplan sei ein "Lichtblick". Da sich die Inzidenzen auf gleichbleibendem Niveau bewegten und sich die Lage an den Krankenhäusern entspanne, sei es richtig, von der deutlich niedrigeren Schwelle von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern innerhalb einer Woche abzurücken, so Wegner weiter.

AfD-Fraktionschef Georg Pazderski bezeichnete den Stufenplan als "undurchdringlichen Wald aus neuen Regeln, Verboten und Vorschriften". Die Fortsetzung des Lockdowns lehnte Pazderski wegen der Auswirkungen für Wirtschaft und Gesellschaft ab. "Berlin und Deutschland fahren immer tiefer in den Abgrund."

Auch der Berliner Linken-Fraktionschef Carsten Schatz hält den Stufenplan für zu kompliziert. "Hier werden die Leute mit Inzidenzen-Zahlensalat verwirrt. Niemand wird wissen, wann was wie warum erlaubt ist." Deutschland stehe vor einer möglichen dritten Welle, sagte Schatz dem rbb. "Wir haben alles zu tun, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern."

Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch kritisierte, dass beim Bund-Länder-Treffen nicht mehr zur Verfügbarkeit von Schnelltests gesagt worden sei. Sie forderte im rbb, dass nun in Berlin Erzieherinnen und Erzieher schnellstmöglich Test- und Impfangebote bekommen müssten, bevor die Kitas kommende Woche zum eingeschränkten Regelbetrieb zurückkehren.

Sendung: Inforadio, 04.03.2021, 12 Uhr

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