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Video: rbb24 Abendschau | 16.02.2023 | Jana Kalms | Quelle: picture alliance/empics

Arbeiten trotz Post-Covid

Die schwierige Rückkehr in den Job

Trotz monatelanger Krankschreibung sind viele Post-Covid-Patienten nur eingeschränkt arbeitsfähig und werden in die Frührente gedrängt. Dabei wäre eine betriebliche Wiedereingliederung in vielen Fällen für beide Seiten ein Gewinn. Von U. Barthel und J. Kalms

Als Carola Schulz im Oktober 2020 an Corona erkrankte, ging es ihr besser als vielen anderen. Der Krankheitsverlauf war mild, doch das täuschte. Bis heute spürt sie die Folgen. Sie leidet an chronischer Fatigue (Erschöpfung), einem Symptom von Post-Covid*. Trotz einer Reha-Kur und einer stufenweisen Wiedereingliederung nach dem sogenannten Hamburger Modell kann sie nicht mehr als Requisiteurin an einer großen Berliner Bühne arbeiten. "Bei sechs Stunden Arbeit täglich bin ich an meine Grenzen gekommen. Wenn ich nach Hause kam, habe ich den Rest des Tages im Bett verbracht, weil ich mich erholen musste", erzählt die 54-Jährige.

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Trotzdem war sie froh über jeden Tag, an dem sie wieder arbeiten konnte – auch wenn es nur einige Stunden waren. Bis ihr Vorgesetzter sagte, dass es nicht reiche - entweder ganz oder gar nicht. "Das war schrecklich, ein Schock", erinnert sie sich. "Ich hatte auch keinerlei Unterstützung. Es ist nicht gefragt worden: Wie geht es dir? Wenn ich gesagt habe, ich kann etwas nicht, weil es mich überanstrengt, dann wurde gesagt, dass das Arbeitsverweigerung ist."

Nach dem Gespräch hatte sie einen Zusammenbruch, wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Das war im November 2021. Inzwischen ist sie seit 14 Monaten krankgeschrieben. Bis zum 9. März 2023 bekommt sie noch Krankengeld. Wenn es für sie keine Teilzeitlösung gibt, muss sie einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente stellen.

Zu schnelle Steigerung der Arbeitszeit führt oft zum Crash

Elisa Stein von der Berliner Charité kennt viele Geschichten wie diese. Die Internistin behandelt im Fatigue-Zentrum der Charité Post-Covid-Patienten. Sie erzählt, dass die meisten sich bei der stufenweisen Wiedereingliederung überfordern, weil sie die tägliche Arbeitszeit zu schnell steigern. Das endet immer wieder mit einem Crash, aus dem sie sich dann erst einmal über Wochen herausarbeiten müssen“, sagt die Ärztin im Interview mit rbb24 Recherche. Das bisherige Modell zur Wiedereingliederung langzeitig Erkrankter geht davon aus, dass sie voll genesen und einsatzbereit sind. Aber bei Post-Covid ist genau das nicht der Fall. Und es gibt noch immer keine wirkungsvolle Therapie.

Internistin Elisa Stein | Quelle: rbb

Keine genauen Daten über die Zahl der Betroffenen

In Deutschland gibt es bislang keine genauen Daten über die Zahl der Betroffenen. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) klagen 10 bis 20 Prozent der Patienten nach einer Corona-Infektion über Post-Covid-Beschwerden. Experten gehen davon aus, dass ein Prozent der Infizierten das chronische Erschöpfungssyndrom entwickeln. Laut einer Untersuchung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK waren während der Pandemie 68.000 Versicherte wegen Long-Covid oder Post-Covid krankheitsbedingt im Betrieb ausgefallen, 30 Prozent davon länger als sechs Wochen (Stand 31.07.2022). Genauere Daten gibt es bislang nicht.

Elisa Stein behandelt im Fatigue-Zentrum der Charité auch viele junge Patienten, die arbeiten und in die Rentenkasse einzahlen könnten und dies auch wollen. Stattdessen stehen sie mit Mitte 30 oder Anfang 40 vor der Entscheidung, einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente stellen zu müssen.

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Wenig Verständnis bei Arbeitgebern

Dabei könnten viele durchaus einige Stunden am Tag arbeiten. Doch bei den Arbeitgebern gebe es zu wenig Verständnis für die Krankheit, bemängelt die Ärztin. "Die Patienten bekommen gespiegelt, sie müssten sich einfach nur zusammenreißen. Das sei alles nur psychisch", berichtet die Medizinerin. "Dann versuchen sie sich zusammenzureißen und alles zu geben. Und das ist dann die Anstrengung, die wieder zu einer Verschlechterung ihres Zustandes führt." Elisa Stein wünscht sich ein Umdenken bei den Arbeitgebern und flexiblere Arbeitsmodelle für Menschen, die an den Folgen einer schweren Erkrankung leiden: reduzierte Arbeitszeit, Homeoffice oder auch einen Ruheraum, um zwischendurch mal auszuspannen.

