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Video: Abendschau | 02.06.2021 | Iris Sayram | Quelle: dpa/Britta Pedersen

Ermittlungen in Berlin

Rückzahler von Corona-Hilfen geraten unter Betrugsverdacht

Unbürokratisch und schnell sollte die Corona-Soforthilfe für Soloselbständige ausgezahlt werden. Doch möglicherweise geschah dies zu schnell: Einige Empfänger bekommen nun Ärger mit der Justiz. Von Iris Sayram

"Es hatte was von einem völlig irren Computerspiel", beschreibt Schriftsteller Holm Friebe den "heißen" Moment, als über die Internetseite der Investitionsbank Berlin (IBB) der Antrag auf die Soforthilfe im vergangenen Frühjahr gestellt werden konnte. Friebe schrieb einst in "Wir nennen es Arbeit" über die digitale Boheme jenseits der Festanstellung. Mehrere Projekte gleichzeitig jonglieren ist eigentlich genau seine Sache.

Doch richtig viel zu jonglieren gab es für viele Freischaffende in der Pandemie nicht. "Es war schon aufregend, wann endlich die eigene Wartenummer drankommt", so Friebe. "Und dann lief der Timer los. Innerhalb von 30 Minuten musste man eine Maske mit sämtlichen persönlichen und steuerlichen Angaben ausfüllen." Adrenalin, Herzklopfen und auch Glücksgefühle haben viele überkommen, als sie es dann geschafft hatten: 900 Millionen Euro überwies die IBB in nur vier Tagen an 100.000 Künstler und Soloselbständige [berlin.de].

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Erst gezahlt - dann geprüft

Auch auf Holm Friebes Konto landete ein Plus von 5.000 Euro. "Herausragend erfolgreich" lobte sich die zuständige Senatsverwaltung für Wirtschaft für die eigene Schnelligkeit. Nur wurde ebenfalls schnell klar, dass man offenbar nicht ganz sauber darüber informiert hatte, wozu die Hilfe eigentlich aufgewendet werden darf. "Erst danach wurde kommuniziert, dass man die Hilfe eben nicht für den eigenen Lebensunterhalt ausgeben darf", so Friebe. "Als ich die später veröffentlichten FAQs der IBB gesehen habe, dachte ich mir: 'Ok, andere mögen das nötiger haben'". Friebe zahlte den vollen Betrag unaufgefordert in weniger als 14 Tagen zurück.

Böse Überraschung: über 5.000 Ermittlungsverfahren

"Ich dachte, ich bin in einem Kafka-Roman", sagt Friebe zu rbb|24, als er das Schreiben des Landeskriminalamts bekommt. "Jetzt bin ich plötzlich Beschuldigter in einem Strafverfahren wegen Online-Betrug", so Friebe. Ausgerechnet diejenigen, die freiwillig die Hilfe zurückgezahlt haben, müssen sich nun juristisch zur Verantwortung ziehen lassen. "Nur für was denn?", fragt Friebe. Seine Stimme bekommt einen leichten Pitch. "Das ist nicht einfach die Polizei, das ist das Landeskriminalamt!"

Holm Friebe ist kein Einzelfall. Auf rbb24-Anfrage teilt die Staatsanwaltschaft Berlin mit, dass "insgesamt ca. 5.200 Betrugsverfahren im Zusammenhang mit den Corona-Hilfspaketen geführt" werden. Es gehe dabei etwa um falsche persönliche Angaben, Doppel-Anträge oder Täuschungen über die eigenen "Liquiditätsengpässe", so die Staatsanwaltschaft. Wie viele darunter die Hilfe sofort zurückgezahlt haben, ist unklar. Es dürften jedoch einige sein, räumte auch der Justizsenator Dirk Behrendt, Bündnis 90/Die Grünen, im Abgeordnetenhaus Anfang Mai ein.

