Interview | Wissenschaftler zur Oder-Katastrophe - "Wir haben hier jetzt so etwas wie Gülle, die zu weiterem Fischsterben führen wird"

Do 25.08.22 | 19:04 Uhr
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Symbolbild: Hunderte toter Fische schwimmen am 01.08.2016 auf der Oberfläche des Machnower Sees in Kleinmachnow (Brandenburg), Ursache ist wahrscheinlich ein Sauerstoffmangel. (Quelle: dpa/Ralf Hirschberger)
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 25.08.2022 | Bild: dpa/Ralf Hirschberger

In Polen wird aktuell versucht, mit Sauerstoff das Fischsterben in der Oder zu stoppen. Der polnische Wasserwirtschaftsingenieur Piotr Parasiewicz erklärt die Maßnahmen und warum die Fischkadaver im Fluss den Tod weiterer Fische verursachen.

In der Nähe von Stettin sind in diesen Tagen polnische Feuerwehrleute und Freiwillige im Einsatz. Sie versuchen, Sauerstoff in die Oder zu pumpen, um weiteres Sterben der Fische zu verhindern. Das Sakowicz-Institut für Binnenfischerei in Olsztyn – das größte polnische Fischerei-Institut – arbeitet mit Hochdruck daran, den Schaden zu erfassen.

Am Freitag sollen hochmoderne Geräte zum Einsatz kommen: Drohnen mit High-Tech-Kameras sollen Flussaufnahmen von oben machen und so eine Art "Röntgenbild" der Oder erstellen. Die Erkenntnisse des Instituts sollen dann eine Basis für einen mögliche Wiederbelebung des Flusses liefern. Verantwortlich dafür ist der Wasserwirtschaftsingenieur Piotr Parasiewicz.

rbb|24: Herr Parasiewicz, giftige Algen sollen die Ursache für das massive Fischesterben in der Oder sein. Was sind Ihre Erkenntnisse zu der Ursache der Katastrophe?

Piotr Parasiewicz: Es haben sich einige Sachen aufeinandergelegt. Erstens ist die Oder ein regulierter Industriefluss und deswegen sensibler für alle Veränderungen, Verschmutzungen und den Klimawandel.

Zweite Ursache: Wir haben eine andauernde Trockenheit. Dadurch waren auch die Fischpopulationen geschwächt in diesem Jahr. Drittens ist natürlich die Verschmutzung dazu gekommen mit hoher Konzentration und Bildung von Algen.

Piotr Parasiewicz
Der Wissenschaftler Piotr Parasiewicz | Bild: rbb

Und jetzt kommt noch eine weitere Ursache hinzu: Tote Fische verursachen weiteres Sterben von weiteren Fischen, könnte man sagen. Was genau passiert da?

Wir haben sehr viele Kadaver am Flussboden – nicht nur Fische, sondern andere Organismen – die gerade zerlegt werden. Wir haben Fermentationsprozesse, die Sauerstoff verbrauchen. Deswegen kommt das sauerstoffarme Wasser hinunter samt den ganzen Nahrungsstoffen.

Dadurch haben wir hier so etwas wie Gülle, die runterfließt. Und sie wird weiter zum Fischsterben führen. Wir machen alles, um es zurückzuhalten, aber es ist sehr schwierig.

Doch nicht nur Fische, sondern auch Schnecken und Muscheln sterben in der Oder. Welche Konsequenzen hat das?

Ja, diese Toxine sind schädlich für die Schnecken und die Muscheln. Man muss sich vor Augen halten, dass das Sterben von den Muscheln vor allem sehr langwierige Folgen haben könnte. Die Muscheln filtrieren sehr viel Wasser, ca. 30 Liter am Tag, wachsen sehr langsam, brauchen Fisch zur Vermehrung, haben einen sehr komplizierten Lebenszyklus und daher wird der Verlust wahrscheinlich langfristige Folgen haben.

Andererseits haben wir gehört, dass sich einige ins Substrat eingegraben haben und einige haben somit überlebt. Trotzdem – die Population ist sicher geringer und das wird auf das Filtrierniveau sicherlich einen Einfluss haben.

Die polnische Feuerwehr versucht jetzt, Sauerstoff in den Fluss hineinzupumpen, Angler fangen die noch lebenden Fische und übertragen sie in spezielle Becken mit sauerstoffreichem Wasser. Wie beurteilen Sie diese Maßnahmen?

Wir müssen da sehr vorsichtig sein, wenn wir das sauerstoffreiche Wasser da einpumpen, dass wir das Bodensubstrat nicht aufwirbeln, denn das kann die Sache nur verschlimmern. Wir arbeiten aber auch an einer anderen Technologie – der Belüftung. Vielleicht werden wir diese einführen, es soll nicht mehr lange dauern, bis wir die Technologie zur Verfügung haben. Alle sind jetzt am Bord und versuchen sich alles Mögliche auszudenken.

Was planen Sie noch, worauf konzentrieren sich jetzt die Mitarbeiter Ihres Instituts?

