rbb24
  1. rbb|24
  2. Panorama
Audio: rbb24 Inforadio | 02.11.2022 | Helena Daehler | Quelle: dpa/Stefan Jaitner

Strafen und Kosten

Was den Klima-Aktivisten nach den Straßenblockaden bevorsteht

Gruppen wie "Letzte Generation" oder "Scientist Rebellion" haben in Berlin mehrfach Straßen blockiert. In den Stau gerieten auch Rettungswagen. Die Folgen für die Aktivisten bleiben aber überschaubar. Von Hasan Gökkaya

Dass Klima-Aktivisten ihren Protest auf die Straße bringen, ist für die Berliner Polizei nicht neu. Zunehmend müssen sich die Behörden aber daran gewöhnen, dass sogar der gesamte Verkehr in Teilen der Stadt lahmgelegt wird. Vorübergehende Festnahmen und Geldstrafen konnten die Aktivisten, die sich auf Straßen setzen, anketten oder festkleben, bisher nicht abschrecken.

Seit aber eine Radfahrerin am Montag bei einem Lkw-Unfall lebensgefährlich verletzt wurde und ein Rettungsfahrzeug wegen eines Staus nicht rechtzeitig eintreffen konnte, hat sich die Wahrnehmung für das Phänomen verschärft: Klima-Aktivisten müssen sich darauf einstellen, dass künftig bei solchen Aktionen mehr über Strafmaßnahmen gesprochen wird als über die Erderwärmung. Das lassen zumindest die ersten Reaktionen vermuten.

Die Berliner Innensenatorin Iris Spranger sagte dem rbb, es gebe "keine Rechtfertigung dafür, das Leben anderer zu gefährden". Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey betonte, es sei jetzt Aufgabe der Polizei und der Gerichte, zu klären, inwieweit die Aktivisten eine Schuld daran trügen, dass dem Unfallopfer nicht schneller geholfen werden konnte. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hält in bestimmten Fällen auch Gefängnisstrafen für möglich. Wenn Rettungswagen ausgebremst würden, komme auch eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung in Betracht, sagte er der "Bild"-Zeitung am Mittwoch.

Berlin-Wilmersdorf

Radfahrerin bei Lkw-Unfall lebensgefährlich verletzt - Feuerwehr steckt im Stau fest

Eine Radfahrerin ist auf der Berliner Bundesallee von einem Betonmischer erfasst und schwer verletzt worden. Ein Feuerwehrwagen stand wegen der Klimaproteste im Stau. Die Hintergründe des Unfalls lösen in der Berliner Politik Wut und Kritik aus.

Polizei stellt Strafanzeige gegen zwei Autobahn-Blockierer

Bei dem Einsatz in Berlin-Wilmersdorf konnte ein Spezialfahrzeug, das mit umfangreichen Werkzeugen und Spezialgerät ausgerüstet ist, um Menschen nach Unfällen aus Notlagen befreien zu können, nicht rechtzeitig an der Unfallstelle ankommen. Grund war laut der Feuerwehr ein Stau auf der A100. Dieser war durch eine Aktion den Aktivisten verursacht worden. Von der Feuerwehr hieß es, das Fahrzeug habe eine "recht relevante Zeit" im Stau gestanden, an der Unfallstelle sei mit anderen Hilfsmitteln deshalb improvisiert worden.

Bisher hat die Berliner Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben in mehr als 700 Verfahren einige Demonstranten bereits wegen Blockade-Aktionen zu geringeren Geldstrafen verurteilt. Mitte Oktober verhängte ein Gericht eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen á 20 Euro (600 Euro) gegen einen 21-jährigen Studenten. Grundlage dafür war der Strafbestand der Nötigung.

Im Fall der Radfahrerin ist noch unklar, inwieweit sich der durch die Proteste verursachte Stau auf die Rettung der verletzten Frau ausgewirkt hat. Dennoch stellte die Berliner Polizei bereits Strafanzeige gegen zwei Aktivisten der Gruppe "Letzte Generation" wegen unterlassener Hilfeleistung und der Behinderung hilfeleistender Personen.

Trotz der Brisanz um den Unfall glaubt Strafverteidiger Einar Aufurth jedoch nicht, dass die Anzeige der Berliner Polizei gegen die beiden Aktivisten besonders große Folgen haben wird. Allein der Strafbestand der Nötigung sei in der Rechtsprechung bereits eine "historisch umstrittene" Angelegenheit. Und in Fällen, in denen es um eine Sitzblockade geht, sei der Tatbestand besonders schwer nachzuweisen. "Für die Nötigung ist erforderlich, dass Gewalt ausgeübt und dadurch eine Person zu einem Handeln gezwungen wird. Die Rechtsprechung sieht diesen Tatbestand aber nicht erfüllt, wenn Menschen sich schlicht hinsetzen und dadurch ein Auto zum Stehen bringen", sagt der Jurist im Gespräch mit rbb|24.

Staatsanwaltschaft setzt "Nötigung" - Strafbestand ist aber kompliziert

Sobald aber weitere Autos hinter dem ersten Fahrzeug bremsen, ändere sich die Situation. "Dann greift die sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung. Das erste Fahrzeug ist - anders als der eigene Körper - ein massives Hindernis, das zum Stoppen des zweiten Autos genutzt wird. Das ist bei Blockaden von Autobahnausfahrten oft der Fall", so Aufurth.

