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Quelle: IMAGO/Sportfoto Rudel

Interview | Thomas Hitzlsperger

"Es ist keine Option, einen Schein zu wahren"

Thomas Hitzlspergers Bekenntnis zu seiner Homosexualität vor gut zehn Jahren galt als Meilenstein im Fußball. Im Interview spricht der ehemalige Nationalspieler über fehlende Nachahmer, Ängste im Profifußball - und seinen Respekt für Union Berlin.

rbb|24: Herr Hitzlsperger, Mut haben Sie oft in Ihrer Karriere gebraucht, etwa für Ihre zahlreichen Auslandsstationen und natürlich für Ihr Coming Out vor zehn Jahren. Kann man Mut lernen?

Thomas Hitzlsperger: Vermutlich. Wenn man sich mal was zutraut, was man vielleicht nicht für möglich gehalten hat und das geht gut, ist man ja schon geneigt, das immer wieder zu tun. Aber: Mut heißt es ja nicht nur dann, wenn es gut geht. Es kann ja auch was schiefgehen. Und dann trotzdem immer wieder die Komfortzone zu verlassen, hat mir gutgetan. Aber ich merke, dass es stets eine Herausforderung ist.

Woher haben Sie die Fähigkeit, Angst zu überwinden?

Die ist ja nicht andauernd präsent. Ich habe aber einfach gemerkt: Wenn das, was ich wirklich will, den Konventionen entgegentritt, muss ich eine Entscheidung treffen und das war eben ein paar Mal so. Bei meinem Wechsel nach England wusste ich, meine Eltern wollen das nicht. Aber ich wollte das unbedingt und musste einen Weg finden, das hinzukriegen, ohne Schaden anzurichten. Und beim Coming Out wusste ich, mein Gefühl ist gesellschaftlich nicht unbedingt angesagt. Zumindest hatte es sich so angefühlt. Aber für mich ist es keine Option, einen Schein zu wahren und aufrechtzuerhalten. Und so habe ich es bei anderen Sachen auch gemacht.

Herthas Marten Winkler

Berliner Weg zum Doppelpack

Gegen Schalke 04 hatte am vergangenen Wochenende unter anderem ein Eigengewächs großen Anteil an Herthas Erfolg. Mit einem Doppelpack schoss Marten Winkler die Berliner zum Sieg und beendete somit eine persönliche Durststrecke.

Hätten Sie sich bei Ihrem Coming Out gewünscht, dass Fußballprofis in der Folge weit weniger Mut benötigen würden, als Sie selbst aufbringen mussten?

Die Gesellschaft verändert sich immer wieder. Ich glaube, dass jeder so einen Beitrag leisten kann. Aber dass das jetzt zehn Jahre später im deutschen Profifußball noch keiner gemacht hat, ist erstaunlich und zeigt, dass in der Gesellschaft nach wie vor eine Angst vorherrscht, sich als Teil einer Minderheit zu outen. Sehr wahrscheinlich gibt es Spieler, die genauso begehren, aber Gründe dafür haben, sich nicht sich zu äußern. Dann denkt man schon: Wieso eigentlich unterdrückt man einen wichtigen Teil seiner Persönlichkeit und lebt ihn nicht so aus, wie andere das tun?

Sie sprechen es an: Es hat tatsächlich kein weiteres Coming Out eines deutschen Fußballprofis mehr gegeben. Woran liegt das?

Ich habe immer gesagt, dass ich nur über meine Ängste und Sorgen gesprochen habe. Das muss nicht für alle gelten und deswegen wäre es ja so schön, wenn andere mal reden würden. Dann könnte man sagen, bei dem war es so und beim dritten war es wieder anders. Für mich war die Kabine schon ein schwieriger Ort, weil es dort Vorurteile gab und Spieler klar zum Ausdruck gebracht haben, sie würden sich unwohl fühlen mit einem schwulen Kollegen. Das mag aber bei anderen Spielern anders sein und deswegen versuche ich zu vermeiden, viel zu viel zu spekulieren.

Sie sagten in der Ankündigung Ihres neuen Buches "Mutproben", dass man Fußball heutzutage nicht mehr von der Gesellschaft trennen könne. Sind sich die Akteure im deutschen Fußball eigentlich ihrer herausgehobenen gesellschaftlichen Bedeutung bewusst?

Ja. Ich glaube, davon gibt es viele. Aber wir können es halt nicht von allen erwarten. Manche sind in der Lage, das zu erkennen und das auch gut auszufüllen, andere wiederum sagen: Ich bin Fußballer, ich will Fußball spielen, und über nichts anderes reden. Das ist auch in Ordnung. Es gibt solche und solche.

Welche Reaktion, welche Haltung hätten Sie sich eigentlich gewünscht vom deutschen Nationalteam bei der WM in Katar, einem Land, in dem Homosexualität unter Strafe steht?

