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Quelle: rbb/Abendschau

Interview | Meinungsfreiheit an Schulen

"Generell kann man alles sagen - man muss sich nur über die Konsequenzen bewusst sein"

Carla Siepmann ist eine von vier Chefredakteurinnen der Schülerzeitung "Moron" am Carl-von-Ossietzky-Gymnasium in Berlin-Pankow. Im Redaktionsalltag lernen die Schüler mit unterschiedlichen Meinungen und Falschinformationen umzugehen.

rbb24: Carla, wie findet Ihr die Themen für Eure Schülerzeitung "Moron"?

Carla Siepmann: Wir beginnen jeden neuen Zeitungszyklus mit einer großen Konferenz, auf der wir uns ein Titelthema überlegen. Wir hatten zum Beispiel bereits Wandel, Kampf und Klasse. Dazu versuchen wir, passende Themen zu finden. Wir haben verschiedene Kriterien, die ein Thema erfüllen sollte, wie zum Beispiel echte Leute und Orte, sowie Relevanz, Spannung und Kontroversität.

Gibt es von der Schule Vorgaben?

Es gibt in der Schule ein ganz besonderes Machtverhältnis – im Unterricht zwischen Lehrkräften und Schüler:innen, aber auch in unserer Redaktionsarbeit zwischen Redaktion und Schule beziehungsweise Schulleitung. Wir sind offiziell eine Schul AG. Das bedeutet, wir haben betreuende Lehrkräfte, die AG Leitung. Die besteht zurzeit aus einem Lehrer und einer Lehrerin. Wir können nicht völlig frei von denen agieren.

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Wir müssen auch auf das achten, was die uns sagen. Das meiste passiert im Diskurs mit der Redaktion, der AG Leitung und der Chefredaktion. Aber ich würde nicht von uns behaupten, dass wir eine vollkommen unabhängige Zeitung sind. Wir sind darauf angewiesen, dass diese Lehrkräfte uns helfen, da wir ohne sie keinen Zugang zu Schulräumen hätten und auch zum Beispiel keine Verträge, was Anzeigen oder Kontoverbindungen angeht, unterschrieben werden könnten.

Stichwort Meinungsfreiheit. Inwieweit diskutiert Ihr auch verschiedene Meinungen? Oder gibt es da auch Grenzen?

Meiner Meinung nach leistet die Schülerzeitung einen extrem großen Beitrag zum politischen Diskurs an der Schule in ganz vielen verschiedenen Hinsichten. Zum einen denke ich, dass die Arbeit in der Redaktion politisch bildet. Man lernt, einen spezielleren Blick auf bestimmte Dinge zu bekommen: Was ist überhaupt relevant? Was interessiert die Leute? Was hat irgendeine Kontroversität? Zum anderen auch, dass man mehr darauf achten muss, ausgewogen zu arbeiten.

Wir hatten teilweise sehr kontroverse Meinungsbeiträge. In einer Ausgabe vor zwei Jahren hat einer unserer Redakteure eine "Feminismuskritik" verfasst. Daraufhin gab es von einer Arbeitsgemeinschaft in unserer Schule einen Contra-Flyer, der in der Schule verteilt und aufgehängt wurden. Das war damals sehr kontrovers, da der Schüler erst in der zehnten Klasse war und damit natürlich auch schutzbedürftig ist und seine Kritik unter seinem echten Namen veröffentlicht hatte und dieser Name dann auch wieder in der Kritikschrift der AG verbreitet wurde. Aber ohne dass die AG mit ihren Namen unterschrieben hat, sondern die sind anonym geblieben. Dies hat an der Schule zu einigen Diskussionen geführt.

Aber das heißt, die Schule ist für Euch ein Ort, die alle Meinungen zulässt? Oder gibt es etwas, was verboten ist?

Generell kann man alles sagen. Man muss sich nur über die Konsequenzen bewusst sein. Natürlich sind die Grenzen für uns das Strafrecht. Aber es gibt auch bestimmte Verrisse, die wir nicht veröffentlichen. Zum Beispiel gab es mal einen Verriss über eine Lehrkraft, der auch damals erschienen ist, wo unser damaliger AG-Leiter sehr in Rechtfertigungsnot gegenüber dem Kollegium geraten ist. Seitdem achten wir sehr gezielt darauf.

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Wie seit Ihr selber geschult oder woher wisst Ihr, wie Ihr recherchieren müsst, was seriöse Quellen sind? Wie könnt Ihr Fake-News oder falsche Informationen von wahren unterscheiden?

Wir sind erstmal alle journalistisch ungebildete Schüler:innen. Uns ist auch sehr wichtig, dass wir stufenübergreifend arbeiten, von der siebten bis zur zwölften Klasse sind ganz viele Leute dabei. Wir bieten zweitägige Schreibworkshops an. Der erste Teil besteht daraus, schreiben zu lernen, zu beobachten und das Beobachtete zu beschreiben. Und der zweite Teil des Workshops ist ein Tag, wo Kleingruppen Exkursionen zu bestimmten Orten machen. Am Ende müssen sie einen Bericht darüber schreiben.