Wir planen eine Befliegung mit einer Hyperspektralkamera, die uns vielleicht hilft, die Verteilung der Nährstoffe im Wasser besser festzustellen. Wir arbeiten an der Feststellung von Schäden. Wir können sehr genau zeigen, was da eigentlich im Fluss vor sich geht, Refugien suchen oder Überbleibsel, die wichtig sein könnten in der Zukunft. Das ist die Grundlage für weitere Überlegungen.

Außerdem haben wir jetzt schon einen Plan, wie wir weiter vorgehen. Es kam eine Deklaration der polnischen Regierung, dass wir den Fluss revitalisieren werden. Das muss man aber sehr clever machen.

Das Interview mit Piotr Parasiewicz führte Magdalena Dercz. Dies ist eine redigierte und gekürzte Fassung des Gesprächs.

Sendung: Antenne Brandenburg, 25.08.2022, 16:30 Uhr

18 Kommentare

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  1. 18.

    "Nun bekomme ich bestimmt wieder irgendwelche hypothetischen Unterstellungen."
    Warum? Nicht immer gleich so negativ denken. Algentheorie war meine erste Vermutung in meinen Kommentaren, ergänzt durch Zitate eines 91,4- Berichtes, den unser lieber Freund Neumann in seiner unnachahmlich charmanten Art diffamiert und der Lächerlichkeit preisgegeben hat.
    Machen sie sich die Mühe und sehen sie die letzten Beiträge zum Thema durch.
    Und ich kann mich dunkel erinnern, dass sie meiner Algentheorie VOR DEM 91,4 BERICHT auch nicht glaubten.
    Es ist interessant, wie schnell sie ihre Meinung geändert haben. Aber sie haben es wenigstens, was bei Neumann NIE DER FALL SEIN WÜRDE.
    Aber sie machen jetzt auch einen Fehler. Sie setzen die Diskussion von gestern zu einem anderen Thema hier mit unlauteren Mitteln fort. Sorry, aber wie Neumann.

  2. 17.

    Das habe ich doch gesagt und das hat auch Brandenburger gesagt. Was haben sie für ein Problem?
    Geht es immer noch um ihre gestrige Auseinandersetzung? Primitiv.

  3. 16.

    Fragen Sie mal einen beliebigen Kläranlagenbetreiber was passiert, wenn die Belüftung aussteigt.
    Oder gucken sich Nitrifikation an.
    Ok war nicht ganz sauber ausgedrückt. Die toxischen Abbauprodukte der verwesenden Fische werden durch Belüftung abgebaut.
    Die toten Fische im Wasser kriegt man wohl kaum vollständig abgefischt. Kürzliche Aussage eines Fischers oder Experten ungefähr das 4-5fache, von dem was man rausgeholt hat, ist tot und schwebt oder liegt im Fluß und zersetzt sich langsam. Das Ammonium was dabei entsteht, ist das Problem was eben ähnlich wie in der Kläranlage durch Belüftung umgewandelt und anschliessend durch entsprechende Bakterien zu Stickstoff werden kann, der weniger problematisch. ist.
    Daher die Überschrift Gülle.
    Deshalb auch in Stettin weil man befürchtet das Haff mit Ammonium/Ammoniak zu vergiften.
    Natürlich profitiert auch das was noch lebt davon aber zusätzlicher Sauerstoff nur zum Atmen verhindert nicht die Vergiftung durch Ammoniak.

  4. 15.

    Also ich glaube, dass Ihre Begründung zwar spannend klingt aber nicht glaubhaft ist. Durch die Sauerstoffeinleitung soll der Verwesungsprozess beschleunigt werden?
    Also da gefällt mir die Theorie, dass man den noch verbleibenden 50% Fischen Sauerstoff zum Überleben geben will besser. Durch die Verwesung wird der Sauerstoffgehalt des Wassers jetzt dezimiert und der Anteil gebundener toxischer Bestandteile erhöht. Man will die Überlebenden schützen und nicht die Toten schneller abbauen. Die müssen abgefischt werden, alles andere ist sorry Quatsch.

  5. 14.

    Herr oder Frau Brandenburger. Ich denke in dem Fall liegen Sie knapp daneben. Ihr persönlicher Konflikt mit Herrn Neumann interessiert mich und sicher viele andere nicht die Bohne.
    Aber Sauerstoff in ein Fließgewässer zur Beatmung der Fische einzublasen, klingt nach etwas nachdenken doch recht abenteuerlich und hoffnungslos. Flussaufwärts bringt das gar nix und flussabwärts bestenfalls ein paar km.
    Der Gedanke, dass man die vorbeifließende biologisch tote Masse (Überschritt Gülle)durch Belüftung schneller abbauen wil, klingt irgendwie glaubwürdiger, weil diese Masse ja zwingend an beliebiger Stelle des Flusses vorbeifließt.
    Sauerstoff zum atmen ist und war die gesamte Zeit der Katastrophe nie das Problem. Mit ausreichend Fakten belegt.
    Die Fische sind nicht erstickt weil kein Sauerstoff da war sondern weil die Algen ihnen die Kiemen verklebt haben.
    Nun bekomme ich bestimmt wieder irgendwelche hypothetischen Unterstellungen.

