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Audio: rbb24 Inforadio | 20.09.2022 | Konrad Spremberg | Quelle: dpa/Britta Pedersen

Soziale Einrichtungen besorgt über Energiekosten

Wenn die Helfenden selbst Hilfe brauchen

Schuldnerberatungen, Kleiderkammern oder Wohngruppen: Auch soziale Träger sind von den steigenden Energiekosten betroffen. Die bisherigen Entlastungszahlungen reichen nicht aus, kritisiert der Paritätische Gesamtverband. Von Helena Daehler

In einem Altbau nahe des Görlitzer Parks wohnen 19 Berliner:innen, die auf dem regulären Wohnungsmarkt vermutlich keine Wohnung gefunden hätten. Sie sind angewiesen auf finanzielle Hilfe und therapeutische Begleitung, viele von ihnen haben psychische Erkrankungen und können keiner geregelten Arbeit nachgehen. Deshalb wohnen sie in sogenannten Trägerwohnungen der gemeinnützigen Prowo Berlin, einem Netzwerk mit verschiedenen Angeboten im psychosozialen Bereich.

Die Energiekrise macht vielen Bewohner:innen große Sorgen, besonders die gestiegenen Heizkosten. Die müsste eigentlich das Jobcenter für die Bewohner:innen übernehmen, doch bisher blieben die gestellten Anträge unbeantwortet. Unklar ist: Akzeptiert das Jobcenter die Gasrechnungen, obwohl sie über dem liegen, was laut Verordnung als angemessen gilt? Das sorgt für große Unsicherheit.

Schutzfonds für soziale Einrichtungen gefordert

Die steigenden Heiz- und Stromkosten treffen auch soziale Einrichtungen wie Prowo. In einem Brandbrief Anfang September warnte der Paritätische Gesamtverband der Sozialen Träger vor einer Insolvenzwelle und forderte einen Schutzfonds für soziale Einrichtungen und Dienste [der-paritaetische.de].

Zumindest beim Strom ist bei den Bewohnern der Prowo bereits Hilfe angekommen: Die Bundesregierung hatte zusätzlich zu Hartz IV einmalig 200 Euro bezahlt. Aber auch das reiche langfristig nicht aus, befürchtet Stefan Lutz, Sozialmanager der Prowo Berlin: "Die Steigerungen allein im Bereich der Stromkosten, die die Bewohner:innen von ihrem Geld zahlen müssen, sind in einer Größenordnung von mindestens 50 Euro pro Monat."

Das bringe den sozialen Träger nicht nur in eine finanzielle, sondern auch in eine moralisch schwierige Lage, so Lutz. Er will sich um die Menschen kümmern, kann aber nicht, da die Übernahme der Strom- und Heizkosten das Budget sprengen würde. Auch die Kosten für Therapie-, Büro- und Beratungsräume sind gestiegen.

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Haben Sie schon die Heizung aufgedreht?

Seit Monaten wird über die Energiekrise diskutiert, nun ist es so weit: Es ist kalt und man würde eigentlich ganz gerne die Heizung anschmeißen. Doch manch einer hadert und zögert. Ist es nicht noch zu früh? Sollte man nicht eigentlich Energie sparen? Wie sehen Sie das?

Soziale Träger sehen ihre Liquidität gefährdet

Helmut Elle, Hauptgeschäftsführer bei Prowo, sieht die Liquidität des - vergleichsweise großen - Trägers in Gefahr: "Wir brauchen dringend Hilfe der Politik, damit die Träger nicht auf ihren Kosten sitzen bleiben und pleite gehen." Im Falle der Prowo würde das Menschen in 270 Wohnungen in Berlin treffen, die dann von Wohnungslosigkeit bedroht wären.

Die rot-grün-rote Koalition hat weitere Entlastungen wegen der Energiekrise angekündigt. Im Haushalt sind bisher 380 Millionen Euro für Härtefälle eingeplant. Die Berliner Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat am Montag Maßnahmen in sechs Bereichen angekündigt, neben Hilfen für Privathaushalte und Unternehmen unter anderem auch die Absicherung von sozialen Einrichtungen in der Hauptstadt.

Allerdings muss darüber erst noch der Senat entscheiden - und zur Finanzierung wird es nicht ohne Nachtragshaushalt gehen. Offen blieb, wie hoch die Hilfe wirklich ausfallen wird und wie sie bei den Trägern ankommt. Auf eine konkrete Summe haben sich die Parteispitzen noch nicht festgelegt. Giffey begründete das damit, dass derzeit noch vieles offen sei, etwa mit Blick auf die Kosten der Maßnahmen im Bund für die Länder. Insgesamt will die Berliner Landesregierung Finanzmittel zwischen 0,8 und 1,5 Milliarden Euro aufwenden. Die genaue Höhe solle aber erst festgelegt werden, wenn klar sei, wofür der Bund Geld gibt, und wofür nicht. Doppelförderung müsse vermieden werden, machte Giffey klar.

Inflation und steigende Energiekosten

Brandenburger Wohlfahrtsverband sieht soziale Beratungsstellen in Gefahr

Unklar, wer vom Brandenburger Rettungsschirm profitiert

In Brandenburg wurde aufgrund der Energiekosten-Krise bereits Mitte September ein Rettungsschirm mit einem Volumen im dreistelligen Millionenbereich angekündigt. Bei den Verhandlungen waren Unternehmen, Verbände und Gewerkschaften beteiligt, die Wohlfahrtsverbände wurden allerdings außenvorgelassen. "Wir wissen nicht, ob wir von diesem Geld etwas sehen", kritisiert Anne Baaske von der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Brandenburg. "Wir warten seit März darauf, dass jemand aus der Landesregierung auf uns zukommt. Auch nach unserem Offenen Brief an den Ministerpräsidenten ist nichts passiert."

Zusammen mit anderen Verbänden hatte sich die Awo mit Forderungen und Lösungsideen direkt an Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) gewandt. Sie forderten unter anderem ein Einschreiten der Landeskartellbehörde bei ungerechtfertigten Preisen, eine ausreichende Aufstockung des Wohngeldes oder die Einrichtung eines Härtefallfonds. Der Brief und die Forderungen seien bei den Verantwortlichen angekommen, wurde der Awo mitgeteilt. Rückmeldung gab es bisher nicht.

Berechnungen passen nicht zu gestiegenen Kosten

Die Wohlfahrtsverbände und sozialen Träger seien genauso sehr von der Energiekosten-Krise betroffen wie die Bürger:innen, die die Hilfsangebote in Anspruch nehmen wollen, betont Baaske. Bei der Awo Brandenburg zeigt sich das unter anderem bei den Schuldnerberatungen: "Wir haben einen viel höheren Bedarf an Beratungsangeboten. Da braucht es zusätzliche personelle Ressourcen, aber auch eine Erstattung der Betriebskosten. Ich will meine Kolleg:innen nicht bei 16 Grad frieren lassen in den Beratungsstellen."

Bei stationären Hilfsangeboten wie Kinderheimen oder Pflegeeinrichtungen kommt erschwerend hinzu, dass die Awo die Kostensätze jeweils ein Jahr im Voraus mit dem Land oder den Kommunen verhandeln muss. Die Berechnungen von vor zwölf Monaten entsprechen aber nicht annähernd den jetzigen Kosten: "Wenn da jetzt nicht schnell politisch gehandelt wird, dann wird es am Ende dazu führen, dass Einrichtungen verschwinden", so Baaske.

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.09.2022, 09.30 Uhr

Beitrag von Helena Daehler

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