20.000 "arbeitsmarktbedingte Renten" pro Jahr

Denn das Problem ist nicht erst seit Post-Covid bekannt: Menschen, die beispielsweise eine Krebserkrankung hinter sich haben oder an Rheuma oder Depressionen leiden, kämpfen mit einem starren System der Wiedereingliederung in den Beruf. Denn in den Unternehmen, so der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), gebe es nach wie vor Personalchefs, die Beschäftigte nur als Kostenfaktor sehen, wenn sie nicht 100 Prozent leistungsfähig sind.

"Viel zu schnell werden sie dann aussortiert", meint Markus Hofmann, Abteilungsleiter für Sozialpolitik beim DGB-Bundesvorstand. "Die Personalchefs sehen nicht, dass man diese Menschen eigentlich noch gut integrieren könnte, indem man schaut: Welche Fähigkeiten haben sie, wo kann man sie im Betrieb einsetzen und auch ihre Erfahrungen und ihr Wissen nutzen." Jedes Jahr werden deshalb laut einer Statistik der deutschen Rentenversicherung 20.000 Erwerbsminderungsrenten für Beschäftigte bewilligt, die eigentlich noch arbeiten könnten, auch wenn sie nicht mehr die volle Leistung erbringen. "Arbeitsmarktbedingte Renten" heißt das im Amtsdeutsch.

Dabei sind Arbeitgeber schon seit 2004 dazu verpflichtet, Beschäftigten, die längere Zeit erkrankt sind, ein Angebot zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) zu machen. Das bedeutet, der Arbeitsplatz und die Arbeitszeit sollen so angepasst werden, dass Menschen mit einer chronischen Erkrankung dennoch arbeiten können.

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Nur 40 Prozent der Langzeiterkrankten bekommen Wiedereingliederung angeboten

Trotz dieser Verpflichtung bekommen laut der bislang letzten Umfrage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2018) aber nur 40 Prozent der Berechtigten dieses Angebot vom Arbeitgeber. Konsequenzen hat das für die Unternehmen kaum, kritisiert Verena Bentele vom Sozialverband VdK. "Das Problem ist, dass es überhaupt keine Sanktionsmöglichkeiten gibt, wenn Unternehmen das betriebliche Eingliederungs-Management nicht anbieten", so Bentele.

Deshalb fordert der Sozialverband Sanktionen und verbindliche Qualitätsstandards, wenn auf diese Maßnahmen verzichtet wird. Dem schließt sich auch der DGB an. "Der Gesetzgeber muss dafür Sorge tragen, dass man sich da nicht dran vorbeimogeln kann", so Gewerkschafter Hofmann. "Es muss ein Regelwerk geben, auf das sich die Beschäftigten verlassen können", betont er.

Die Arbeitgebervereinigung (BDA) hat sich zu dem Thema nicht geäußert. Zwar stehen einheitliche Qualitätsstandards auch im Koalitionsvertrag der Ampel. Doch wann diese auch verbindlich festgeschrieben werden, steht noch nicht fest. "Im Laufe dieser Legislaturperiode wird geprüft, wie der Auftrag aus dem aktuellen Koalitionsvertrag möglichst wirkungsvoll umgesetzt werden kann", teilt das Bundesarbeitsministerium auf Anfrage von rbb24 Recherche mit.

Catharina Quantz | Quelle: rbb

Win-Win-Situation für Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Dass von den Maßnahmen Arbeitnehmer und Arbeitgeber profitieren, zeigt das Beispiel von Catharina Quantz. Auch sie war im Herbst 2020 an Covid19 erkrankt und litt Wochen nach der Infektion noch immer an Konzentrationsproblemen, Kopfschmerzen und Erschöpfung. Die Ingenieurin schaffte ihre tägliche Arbeit nicht mehr. "Nach vier bis sechs Stunden war ich durch", erzählt die 38-Jährige.

Weil sie sich auf der Arbeit angesteckt hatte, gilt ihre Infektion als Berufskrankheit. Deshalb bekam sie bei ihrer Rückkehr auch Unterstützung von einer Arbeitsplatz-Therapeutin. Mit deren Hilfe wurden die Arbeitsbedingungen angepasst. Jeden zweiten Tag arbeitet sie nun zu Hause und muss sich nicht durch den Berufsverkehr ins Büro quälen. Neben dem Schreibtisch im Homeoffice steht ein großes Bett, damit sie sich in der Pause hinlegen und schlafen kann. So schafft sie es, 30 Stunden in der Woche zu arbeiten. Und auch ihr Arbeitgeber ist zufrieden, weil er sie als qualifizierte Kollegin im Team behalten kann und sich nicht auf dem leergefegten Arbeitsmarkt nach Ersatz umsehen muss. Eine Win-Win-Situation für beide Seiten.

* Laut der Definition der WHO werden unter dem Begriff Post-COVID-19-Syndrom gesundheitliche Beschwerden zusammengefasst, die im Anschluss an eine durchgemachte SARS-CoV-2 Infektion über mehr als 12 Wochen fortbestehen und anderweitig nicht erklärbar sind.

Sendung: rbb24, 16.02.2023, 13:00 Uhr

Beitrag von Ute Barthel und Jana Kalms

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