  6. 13.

    Woher wollen sie denn ihre Erfahrungen haben? Haben sie auf ihrem Plattenbaubalkon jetzt auch einen Teich? Also bitte. Letztens wollten sie uns einreden, dass sie einen 320PS Tesla haben und jetzt einen Teich auf dem Balkon?
    Wir haben einen Schwimmteich, der wird gar nicht belüftet. Das erledigen die Wasserpflanzen und unser Bachlauf. Aber jetzt nicht wieder gegen Poolbesitzer hetzen. Ein Schwimmteich ist kein Pool.
    Und hätte die Oder kein Niedrigwasser, würde aus den beiden südlichen Mittelgebirgen mit Froschwasser versorgt und hätten wir keine Klimaveränderungen, bräuchte man die Oder auch nicht belüften. Aber das hat man ihnen schon fünfmal erklärt ohne das sie es kapieren. Sie sollten bei Tesla bleiben. Da haben sie zwar auch keine Ahnung aber es fällt nicht so auf.

  7. 12.

    Es kommt noch ein Problem hinzu. Der Wasserstand der Oder steigt. In Frankfurt schon gestern um mehrere cm. Die toten Fische am Ufer könnten so weggespült werden.

  8. 11.

    Ich würde mal Proben der Kadaver nehmen und schauen, ob das Material giftig ist.
    Wenn nicht, dann schreddern und auf die Äcker schmeißen oder als Pulver in die Gülledüngung geben damit das Material nicht dem Kreislauf entzogen wird.

  9. 10.

    Die Teichfraktion hat immer noch nicht den schon damals gegeben Hinweis verstanden, dass erst die organischen Abbauprodukte die Belüftung notwendig machen, das erste Fischsterben aber nicht hätten verhindern können.

  10. 9.

    Vor allem darf es keine mehr von der polnischen Regierung zertifizierten Umweltverschmutzung kommen.Erst durch die Einleitung der hohen Salzkonzentration,bei gleichzeitigem Niedrigwasser,was wohl nicht verboten war,kam es zur Katastrophe.Jetzt rumjammern seitens der Regierung hilft nicht ,es gibt nur noch Schadensbegrenzung an der Natur und anderer Anreiner.

  11. 8.

    Könnte es sein, dass man nur das Ammoniak von den toten Fischen loswerden möchte?
    Nitrifikation ähnlich wie auf der Kläranlage? Also mit dem eingeblasenen Sauerstoff die noch lebenden Fische indirekt rettet indem man das Ammoniak schnell abbaut.
    Weil Sauerstoff zum atmen ist eigentlich genug da, laut den Messwerten.

  12. 7.

    Auch in Hohenwutzen ist der Sauerstoffgehalt in der Oder hoch:
    https://ne-friend.bafg.de/servlet/is/15722/index.html

  13. 6.

    Der gemessene Sauerstoffgehalt steigt doch schon wieder:
    https://lfu.brandenburg.de/lfu/de/aufgaben/wasser/fliessgewaesser-und-seen/gewaesserueberwachung/wasserguetemessnetz/frankfurt-an-der-oder/#
    Und er ist damit wieder über dem erwarteten Wert für den Gelichgewichtssauerstoffgehalt von Wasser bei aktueller Wassertemperatur - es ist also weiterhin reichlich Sauerstoff vorhanden.

  14. 5.

    zuvor wurde doch von einem zu hohen Sauerstoffgehalt in der Oder berichtet, hat der sich im Mündungsgebiet verflüchtigt ?

  15. 4.

    "n der Nähe von Stettin sind in diesen Tagen polnische Feuerwehrleute und Volontäre im Einsatz. Sie versuchen Sauerstoff in die Oder hineinzupumpen, um weiteres Sterben der Fische zu vermeiden."
    Mir den besten Grüßen an Platte aus Mahrzahn von der "Teichfraktion".

  16. 3.

    Das wäre zu schön um wahr zu sein, wenn bei der polnischen Regierung endlich ankäme, dass die Oder kein regulierter Industriefluss bleiben darf. Natur-, Umwelt- und Tierschutz-NGOs fordern das schon lange.
    "... Es kam eine Deklaration der polnischen Regierung, dass wir den Fluss revitalisieren werden. ..." Es fällt mir schwer, das zu glauben, denn besagte will ja die Europa-Wasserstraße E40, also die Weichsel weiter ausbauen.
    Die Polen haben mit Vehemenz alle "Errungenschaften" des Kommunismus beseitigt. Warum machen sie das nicht auch mit den Umweltschäden?

  17. 2.

    "... Mit Drohen und High-Tech-Kameras ..." Mit Drohnen bitte und einmal Korrekturlesen - soviel Zeit muss sein.
    Zum Inhalt später. Schönen Feierabend.

  18. 1.

    erstaunlich, ein polenfreundlicher Bericht zur Oder-Katastrophe , dazu nach sachlich und informativ....

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