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Audio: Antenne Brandenburg | 23.11.2022 | Brockhausen, S. | Quelle: rbb

So erlebte Berlin den deutschen WM-Auftakt

"Ich sollte mir das nicht angucken. Aber das Fußballer-Herz überwiegt"

In Katar ist die DFB-Elf in das Turnier gestartet - mit einer Niederlage gegen Japan. Hat das die Berliner aber überhaupt gejuckt? An einigen Orten, ja, an vielen kam aber keine Fußballstimmung auf. Ein Besuch in der Hauptstadt. Von Lukas Witte

Viele werden die Bilder der jubelnden Fans auf der Berliner Fanmeile bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 noch in Erinnerung haben: Hunderttausende verfolgten auf der Straße des 17. Juni im Trikot, kurzer Hose und bei bestem Wetter, wie Deutschland in Brasilien in das Turnier startete - und am Ende den Pokal in die Höhe hielt.

Zum Auftakt der DFB-Elf in Katar erinnert an diesem Mittwoch aber nichts daran. Bei sechs Grad und wechselhaftem Wetter rauschen einige Autos über die einstige Fanmeile - keine jubelnden Menschen, keine Fahnen, keine Stimmung.

Mehr Weihnachten als Fußballstimmung

Dass das Fußball-Fieber in der Hauptstadt noch nicht so wirklich da ist, zeigt sich bei einer Tour durch Berlin, während die deutsche Nationalmannschaft gegen Japan spielt. Nur wenige Menschen haben Fanartikel an Balkonen und Autos hängen keine Deutschlandfahnen und auch die meisten Spätis sind nicht wie sonst mit einem Fernseher ausgestattet, vor dem sich sonst Trauben sammeln, um WM-Spiele zu verfolgen.

Es sind nicht nur die Temperaturen und der Winter, die bei Sophie und Kira eher Weihnachts- statt Fußballstimmung aufkommen lassen. "Im Grunde interessiert uns die WM schon, aber das hier gefällt uns viel besser", sagt eine von ihnen, während sie sich mit Glühwein in der Hand auf dem Weihnachtsmarkt am Alexanderplatz tummeln. Deutschland führt zu diesem Zeitpunkt noch mit 1:0 - das Endergebnis wollen sie später aber noch nachschauen, sagen sie.

Auf dem Weihnachtsmarkt am Alexanderplatz erinnert nichts an eine Fußball-WM | | Quelle: rbb/Lukas Witte

Und der Markt vor dem Roten Rathaus? An diesem Nachmittag ist er gut besucht. Das Spiel verfolgen kann man hier aber nicht - und das scheint selbst Fußballfans nicht zu stören. "Ich gucke die WM aus Protest nicht", sagt Harald, der mit einer Mütze, einer Jacke und einem Schal des FC Bayern München gekleidet ist und gemeinsam mit seiner Frau von Stand zu Stand schlendert. Er liebe Fußball, deshalb tue dieser Boykott ihm auch ein wenig weh. "Ich finde es nicht gut, dass der DFB vor der Fifa so eingeknickt ist", sagt er. Die Zeit werde er sich nun mit Glühwein und Bratwurst vertreiben.

"Das Fußballer-Herz überwiegt"

Eine Meinung, die an diesem Tag häufig zu hören ist. Bitter aber für Andreas, der auf der Oranienburger Straße nach einer Kneipe sucht, um Deutschland gegen Japan zu schauen. Er sei Tourist und sehe die WM in Katar durchaus kritisch. "Alles in mir ruft, dass ich mir das nicht angucken sollte. Aber das Fußballer-Herz überwiegt. Zumindest für heute", sagt er.

Die Stimmung auf den Straßen Berlins ist nicht mit den letzten Fußball-Großevents zu vergleichen. Wer aber auf der Suche nach WM-Atmosphäre ist, findet sie. Zum Beispiel in der Kneipe "Spener Stuben" in Moabit. Die hat extra früher aufgemacht, um das Deutschland-Spiel zu zeigen. "Wie man sieht, hat sich das gelohnt", sagt Wirtin Beata.

In der Spener Stuben herrscht WM-Stimmung | | Quelle: rbb/Lukas Witte

Kneipengast Sergio: "Ich bin Fußballfan, deswegen bin ich neutral"

Rund 20 Leute sitzen in einem kleinen verrauchten Raum und starren auf den Fernseher. "Für diese Uhrzeit sind wir damit sehr zufrieden", sagt die Wirtin. Hier wird lautstark mitgefiebert und der eine oder andere trägt ein Deutschland-Trikot. So zum Beispiel auch Sergio, der direkt am Eingang auf einem Stehhocker Platz genommen hat. Für ihn kommt ein Boykott aufgrund der Menschenrechtssituation in Katar nicht in Frage. "Ich bin Fußballfan, deswegen bin ich neutral. Ich will einfach Deutschland unterstützen", sagt er. Er wolle sich, wenn möglich, alle Spiele der WM anschauen. "Vor allem auch die von Brasilien", sagt er und schmunzelt.

In einer Bar im Prenzlauer Berg fühlt sich dann doch alles so an wie immer

Weiter geht's in die Veteranenstraße in Mitte: Die zweite Halbzeit läuft, Japan hat den Ausgleich erzielt. Und tatsächlich ist es da: Das Bild, das an die letzte Sommer-WM erinnert. Vor der "FC Magnet Bar" sitzen Männer und Frauen bei kalten Temperaturen, die Partie wird auf einem großen Fernseher übertragen. Die Kneipe, die für Fußball-Übertragungen bekannt ist, ist brechend voll.

Weil in der Magnet Bar jeder Platz besetzt ist, verfolgen ein paar Menschen die Partie von draußen | | Quelle: rbb/Lukas Witte

"Ich komme schon lange her und die Stimmung ist nicht anders als sonst", erzählt Walter, der am Tresen sitzt. "Wir sind auf Dienstreise und haben die Anreise extra so gelegt, dass wir pünktlich Fußball gucken können", sagt Ruben, der ein grünes DFB-Trikot trägt. Hier ist also alles so wie immer. Es wird angefeuert, mitgefiebert und gelitten; in der 83. Minute erzielen die Japaner den 2:1-Siegtreffer.

Auftaktspiel gegen Japan

Deutschland startet mit Niederlage in die WM

Japaner Rio: "Keine Ahnung wie das passieren konnte"

Die Folge ist auch in der "Magnet Bar" zu spüren, hier kehrt gerade die große Enttäuschung ein. Mit hängenden Gesichtern strömen die Menschen nach dem Abpfiff aus der Kneipe. Nur einer strahlt über beide Ohren. Der Japaner Rio aus Tokio, der gerade für ein sechsmonatiges Praktikum in Berlin ist. "Ich dachte, wir würden verlieren. Keine Ahnung, wie das passieren konnte, aber ich bin einfach nur unfassbar glücklich."

Sendung: rbb24, 23.11.2022, 18 Uhr

Beitrag von Lukas Witte

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