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Audio: Inforadio | 07.05.2021 | Sabine Müller | Quelle: dpa/Matthias Stolt

Zu wenig bestellt

Berlin droht ein Engpass bei den Astrazeneca-Zweitimpfungen

Für die zweiten Astrazeneca-Spritzen in den Impfzentren gibt es momentan nicht genug Impfstoff. Das Problem dabei: Es kommt auch erstmal keiner mehr, weil die Gesundheitsverwaltung nichts bestellt hat. Von Sabine Müller

Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) saß am Dienstag vergangenener Woche im Studio der rbb-Abendschau und versuchte, eine Frage von Moderator Sascha Hingst abzubügeln. Der wollte wissen, ob es stimme, dass Berlin kein Astrazeneca mehr bekomme, weil nichts bestellt worden sei. "Das ist falsch", belehrte ihn Kalayci. Arztpraxen bekämen diesen Impfstoff sehr wohl. Für die Impfzentren, gab sie dann aber zu, gebe es in der Tat kein Astrazeneca mehr. Da habe man nur noch "minimale Reserven" für Zweitimpfungen bei über 60-Jährigen.

Und die Senatorin ergänzte spitz: "Unsere Impfzentren konzentrieren sich auf Biontech und Moderna. Was ja gut ist. Ich weiß nicht, was daran zu kritisieren ist."

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Die Bestell-Strategie der Gesundheitsverwaltung

Auf den ersten Blick sieht es tatsächlich nach einer klugen Entscheidung aus, dass sich die Berliner Gesundheitsverwaltung allein auf Biontech und Moderna konzentriert. Schließlich sind das die unproblematischen Impfstoffe, die ohne Einschränkungen verabreicht werden können - auch an unter 60-Jährige. Und hätte die Gesundheitsverwaltung beim Bundes-Gesundheitsministerium für die nächsten Wochen Astrazeneca geordert, wäre diese Bestellmenge mit den anderen Impfstoffen verrechnet worden: Berlin hätte für seine Impfzentren also weniger Biontech und Moderna bekommen.

Erklärtes Ziel der Gesundheitsverwaltung ist es, möglichst schnell möglichst viele Erstimpfungen vorzunehmen und wenige Dosen für Zweitimpfungen zurückzuhalten, weil ja laufend Nachschub kommt. Aber das ist bei Astrazeneca nicht der Fall. Die Liefer-Liste des Bundesgesundheitsministeriums zeigt, dass Berlin Mitte April die letzte Astrazeneca-Lieferung bekam und bis Ende Juni nichts mehr nachkommt.

Schweigen zu den Zahlen

Eigentlich müsste es für die Gesundheitsverwaltung kein Problem sein, Zahlen zu liefern: Wie viele Zweitimpfungen von über 60-Jährigen mit Astrazeneca müssen in den Impfzentren in den nächsten Wochen durchgeführt werden? Sind die notwendigen Impfdosen in ausreichender Menge vorhanden? Doch die Behörde von Senatorin Kalayci mauert, nennt auf detaillierte rbb-Fragen zu diesen und anderen Aspekten keine einzige konkrete Zahl.

In der Antwort auf eine aktuelle Anfrage des FDP-Politikers Stefan Förster findet sich zumindest diese Angabe: Mehr als 58.000 Menschen zwischen 60 und 69 Jahren haben in den Berliner Impfzentren die erste Spritze Astrazeneca bekommen. Zweitimpfungen mit Astrazeneca gab es in den Berliner Impfzentren laut RKI-Webseite bisher nicht.

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Das bedeutet, dass für die Zweitimpfungen der über 60-Jährigen mehr als 58.000 Dosen Astrazeneca gebraucht werden. In einem Papier aus der Gesundheitsverwaltung von Ende April, das mit dem Hinweis "Nur für den internen Gebrauch!" versehen ist und dem rbb vorliegt, sind als vorhandene Dosen gelistet: 46.143. Es fehlen aktuell also Tausende Impfdosen.

Ein Verantwortlicher, der sich mit Impfzentren und Impfstoff-Lieferungen sehr gut auskennt und anonym bleiben will, sagt: "Es stimmt, wir haben zu wenig." Nachbestellen geht aber erstmal nicht, denn die Bestellfrist für den Bedarf für Juni endete am 27. April. Nachschub beim Bundesgesundheitsministerium kann die Gesundheitsverwaltung also frühestens für Juli ordern.

Auf Kante genäht oder nicht zu schaffen?

Indirekt gibt die Gesundheitsverwaltung selbst zu, dass in den Impfzentren ein Engpass droht. Sie schreibt dem rbb: "Positiv ist, dass wir nach vorläufigen Zahlen mit den Impfdosen von Astrazeneca bis weit in den Juni hinein hinkommen." "Bis weit in den Juni" heißt aber: Nicht bis Ende Juni. Und erst recht nicht bis Mitte Juli.

Der 13. Juli ist ein wichtiger Stichtag: Weil die Berliner Impfzentren die letzten Erstimpfungen mit Astrazeneca am 20. April vorgenommen haben, sind die zwölf Wochen danach angesetzten Zweitimpfungen bis spätestens zum 13. Juli fällig. Wie schnell im Juli wie viel Astrazeneca für die Impfzentren kommen könnte, ist unklar. Im besten Fall ist der Terminplan für die Zweitimpfungen der über 60-Jährigen auf Kante genäht. Im schlechtesten Fall passt es hinten und vorne nicht.

Planlos Richtung Sommer

Was dann passieren würde, kommentiert die Gesundheitsverwaltung lapidar so: Wenn am Ende ein paar Dosen fehlten, könne man nachordern, dazu gebe es die Bereitschaft. Die Frage ist aber: Bei wem würde man nachordern? Beim Bundesgesundheitsministerium ist die Frist längst abgelaufen. Will man im Notfall die Berliner Arztpraxen um Impfdosen anbetteln? Darauf hoffen, dass viele Astrazeneca-Impflinge zur zweiten Impfung in die Praxen gehen, weil das für sie komfortabler ist? Oder sollen Astrazeneca-Zweitimpfungen in den Impfzentren im Notfall mit einem anderen Impfstoff vorgenommen werden?

Auf all diese Fragen gibt die Gesundheitsverwaltung keine Antwort, sie wirkt planlos. Gesundheits-Senatorin Dilek Kalayci ist aber offenbar nicht nur gegenüber der Presse wenig auskunftsfreudig. Auch im Senat habe es schon Nachfragen zu Astrazeneca gegeben, berichten informierte Kreise. Zufriedenstellende Antworten seien allerdings nicht geliefert worden.

Bund würde wohl aushelfen

Am Freitag wurde schließlich bekannt, dass der Bund wohl aushelfen würde, sollte es in Berlin zu einem Mangel an Astrazeneca-Impfdosen kommen.

Angesprochen auf mögliche Engpässe sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf einer Pressekonferenz: "Wenn Berlin Bedarf hat für Zweitimpfungen an AstraZeneca, haben wir den bis jetzt immer gedeckt. Und den werden wir auch in Zukunft weiter decken."

Ein Sprecher der Gesundheitsverwaltung kommentierte das folgendermaßen: „Wenn Herr Spahn das sagt, nehmen wir das erfreut zur Kenntnis."

Sendung: Inforadio, 07.05.2021, 7 Uhr

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Beitrag von Sabine Müller

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