Manche Spieler haben sich schon sehr bemüht, im Vorfeld klar zum Ausdruck zu bringen, wofür und wogegen sie sind. Aber es herrschte keine Einigkeit in der Mannschaft und wenn das nicht gegeben ist, kann eine Mannschaft auch kein Zeichen setzen. Das muss man erkennen. Man kann von der Mannschaft nichts verlangen, wovon sie nicht zu hundert Prozent überzeugt ist. Das ist nun mal so, bei den anderen Mannschaften war es genauso. Gruppen von Fußballern waren damit vielleicht überfordert beziehungsweise der FIFA-Präsident Gianni Infantino war einfach überlegen und einen Schritt voraus.

Zur Person

Gegen Union Berlin erlebten Sie mit Ihrem VfB Stuttgart – Sie waren Sportvorstand – 2019 einen sportlichen Rückschlag, verloren die Relegation gegen die Köpenicker und stiegen ab. Wie hat sich seitdem Ihr Blick auf Union Berlin verändert?

Im Nachhinein kann man sagen, dass es der schwierigste Relegationsgegner war, den ein Erstligist erwischen konnte. Das war Pech, aber beim VfB hat in jener Saison auch vieles nicht gepasst. Es ist beeindruckend, wie sich Union seitdem entwickelt und sogar die Champions League erreicht hat. Und jetzt stehen sie vor der Herausforderung, mit den neuen Erwartungen umzugehen.

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit der Stadt Berlin? Sie wohnten hier zeitweise für ein Praktikum beim Fußballmagazin 11 Freunde.

Ich mag Berlin, ich mag die Stadt wirklich gern und bin auch häufiger dort. Dieses Großstadtflair ist schon ganz besonders.

Wir bleiben in Berlin: Bei Hertha BSC spielt Angreifer Fabian Reese nicht nur eine furiose Saison, sondern sorgt auch abseits des Platzes für Aufsehen mit Statements, die für mehr Toleranz und Offenheit werben. Warum sind solche Typen im Fußball die Ausnahme?

Viele Fußballprofis fühlen sich wohl damit, sich von ihrem Umfeld oder ihren Beratern leiten zu lassen. Sie folgen Empfehlungen und entwickeln außerhalb des Platzes vielleicht nicht so eine eigene Persönlichkeit. Fabian ist da sehr klar, was er will und wie er sich äußert. Es ist erfrischend zu sehen, dass da einer ist, der sicherlich ein Vorbild für Menschen ist. Dass er offen und ehrlich spricht, finde ich beeindruckend. Aber das kann man ja nicht jedem Fußballer abverlangen.

Real von Chamisso

Ein Zeichen gegen Rassismus statt Rückzug in die "kleine Hockey-Bubble"

2019 entschlossen sich Spieler des kleinen Kreuzberger Hockeyvereins Real von Chamisso, Kante gegen Rassismus zu zeigen. Damit traten sie eine Welle der Unterstützung los, die bis heute anhält.

Mit welchem Gefühl blicken Sie auf den Höhenflug des VfB? 2022 sind Sie als Vorstand des VfB zurückgetreten.

Als VfB-Fan kann ich mich nur freuen. Ich freue mich auch für alle VfB-Fans, die es jetzt mal genießen können, Woche für Woche die Spiele zu schauen, in der Gewissheit, dass es ein Fest wird.

Da fließt kein böses Blut? Streitigkeiten in der Chefetage soll es ja genug gegeben haben...

Nein, das hat nichts damit zu tun, wie die Mannschaft jetzt spielt. Das ist auch alles abgeschlossen und deswegen kann ich das auch ohne Groll verfolgen.

Visieren Sie aktuell noch mal einen Posten im Profifußball an?

Ich bin schon noch im Fußball unterwegs. Ich habe eine Beteiligung am dänischen Zweitligisten Aalborg BK. Ich hoffe, wir steigen auf. Ich bin nah am Fußball dran, forciere aber nichts weiter, weil ich sehr gut ausgelastet und auch sehr zufrieden bin, wie die Dinge laufen.

Welche Wirkung erhoffen Sie sich von Ihrem Buch?

Ich habe auch Bücher und Geschichten anderer Menschen gelesen, gerade in Bezug auf ein Coming out. Das hat mir Kraft gegeben und war eine Inspiration. Es hat mir gezeigt, da gibt es noch mehrere, die vielleicht etwas ähnliches durchgemacht haben. Genauso wünsche ich mir, dass diesbezüglich Menschen sagen: "Hey, das hilft mir, das gibt mir wieder Anknüpfungspunkte, mein Leben vielleicht auch in einer gewissen Weise zu steuern."

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Shea Westhoff, rbb Sport

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.03.2024, 18:15 Uhr

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