Kommentar | Wahlen in Brandenburg - Verzweifelt gesucht: Konzepte gegen Rechtsaußen

Mo 10.06.24 | 17:50 Uhr | Von Thomas Bittner
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Wahlen in Berlin (Quelle: dpa)
Video: rbb24 Spezial | 10.06.2024 | Thomas Bittner | Bild: dpa

Die AfD hat in Brandenburg die Europawahl und die Kommunalwahlen gewonnen. Von Denkzettel-Wahl könne dabei keine Rede sein. Wer Rechtsaußen verhindern will, muss ein besseres Angebot machen, kommentiert Thomas Bittner.

Die Brandenburgerinnen und Brandenburger sind politisiert wie selten. Noch nie war die Wahlbeteiligung bei einer Europa- oder Kommunalwahl höher. Nur einmal, als am gleichen Tag 1998 die Bundestagswahl stattfand, gingen mehr Menschen an die Wahlurnen, um Gemeindevertreter, Stadtverordnete oder Kreistagsmitglieder zu wählen.

Dabei war noch vor Wochen vielen gar nicht bewusst, wofür all die frischen Wahlplakate an den Laternenpfählen hingen. Die Politisierung fand erst über den Wahlkampf statt. Ganz bewusst nahmen die Bürgerinnen und Bürger die Gelegenheit wahr, ein Zeichen zu setzen. Aber anders als von vielen erwartet.

Das Lager derjenigen, die die etablierte Politik und ihre eingeübten Rituale ablehnen, hat in Brandenburg die Oberhand gewonnen. Rechnet man bei der Europawahl die Wahlergebnisse von AfD, BSW und all den unabhängigen Kräften, die mit klassischen Parteien nichts am Hut haben, zusammen, kommt man auf eine Mehrheit. Selbst eine Allianz aus CDU, SPD, Grünen, Linken und FDP – so unwahrscheinlich sie auch ist - hätte unter solchen Umständen in Brandenburg keine Chance. Klassische Koalitionen, Kompromissfindungen und Konfliktlösungen sind weniger gefragt denn je.

AfD etabliert sich

Von Denkzettel-Wahl kann keine Rede sein. Es geht um die Substanz. Die Wählenden haben ganz bewusst den Regierenden in Potsdam, aber mehr noch in Berlin, die rote Karte gezeigt. Grüne und SPD - die Kanzler, Ministerpräsident und Minister stellen - gehen mit starken Verlusten aus diesem Wahlsonntag.

Die Brandenburger CDU kann aus ihrem Oppositionsstatus im Bund etwas Kapital schlagen und gewinnt ein wenig dazu. Das mag für manche das einzige Trostpflaster dieses Urnengangs sein. Wer hätte früher gedacht, dass die märkische CDU eines Tages für Stabilität in Brandenburg steht?

Die AfD etabliert sich im Land. Auch bei den Kommunalwahlen ist sie vorn. Das war vor fünf Jahren noch anders. Und die Hoffnung, dass sich das Blatt bis zur Landtagswahl im September wendet, schwindet. Die Fundamentalopposition der AfD gegen die Migrationspolitik von EU, Bund und Ländern, gegen die Ukraine-Strategie Deutschlands, gegen die Corona-Maßnahmen der Vergangenheit und gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wiegt als Argument für mehr als ein Viertel der Brandenburger Wählerinnen und Wähler heute schwerer als öffentlich bekannt gewordene Verfehlungen und extremistische Abschweifungen der Rechtsalternativen.

Das Bündnis von Sahra Wagenknecht, das die Skepsis in Sachen Migration, Ukraine und Corona teilt, erweitert das Spektrum. Wer glaubte, dass die Wagenknecht-Partei der AfD etwas vom Potenzial nimmt, der sieht sich getäuscht. Mit ihr haben eher ehemalige Linken- und SPD-Wähler ein neues Auffangbecken für ihre Enttäuschung gefunden. Mit AfD und BSW scheint es jetzt auch zwei neue Regionalparteien zu geben, die auf der politischen Landkarte der Bundesrepublik den Osten anders einfärben als den Westen.

Regierungsparteien unter Druck

Die AfD hat die beiden Wahlen in Brandenburg nicht wegen der besseren Konzepte gewonnen, sondern weil die Konzepte der Verantwortlichen und sich verantwortlich Fühlenden für eine große Gruppe von Menschen nicht funktionieren. Wer dem Aufstieg der Rechtsaußen-Logik von Abschottung, weniger Minderheitenschutz und mehr Sicherheitsapparatur, von Appeasement gegenüber Moskau und Peking, etwas entgegensetzen will, muss dieser Gruppe ein besseres Angebot machen. Muss den Beweis erbringen, dass eine offene Gesellschaft die Gemeinschaft stärkt, statt spaltet. Muss dafür auch akzeptierte Regeln finden und diese konsequent einhalten.

Nur noch gut drei Monate bis zur Landtagswahl. Die AfD geht mit Selbstbewusstsein in den heißen Wahlkampfsommer. Die Potsdamer Regierungsparteien stehen unter massivem Druck. Und von Brandenburgs Opposition, die jetzt mit demokratischen Alternativen aufwarten müsste, ist nicht viel zu erwarten. Die Linke steht vor den Trümmern ihrer Existenz, die FDP muss erst einmal in die Nähe der 5-Prozent-Hürde kommen. BVB/Freie Wähler hat noch nicht bewiesen, dass sie mehr kann als nur die Bündelung vieler Einzelinteressen ins Parlament zu tragen.

