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Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 25.08.2022 | Quelle: dpa/Ralf Hirschberger

Interview | Wissenschaftler zur Oder-Katastrophe

"Wir haben hier jetzt so etwas wie Gülle, die zu weiterem Fischsterben führen wird"

In Polen wird aktuell versucht, mit Sauerstoff das Fischsterben in der Oder zu stoppen. Der polnische Wasserwirtschaftsingenieur Piotr Parasiewicz erklärt die Maßnahmen und warum die Fischkadaver im Fluss den Tod weiterer Fische verursachen.

In der Nähe von Stettin sind in diesen Tagen polnische Feuerwehrleute und Freiwillige im Einsatz. Sie versuchen, Sauerstoff in die Oder zu pumpen, um weiteres Sterben der Fische zu verhindern. Das Sakowicz-Institut für Binnenfischerei in Olsztyn – das größte polnische Fischerei-Institut – arbeitet mit Hochdruck daran, den Schaden zu erfassen.

Am Freitag sollen hochmoderne Geräte zum Einsatz kommen: Drohnen mit High-Tech-Kameras sollen Flussaufnahmen von oben machen und so eine Art "Röntgenbild" der Oder erstellen. Die Erkenntnisse des Instituts sollen dann eine Basis für einen mögliche Wiederbelebung des Flusses liefern. Verantwortlich dafür ist der Wasserwirtschaftsingenieur Piotr Parasiewicz.

rbb|24: Herr Parasiewicz, giftige Algen sollen die Ursache für das massive Fischesterben in der Oder sein. Was sind Ihre Erkenntnisse zu der Ursache der Katastrophe?

Piotr Parasiewicz: Es haben sich einige Sachen aufeinandergelegt. Erstens ist die Oder ein regulierter Industriefluss und deswegen sensibler für alle Veränderungen, Verschmutzungen und den Klimawandel.

Zweite Ursache: Wir haben eine andauernde Trockenheit. Dadurch waren auch die Fischpopulationen geschwächt in diesem Jahr. Drittens ist natürlich die Verschmutzung dazu gekommen mit hoher Konzentration und Bildung von Algen.

Der Wissenschaftler Piotr Parasiewicz | Quelle: rbb

Und jetzt kommt noch eine weitere Ursache hinzu: Tote Fische verursachen weiteres Sterben von weiteren Fischen, könnte man sagen. Was genau passiert da?

Wir haben sehr viele Kadaver am Flussboden – nicht nur Fische, sondern andere Organismen – die gerade zerlegt werden. Wir haben Fermentationsprozesse, die Sauerstoff verbrauchen. Deswegen kommt das sauerstoffarme Wasser hinunter samt den ganzen Nahrungsstoffen.

Dadurch haben wir hier so etwas wie Gülle, die runterfließt. Und sie wird weiter zum Fischsterben führen. Wir machen alles, um es zurückzuhalten, aber es ist sehr schwierig.

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Doch nicht nur Fische, sondern auch Schnecken und Muscheln sterben in der Oder. Welche Konsequenzen hat das?

Ja, diese Toxine sind schädlich für die Schnecken und die Muscheln. Man muss sich vor Augen halten, dass das Sterben von den Muscheln vor allem sehr langwierige Folgen haben könnte. Die Muscheln filtrieren sehr viel Wasser, ca. 30 Liter am Tag, wachsen sehr langsam, brauchen Fisch zur Vermehrung, haben einen sehr komplizierten Lebenszyklus und daher wird der Verlust wahrscheinlich langfristige Folgen haben.

Andererseits haben wir gehört, dass sich einige ins Substrat eingegraben haben und einige haben somit überlebt. Trotzdem – die Population ist sicher geringer und das wird auf das Filtrierniveau sicherlich einen Einfluss haben.

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In der Oder sind tausende Fische verendet. Die Umweltschäden sind massiv, die Folgen nicht absehbar. Wasserproben haben einen ungewöhnlich hohen Salzgehalt ergeben. Doch das ist wohl nicht die einzige Ursache.

Die polnische Feuerwehr versucht jetzt, Sauerstoff in den Fluss hineinzupumpen, Angler fangen die noch lebenden Fische und übertragen sie in spezielle Becken mit sauerstoffreichem Wasser. Wie beurteilen Sie diese Maßnahmen?

Wir müssen da sehr vorsichtig sein, wenn wir das sauerstoffreiche Wasser da einpumpen, dass wir das Bodensubstrat nicht aufwirbeln, denn das kann die Sache nur verschlimmern. Wir arbeiten aber auch an einer anderen Technologie – der Belüftung. Vielleicht werden wir diese einführen, es soll nicht mehr lange dauern, bis wir die Technologie zur Verfügung haben. Alle sind jetzt am Bord und versuchen sich alles Mögliche auszudenken.

Was planen Sie noch, worauf konzentrieren sich jetzt die Mitarbeiter Ihres Instituts?

Wir planen eine Befliegung mit einer Hyperspektralkamera, die uns vielleicht hilft, die Verteilung der Nährstoffe im Wasser besser festzustellen. Wir arbeiten an der Feststellung von Schäden. Wir können sehr genau zeigen, was da eigentlich im Fluss vor sich geht, Refugien suchen oder Überbleibsel, die wichtig sein könnten in der Zukunft. Das ist die Grundlage für weitere Überlegungen.

Außerdem haben wir jetzt schon einen Plan, wie wir weiter vorgehen. Es kam eine Deklaration der polnischen Regierung, dass wir den Fluss revitalisieren werden. Das muss man aber sehr clever machen.

Das Interview mit Piotr Parasiewicz führte Magdalena Dercz. Dies ist eine redigierte und gekürzte Fassung des Gesprächs.

Sendung: Antenne Brandenburg, 25.08.2022, 16:30 Uhr

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