Allerdings erzwingt das Strafgesetzbuch für den Tatbestand der Nötigung noch eine zweite wesentliche Voraussetzung: Das Mittel der Handlung muss "verwerflich" sein. In den meisten Prozessen muss die Frage der Verwerflichkeit eigentlich nicht groß diskutiert werden. "Bei Sitzblockaden wird es aber kompliziert, da die Motivation der Menschen politisch geprägt ist. Im Fall der Aktivisten geht es nämlich darum, die Regierung zu zwingen, mehr gegen den Klimawandel zu tun."

Prozess gegen Berliner Klimaaktivisten

"Sie haben sich absolut antidemokratisch verhalten"

Ein Klimaaktivist blockiert im Februar mit Gleichgesinnten die A 100. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilt den Studenten zu 600 Euro Geldstrafe wegen Nötigung. Doch es gibt auch Richter, die eine Bestrafung bei Straßenblockaden ablehnen. Von Ulf Morling

Wer also einen Krankenwagen sieht und die Retter bewusst nicht durchlässt, handelt "verwerflich". Ist dies nicht so, könnte eine Richterin oder ein Richter den Fall durchaus anders bewerten. "Ebenso, wenn Autofahrer die Möglichkeit haben, an Demonstranten langsam herumzufahren oder nur wenige Kilometer weiter an einer anderen Autobahnausfahrt rauszukommen", sagt Aufurth. Am Ende sei dies eine Einzelfallentscheidung.

Klima-Aktivisten: Gerichte drücken sich vor klarer Positionierung

Die Klima-Aktivisten von "Scientist Rebellion" zumindest halten ihre Handlungen im Grundsatz nicht für verwerflich. "Wir denken, dass die Blockaden vom Versammlungsrecht gedeckt sind", erklärt die Gruppe auf Anfrage von rbb|24. Gleichzeitig übt sie Kritik: "Dass die Gerichte den Weg der niedrigen Strafzahlungen wählen, zeigt, dass sie sich der gesellschaftlichen Verantwortung entziehen, eine klare Position einzunehmen. Sie sollten entweder sagen, dass die Blockaden nicht richtig sind und hohe Strafen verhängen oder sagen, dass die Blockaden vom Versammlungsgrecht oder dem rechtfertigenden Notstand gedeckt sind und gar keine Strafen verhängen." Manche Verfahren seien ohne Verurteilung eingestellt worden, da Richter sich auf das Versammlungsrecht beriefen hätten.

Interview mit Fridays For Future Berlin

"Die Luft ist bei uns noch lange nicht raus"

Luis von Randow ist erst 16 Jahre alt und bereits Sprecher von Fridays For Future in Berlin. An diesem Freitag ist er beim "Globalen Klimastreik" dabei. Wie sehr Corona, Krieg und Energiekrise der Bewegung zugesetzt haben, erzählt er im Gespräch.

Polizei: Von Kleber abgelösten Aktivisten drohen 241 Euro Geldstrafe

Laut Polizei wird beim Eintreffen der Beamten oft zunächst eine Ordnungswidrigkeit festgestellt, weitere Anzeigen gegen Blockierer, etwa wegen Widerstands, würden je nach Situation geprüft.

Bei besonders großem Widerstand, beispielweise wenn Aktivisten sich an der Straße festgeklebt haben und abgelöst werden müssen, kann es laut Polizei im Einzelfall eine Geldstrafe von 241 Euro kosten. Wie viel die Demonstranten bei einem von Gerichten erlassenen Strafbefehl zahlen müssen, hängt hingegen konkret vom Einkommen der Personen ab - wer viel verdient, zahlt auch mehr.

In Gewahrsam kommen Aktivisten eigentlich nur, wenn die Beamten feststellen, dass dieselbe Person zum Beispiel bereits am Vortag Straßen blockierte. Wird ein Aktivist von der Polizei mitgenommen, entscheidet ein Richter am selben Tag, ob die Person im Anschlussgewahrsam bleibt. Dies passiert der Polizei zufolge aber eher selten, da Aktivisten selten vor Richtern bestätigen würden, eine Wiederholung der Tat zu planen.

Die Gruppe "Letzte Generation" ermuntert auf ihrer Internetseite ihre Unterstützer sogar zum Missachten von Platzverweisen, um in Folge dann in Gewahrsam zu kommen. "Einen Platzverweis zu missachten ist keine Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die Polizei kann euch aber in Gewahrsam nehmen, um den Platzverweis durchzusetzen." [letztegeneration.de]

Die Kosten für die von der Polizei aufgegriffene Klima-Aktivisten scheinen überschaubar zu sein, wer aber zahlen muss, muss in die eigene Brieftasche greifen: Weder "Scientist Rebellion" noch die "Letzte Generation" springen nach eigenen Angaben in der Regel bei Strafzahlungen ein.

Sendung: rbb24 Inforadio, 02.11.2022, 20:00 Uhr

Die Kommentarfunktion wurde am 03.11.2022 um 7:42 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.

Beitrag von Hasan Gökkaya

Artikel im mobilen Angebot lesen