Wir recherchieren, wie die meisten Leute recherchieren, indem wir uns einen Überblick über ein Thema verschaffen. Dazu nutzen wir auch Online-Quellen. Aber wir schreiben keine Artikel, zum Beispiel über das Thema, was der Klimawandel ist, was man einfach in einem Lexikon nachgucken könnte.

Für uns ist wichtig, dass eine journalistische Kompetenz reinkommt, also dass wir sozusagen Türöffner für unsere Leser:innen sind, für etwas, zu dem sie normalerweise keinen Zugang hätten. Das sind meistens Dinge, wie reale Orte oder Personen, indem wir Leute interviewen und Orte besuchen.

Falschinformationen unterscheiden ist generell eine Frage von Medienkompetenz. Das ist natürlich bei Schüler:innen noch mal besonders sensibel, die ungelernt sind. Ich denke, hier ist wichtig, dass wir als Redaktion immer zusammenarbeiten und uns unterstützen und dass auch nichts veröffentlicht wird, was nicht von einer älteren Person lektoriert wurde, also entweder von der AG Leitung oder von der Chefredaktion. Und dass wir so versuchen, uns möglichst gut selbst zu kontrollieren und auch als Redaktion davor zu schützen, uns einen schlechten Ruf damit zu machen, Falschinformationen oder schlecht recherchierte Artikel zu veröffentlichen.

Wie nutzt Du soziale Medien? Und wo informierst Du Dich?

Von den sozialen Medien nutze ich vor allem Instagram und Twitter. Seit neuestem auch Mastodon. Ich informiere mich primär über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Zeitungen. Ansonsten haben viele Medienhäuser Social-Media-Auftritte, von wo man sehr komprimiert und zugespitzt Informationen bekommt.

Zur Person

Welche Instrumente kennst Du, um wahre von unwahren Informationen zu unterscheiden?

An unserer Schule gibt es einen Informationstechnischen Grundkurs in der siebten Klasse, wo man lernt, mit digitalen Medien und Computern umzugehen. Dort gibt es auch Einheiten, wo unterrichtet wird, wie man Falschinformationen von wahren Informationen unterscheiden kann. Die Methoden, die ich kenne, ist zunächst zu checken, ob die Quelle seriös ist und zu schauen, ob auch andere Medien das Thema gebracht haben und ob es kohärent ist, was ich sonst noch weiß.

Gab es Themen für die Schülerzeitung, wo Du tiefer graben musstest?

Wir hatten vor einiger Zeit eine Reportage über die Rigaer Straße 94. Eine Co-Redakteurin und ich hatten vor Ort mit zwei Hausbesetzerinnen gesprochen. Aber dere Meinung war natürlich eine sehr subjektive Sicht auf die Dinge, die sich in der Straße und in dem Haus zutragen.

Deswegen haben wir zusätzlich bei Anwohner:innen geklingelt und mit denen gesprochen, wie sie das ganze wahrnehmen. Danach hatten wir einen sehr positiven Eindruck von der Rigaer Straße 94. Das war uns aber noch nicht objektiv genug. Deswegen haben wir noch die Senatsverwaltung für Inneres für ein Statement angefragt und mit dem Pressesprecher gesprochen. Der hatte uns nochmal eine Gegenposition vermittelt.

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Worum wir in der Schülerzeitung immer sehr bemüht sind, ist verschiedene Perspektiven einzusammeln und möglichst auch gegensätzliche Positionen zu finden. Wir möchten natürlich trotzdem vermeiden, irgend eine Art von false balance herzustellen. Nur weil eine Meinung gegensätzlich ist, ist sie nicht genauso relevant oder verbreitet wie eine andere Meinung. Aber dabei müssen wir auch unseren eigenen gesunden Menschenverstand nutzen und abwägen, wie wir darüber berichten. Oder auch in welcher Form, weil wir mit einer sehr vulnerablen Gruppe von Leser:innen arbeiten.

Glaubst Du, es wird immer schwieriger, fake news von wahren Nachrichten zu unterscheiden?

Ich denke, es werden immer mehr Informationen. Ich weiß gar nicht, ob das das größere Problem ist, fake news von wahren Nachrichten zu unterscheiden oder ob es nicht vielmehr die Medienkompetenz ist, Meinung von Nachricht zu unterscheiden. Ich denke, dass es jetzt in den letzten Monaten zunehmend schwer geworden ist. Aufgrund von der Übernahme von Twitter durch Elon Musk und die blauen Haken, dass man nicht mehr wissen kann, was eine gesicherte, verifizierte Quelle ist und was nicht. Und auch durch die AI, die jetzt in den letzten Monaten immer mehr vorgekommen ist. Zum Beispiel muss ich gestehen, dass ich auf dieses Papstfoto reingefallen bin. Ich war einen Tag lang davon überzeugt, dass der Papst hippe Daunenjacken trägt – bis ich dann eines Besseren belehrt wurde.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Carla Siepmann führte Christina Rubarth.

Sendung: rbb24 Abendschau, 03.05.2023, 19:30 Uhr

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