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Quelle: dpa/Jan Woitas

Kinder, Pflege, Küche, Haushalt

Das unbezahlte Milliardengeschäft

Frauen arbeiten mehr, werden aber seltener dafür bezahlt, da sie sich öfter um Haushalt und Nachwuchs kümmern. Das hat Folgen: von geringeren Karrierechancen bis hin zum Rentenbescheid. Ideen um das zu ändern, gibt es viele. Von Oliver Noffke

Wäsche sortieren, waschen, aufhängen, bügeln – und wieder sortieren. Einkaufen, kochen, abwaschen. Die Kinder bespaßen, Fieber messen, trösten. Mit dem greisen Vater zum Arzt oder auf die Bank. Putzen, pflegen, kümmern. Das Bisschen Haushalt eben, das jeden Tag mehrere Stunden in Anspruch nimmt und oftmals von Frauen erledigt wird.

"Ich stehe um 6 Uhr auf und hänge die Wäsche auf, die über Nacht gelaufen ist", beschreibt die 37-jährige Janina ihren Alltag als alleinerziehende Mutter von drei Kindern zwischen zwei und sechs Jahren. "Dann ziehe ich meine Kinder an, bringe sie zur Schule oder zur Kita. Und dann geht's in meinen normalen Job." Wieder zu Hause verbringe sie mehrere Stunden mit Hausarbeit und Kinderbetreuung, sagt die Berlinerin. "Wenn ich Glück habe, habe ich um 20 Uhr Feierabend."

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"Sorgearbeit gehört in die Wertschöpfungskette"

Sorgearbeit – oder auch Care-Arbeit – ist die Grundlage für das Zusammenleben innerhalb von Familien sowie für eine funktionierende Wirtschaft, sagt Antje Asmus vom Deutschen Frauenrat. "Wenn ich das volkswirtschaftlich betrachte, gehört Sorgearbeit in die Wertschöpfungskette von sämtlichen Dingen, die hergestellt oder angeboten werden." Idealerweise sollte Hausarbeit oder private Pflege ihrer Meinung nach als Teil des Bruttosozialprodukts gedacht werden. "Tatsächlich ist sie derzeit unterbewertet, was sich auch ausdrückt im Markt der professionell erbrachten Sorgearbeit, in Unterbezahlung und prekären Arbeitsverhältnissen", sagt Asmus und meint damit die Gehälter, die an Pflege- und Putzkräfte oder in Kitas gezahlt werden.

Die Hilfsorganisation Oxfam berichtete im vergangenen Jahr, würden sämtliche dieser weltweit durchgeführten Haushaltstätigkeiten vergütet, hätten sie einen ökonomischen Wert von 10,8 Billionen US-Dollar. Das wäre etwa das Dreifache dessen, was die IT-Branche international an Umsatz erwirtschaftet.

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Frauen arbeiten täglich mehr, werden aber seltener bezahlt

Auch das Statistische Bundesamt hat sich bereits mit dem Thema beschäftigt. 2016 schätzte die Behörde, dass der Wert von unbezahlter Arbeit in Deutschland mindestens einem Drittel des Bruttosozialprodukts entspricht [destatis.de]. Allein in Deutschland geht der Wert dieser Tätigkeiten also in die Milliarden.

Die Pandemie dürfte das noch einmal deutlich nach oben geschraubt haben. Als Kitas, Schulen und Betreuungsangebote für Pflegebedürftige geschlossen wurden, sind oft Angehörige eingesprungen. Wie eine Datenanalyse von rbb|24 zeigt, ist während des ersten Lockdowns diese zusätzliche Belastung bei Müttern auf ein besonders hohes Maß angestiegen. Denn schon vor Corona leisteten sie im Schnitt wesentlich mehr Sorgearbeit als Väter. Hier zeigt sich das sogenannte Gender-Care-Gap – also die unterschiedliche Arbeitszeit von Männern und Frauen für Hausarbeit und Kinder.

Im weltweiten Durchschnitt arbeiten Männer sechs Stunden und 44 Minuten pro Tag, so Oxfam. Für fünf Stunden und 21 Minuten davon würden sie entlohnt. Frauen arbeiteten hingegen durchschnittlich sieben Stunden und 28 Minuten pro Tag, erhielten aber nur für drei Stunden drei Minuten Lohn. Dass Hausarbeiten nicht bezahlt werden, führt laut der Organisation zu Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, zu Abhängigkeiten und schlussendlich in die Armut [oxfam.de].