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Regine Kittler vom Koalitionspartner Die Linken fragte Behrendt, warum ausgerechnet diejenigen, "die den Betrag nach Auszahlung aufgrund zwischenzeitlich aktualisierter beziehungsweise geänderter FAQs freiwillig und umgehend zurückgezahlt haben, mit der Unterstellung einer Betrugsabsicht" konfrontiert werden. Der Senator betonte, dass nun mal "die Rückzahlung von möglicherweise zu Unrecht erhaltener Coronahilfe grundsätzlich nicht die Annahme eines Anfangsverdachtes" ausschließe. Mithin sei mit der Auszahlung eine mögliche Betrugstat auch schon vollendet. Ein Rücktritt von dieser Tat sei damit durch Rückzahlung nicht mehr möglich.

Kittler überzeugte das wenig: "Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber an mich wenden sich täglich wirklich verzweifelte Menschen, die auch nicht über viel Geld verfügen aufgrund der Coronasituation, die sich in der Regel keinen Anwalt leisten können", genau die würden nun kriminalisiert.

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Über Kafka und juristische Notwendigkeiten

Was dann vom Justizsenator folgt ist eine juristische Erläuterung, warum die Behörden eigentlich gar nicht anders können als zu ermitteln. Sobald nämlich die Polizei von einer Straftat Kenntnis erhalte, müsse das nun mal so gemacht werden – einen Ermessenspielraum gebe es nicht. Man könnte es auch so formulieren, dadurch, dass die Hilfe-Empfänger, wie etwa Holm Friebe, das Geld zurückgezahlt haben, haben sie kurioserweise selbst einen Betrugsverdacht auf sich gelenkt. Die wirklichen Kriminellen sind da wohl schlauer und hätten eigentlich eher einer genauere polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Überprüfung verdient. Kafka hätte sich das in der Tat nicht besser ausdenken können. Holm Friebe ist nach eigenen Angaben noch nicht vernommen worden. Er warte nun auf das nächste Kapitel, dass die Berliner Polizei möglicherweise für ihn bereithält.

"Man läuft da gegen einen Schrubber"

Kultursenator Klaus Lederer (Linke) hat wenig Verständnis für die Verfahren. Er ist wütend. In der Senats-Pressekonferenz vom Dienstag schimpfte er: "Was läuft eigentlich bei der Staatsanwaltschaft schief, dass diese öffentlichen Ressourcen eingesetzt werden, um diese Verfahren hier zu betreiben?" Gerade die Kulturschaffenden hätten im Moment noch weit andere Probleme. "Ich habe ein paar Bemühungen unternommen, aber man läuft da gegen einen Schrubber", so Lederer weiter. Auch Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) erklärte auf rbb|24-Anfrage, dass die Verfahren nicht durch die IBB angestrebt wurden.

Wenig Kritik aus der Opposition

"Es zeigt halt mal wieder, welchen Stellenwert Kunst und Kultur haben", sagt Friebe. "Keinen guten". Die Opposition im Abgeordnetenhaus hält sich erstaunlicherweise aber mit großer Kritik an dem Vorgehen der Justiz zurück. Sibylle Meister (FDP) sagt zu rbb|24: "Der Ansatz einer Soforthilfe, die eben sofort ausgezahlt wird, war richtig." Immerhin hätten Betroffene mit dieser Hilfe mal eine Nacht durchschlafen können. "Wir haben gesehen, wie furchtbar es ist, wenn die Auszahlung so lange dauert wie bei der November- und Dezemberhilfe", so Meister. Hier hat die Bearbeitung teilweise Monate in Anspruch genommen. Am Ende steht die Frage, was den Betroffenen mehr schlaflose Nächte bereitet: der Kampf mit der Bürokratie oder mit der Justiz.

Korrektur: In ersten Fassungen dieses Beitrags hatten wir falsche Summen genannt, die an die 100.000 Künstler und Soloselbständigen überwiesen wurden. Richtig sind: 900 Millionen Euro [berlin.de]. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Sendung: Abendschau, 05.06.2021, 19:30 Uhr

Beitrag von Iris Sayram

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