Die Politiker haben viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Denn eines scheint sicher: Die Brandenburger werden auch im September so politisiert wie selten wählen gehen.

 

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell 10.06.2024, 19:40 Uhr

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Beitrag von Thomas Bittner

46 Kommentare

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  1. 45.

    "Warum sollte nicht der Herr Merz mit der AfD zusammenarbeiten schlimmer wie es jetzt ist kann es eigentlich nicht werden."
    Solche Aussagen verstehe ich nicht. Ist das naiv, geschichtsvergessen? Blindheit gegenüber dem Horror Ländern wie Myanmar? Wir haben eine Pandemie (!) ziemlich schadlos überstanden, die weltweite Inflation hat nicht dazu geführt dass man nach Brot Schlange stehen oder zu viert in einem dunklen Zimmer wohnen muss. Und obwohl der ehemals größte Gasversorger für Europa versucht hat uns zu erpressen heizen wir genau wie zuvor ohne dass wir dafür etwas aufgeben mussten. Wenn ich mich umsehe sind die Restaurants und Urlaubsorte voll wie nie, die Straßen voll mit teuren Autos, die Kita in Berlin ist kostenlos und man kann immer noch zum Arzt gehen wenn man krank ist ohne dafür 100 Euro auf die Praxistheke legen zu müssen. Arbeitnehmermarkt! Was also genau ist so schlimm? Ständig wird von irgendwelchen Wutbürgern behauptet es sei alles so schlimm. Ja was denn bitte?

  2. 44.

    Konzept suchen? Konzept gefunden: Die Politik sollten den Draht zum Volk suchen, statt in eigenen Sphären zu wandeln und die Probleme des Volkes zu ignorieren.

  3. 43.

    Wie wäre es mit einer bürgernahen Politik, weniger Belehrung dafür mehr Interesse an den Wünschen und Problemen der Bürger?
    Da läuft offenbar etwas schief seit einigen Jahren.
    Von Frau Esken von der SPD war nach dem Wahldesaster zu hören, man werde die erfolgreiche (??) Politik fortführen, etc...
    Tja, was soll man dazu noch sagen..?

  4. 42.

    Gar nicht schlecht, die Analyse...

    Man braucht keine Kristalkugel um die Entwicklung in Deutschland/Europa vorherzusagen.
    Ich habe Wahlplakate der aFD mit dem Slogan "Demokratie bewaren" gesehen... Ich bin immer noch fassungslos.

  5. 41.

    Schaue gerade „Hart aber Fair“. Die Ampel immer noch überheblich, postengeil und realitätsfern gegen Wähler

  6. 40.

    Die Politiker sind Dienstleister der Bürger, des Souveräns.

  7. 39.

    Wenn man in diesem Text nicht links mit rechts verwechseln würde. Realität ist eben manchmal nicht do einfach.

  8. 36.

    Was ist mit Herrn Woidke? Er hatte mal gesagt: „Ich werde nicht zulassen...“
    Gemeint war, dass die AfD in den Landtag einzieht. Lange ist es her. Und heute? Wie wäre es mit einem Gipfel: „Ich erwarte“?

    P.S. Nickdiebstahl lohnt nicht.

  9. 35.

    "Das einfachste Konzept ist wohl Politik für die Menschen zu machen, diesen zuzuhören."

    Welche Menschen? Und was ist mit der Wirtschaft?

  10. 34.

    Was ist mit den Medien? Wie können die bei der Suche unterstützen? Die Randthemen verlassen und aufhören teilweise zu missionieren?

  11. 33.

    Warum kann man das Wahlergebnis nicht akzeptieren? Die Wähler der AfD werden sich schon was dabei gedacht haben.
    Mit irgendwelchen Kompromissen kommt jetzt auch nicht weiter. Viel zu lange wurde zugeschaut das Deutschland abwärts geht von seiten der Regierung und jetzt ist das Geschrei groß.
    Warum sollte nicht der Herr Merz mit der AfD zusammenarbeiten schlimmer wie es jetzt ist kann es eigentlich nicht werden.
    Und nein ich bin kein AfD Wähler

  12. 31.

    Ich glaube, die AFD Wähler lassen sich mit höchstens 2 Wahlversprechungen ködern. Hast sich jemand schon mal die Mühe gemacht, und die ganzen Punkte durchgelesen. Mir wurde Angst und Bange. Alle, die sich jetzt in der sozialen Hängematte befinden, würden sich umschauen. Hat sich schon mal jemand den Bildungsstand und Einkommen der AFD Wähler angeschaut.

  13. 30.

    Die Blase aus Politikern und Journalisten ist der große Verlierer dieser Wahl. Endlich!

  14. 29.

    Was ist mit den Medien? Wie können die bei der Suche unterstützen? Die Randthemen verlassen und aufhören teilweise zu missionieren?

  15. 28.

    Das hat die Ampel bis jetzt nicht begriffen und ich hoffe, dass sie so weiter macht. Dann habe ich Hoffnung, die Bundestagswahl steht quasi vor der Tür.

  16. 27.

    Wie wäre es einfach mal die Probleme lösen ?
    Wenn bei Wohnungsnot die SPD 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen will und zum Schluss daran scheitert, dann suchen die Leute eine andere Lösung.
    Entweder ihr baut dass Land mit Wohnungen zu oder ihr belastet den Markt nicht weiter mit Zuzug.
    Für diese Logik gibt es hier aber die Nazi Keule.

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