Hausarbeit bezahlen: seit Jahrzehnten gefordert und umstritten

Dies sehe man auch in Deutschland, sagt Antje Asmus, wenn in Beziehungen Sorgearbeit ungleich verteilt ist. "Was in der Folge dazu führt, dass weniger Möglichkeiten bestehen, erwerbstätig zu sein und damit eigenes Einkommen zu generieren." Wodurch auch geringere Beiträge in die Sozialversicherungen eingezahlt werden und schlussendlich auch die Renten niedriger sind. "Auch das Elterngeld wird ja anhand des Nettos berechnet", erklärt sie. "Bei allen Leistungen, die der Staat anbietet und die sich vom Einkommen ableiten, zieht von vornherein den Kürzeren, wer weniger erwirtschaftet." Meist im Nachteil: Frauen. Wobei das Ehegattensplitting [tagesschau.de] die Effekte noch verstärke. Wer im eigenen Zuhause viel leiste, arbeitet wahrscheinlicher in Teilzeit und erhält seltener Chancen, Karriere zu machen.

"Wages for Housework" - also Lohn für Hausarbeit – ist eine Forderung von Frauenrechtlerinnen aus den USA, Großbritannien, Kanada, Italien und anderen Ländern, die das ändern wollen. Seit knapp 50 Jahren wird diese Idee diskutiert. Die Initiatorinnen um die US-Amerikanerin Selma James sehen die Bezahlung von Hausarbeit durch den Staat als einen Schritt, der insbesondere Frauen finanziell unabhängig machen würde. Kritik an der Bewegung kommt insbesondere von vielen feministischen Gruppen. Wenn stärkere Anreize geschaffen werden, Hausfrau zu bleiben, werde das in anderen Bereichen nicht die Karrierechancen von Frauen verbessern, sagen sie.

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Gutscheine? Bessere Angebote? Verringerte Vollzeit?

Ähnlich sieht das auch der Deutsche Frauenrat. Er wirbt zum einen für eine gerechtere Verteilung zwischen den Geschlechtern und fordert den Staat auf, mehr Angebote zu schaffen, die für Entlastung sorgen. Ganztagsschulen, mehr Tagespflegestellen für Angehörige, Bereitschaftsdienste. "Das wären alles Maßnahmen, die man bereitstellen könnte, um die Sorgearbeit insgesamt anders zu verteilen", sagt Asmus – also auch das Gender-Care-Gap zwischen Frauen und Männern zu verringern.

Auch ein Modell wie in Belgien könne sie sich vorstellen, sagt Asmus. Dort vergibt der Staat seit 2004 unter bestimmten Voraussetzungen Gutscheine, die sie zum Beispiel bei Putzdiensten oder Haushaltshilfen eingelöst werden können. Für Familien bedeutet dies eine Entlastung. Gleichzeitig werde so Schwarzarbeit bekämpft und Branchen unterstützt, in denen die Beschäftigten – überwiegend Frauen – traditionell nur sehr niedrige Löhne erhalten, sagt Asmus. Auch Alleinerziehende würden von solchen Angeboten unmittelbar profitieren können.

Auch die 37-jährige Janina hält nichts von einer direkten Bezahlung von Sorgearbeit. "Wir sollten eine verringerte Vollzeitarbeitszeit haben", sagt sie. "Eine Alleinerziehende mit zwei Kindern würde vier Stunden pro Kind angerechnet bekommen und bekäme dennoch für diese 32-Stunden-Woche den Vollzeitlohn." Aufgestockt werden sollte der Lohn vom Staat. Gleichzeitig würde die Alleinerziehende auf ihr Gesamteinkommen Steuern zahlen, aber vor allem auch in die Rentenkasse einzahlen - und so die Gefahr von Altersarmut verringern.

Auch für Antje Asmus vom Frauenrat ist eine Öffnung hin zu neuen Arbeitszeitmodellen ein längst überfälliger Schritt. "Es darf kein Tabu sein, dass es viel mehr Angebote an Teilzeit gibt auch für Männer." Wenn Männer in Beziehungen die Möglichkeit hätten, einige Stunden weniger zu arbeiten, entlaste das auch ihre Partnerinnen. Sie müssten dann nicht mehr so stark reduzieren, sagt Asmus. "Aber die Männer, die das wollen, stoßen ja auch auf Hürden."

Beitrag von Oliver Noffke

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