Psychische Gesundheit in der Pandemie - "Frauen leiden mehr unter Ängsten und Depressionen als Männer"

Was die Pandemie psychisch bei Menschen ausgelöst hat, zeigt sich erst nach und nach. Die Sozialpsychologin Theresa Entringer erklärt, welche Gruppen besonders schlecht durch die Krise kamen - und warum.
rbb|24: Frau Entringer, Sie haben sich - ähnlich wie wir - angeschaut, wie sich die psychische Gesundheit in der Pandemie verändert hat. Sie haben aber durch Ihre Arbeit am Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) auch neuere, deutschlandweit erhobene Daten und konnten darum zusätzlich die Unterschiede zwischen dem ersten und dem zweiten Lockdown untersuchen. Um welche Aspekte ging es?
Theresa Entringer: Wir haben uns hauptsächlich drei Themenbereiche angeschaut: Einsamkeit, Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit sowie Ängste und Depressionen.
War der erste Lockdown schlimmer oder der zweite?
Das kommt ganz darauf an, worauf man schaut. Ängste und Depressionen verspürten die Menschen im zweiten Lockdown eher sogar weniger als im ersten. Wir vermuten, dass da eine Art Gewöhnung eingesetzt hat. Beim ersten Lockdown wussten wir alle nicht, was uns bevorsteht. Beim zweiten war das Ganze - trotz der langen Zeit - vorhersehbarer.
Wenn es aber um die Lebenszufriedenheit und das Wohlbefinden geht: Diese haben im zweiten Lockdown abgenommen. Das ist insofern relevant, weil das zwei Dinge sind, die gegen einzelne Ereignisse und Krisen im Leben recht stabil sind. Sprich: Selbst der Tod eines Lebenspartners oder einer Lebenspartnerin verändert in der Regel nicht die Lebenszufriedenheit allzu stark. Dass wir da einen Effekt sehen, auch wenn er klein ist, ist also bedeutsam und macht uns ein bisschen Sorgen.
Beim Thema Einsamkeit ist es schließlich besonders komplex. Einerseits sind die Veränderungen hier sehr stark. Eine Person, die während des ersten Lockdowns zum Durchschnitt in Sachen empfundene Einsamkeit zählte, hätte noch im Jahr 2017 zu der Gruppe der einsamsten Menschen in Deutschland gehört. Andererseits sehen wir auch, dass nach dem ersten Lockdown im Sommer die Einsamkeit sehr zurückging und im zweiten Lockdown auch nicht das Niveau vom ersten Lockdown überschritten wurde. Das macht ein wenig Hoffnung, dass wir es hier eher mit zeitweiliger Zustandseinsamkeit zu tun haben anstatt mit chronischer Einsamkeit.
Gab es denn Unterschiede zwischen den Geschlechtern? Wir sehen da in unseren Daten durchaus deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen beziehungsweise Vätern und Müttern.
Ja, insgesamt muss man sagen, dass es drei Gruppen gibt, die schlechter durch die Krise kamen - psychisch gesehen. Menschen mit Migrationshintergrund, jüngere Menschen - und eben Frauen. Frauen waren einsamer als Männer in beiden Lockdowns und litten mehr unter Ängsten und Depressionen. Und auch ihr Ausblick auf das Leben hat sich deutlicher verschlechtert.
Wieso sind denn Frauen stärker betroffen?
Wir haben derzeit nur Vermutungen, weil wir in den Befragungen nicht genau nach den Gründen für eine Veränderung fragen. Aber es gibt zwei Thesen: Entweder gibt es grundsätzliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen, was die Bedürfnisse angeht. Zum Beispiel, dass Frauen viel sozialer sind als Männer und die Kontaktbeschränkungen sie deswegen härter getroffen haben - auch wenn sie formal für alle gleich waren.
Das kann sicher eine Rolle spielen, aber nach allem, was wir sehen, scheint das nicht der Hauptgrund zu sein. Es ist wohl eher so, dass es strukturelle Unterschiede und Benachteiligung gibt, die die Pandemie für Frauen härter gemacht hat.
Was für strukturelle Unterschiede wären das?
Zum Beispiel arbeiten tendenziell mehr Frauen als Selbstständige in Bereichen mit viel Kundenkontakt. Denken Sie zum Beispiel an die vielen Geschäfte, die keine Supermärkte sind. Die waren natürlich während der Lockdowns zu und entsprechend hat das Ganze wohl mehr Frauen finanziell getroffen. Und der andere Faktor ist sicherlich, dass Frauen sich mehr um Kinder und Haushalt kümmern mussten.
Da zeigen Daten aber ja, dass das Mehr an dieser sogenannten Care-Arbeit, also dem Kümmern um Haushalt und Kinder, sich eher gleichmäßig zwischen den Geschlechtern verteilt hat.
Das mag prinzipiell stimmen, doch da gibt es natürlich zwei große Abers. Zum einen ist nicht Care-Arbeit gleich Care-Arbeit. Die halbe Stunde Einkauf im Supermarkt ist sicher nicht so anstrengend wie ein Kind eine halbe Stunde zu bespaßen.
Zum anderen gab es aber eben auch einen Unterschied zwischen den Geschlechtern bei der Care-Arbeit vor der Pandemie. Frauen haben schon zuvor deutlich mehr Care-Arbeit übernommen als Männer. Und entsprechend gilt auch: Drei Stunden mehr an Care-Arbeit bedeuten etwas anderes, wenn ich dadurch die achte, neunte oder zehnte Stunde den Haushalt schmeiße, als wenn ich jetzt mal fünf bis sechs Stunden mithelfe statt zwei oder drei Stunden.
Frauen sind also durch die Krise einsamer, unzufriedener und auch ängstlicher geworden. Was ließe sich denn gegen all das unternehmen?
Wenn es unmittelbar um die psychische Gesundheit geht, sollte man überlegen, wie man das Angebot für psychologische Hilfe aufstockt. Wir wissen ja, dass die Wartezeiten für eine Therapie sehr lang sind und wir nicht gut vorbereitet sind auf eine Zunahme der Nachfrage. Wenn man nun zeitweilig Psychotherapeuten ohne Kassenzulassung erlauben würde, Therapien über die gesetzliche Krankenkasse abzurechnen, könnte das ein wenig die Versorgungslage entspannen – genauso wie Online-Angebote.
Und das andere ist natürlich, dass man die Lasten zwischen Mann und Frau, Vater und Mutter gerechter verteilt. So dass eben nicht der eine sieben und der andere drei Stunden Care-Arbeit übernimmt.
Wie soll das funktionieren? Der Staat kann ja schlecht in Beziehungen reinreden.
Nein, aber man könnte zum Beispiel sagen, Elternzeit kann man wirklich nur beanspruchen, wenn man sich die Elternzeit fünfzig-fünfzig aufteilt. Man könnte es einfacher machen, dass auch Männer in Teilzeit weiterarbeiten und es grundsätzlich erleichtern, dass Männer und Frauen trotz Teilzeit Karriere machen. Und dann gibt es natürlich so alte Zankapfel wie das Ehegattensplitting, das im Grunde ungleiche Einkommensverhältnisse zwischen Ehepartnern unterstützt.
Sendung: Radioeins, 09. September, 15 Uhr