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Quelle: rbb|24/Mitya

Der Absacker

Dit is Klischee!

Kaum eine Stadt wird auf solch peinliche Art und Weise für klischeehafte Sprüche benutzt wie Berlin. Arm aber sexy war mal. Jetzt scheint der Slogan der Stadt eher kalt und leer zu sein. Droht Berlin das gleiche Schicksal wie New York?, fragt sich Efthymis Angeloudis.

"Janz Berlin ist eene Wolke. Berlin ist ein Moloch. Berlin ist eine ehrliche Haut." Anscheinend gibt es über diese Stadt so viele klischeehafte Sprüche wie Einwohner. Ganz egal wie peinlich - aus irgendeinem Grund versuchen wir unsere Gefühle über das Leben in der Stadt zu vermenschlichen. Unserer Freude oder Wut ein Gesicht zu verleihen. Berlin möchte mich ausspucken, schrieb ich mal in einem Aufruf an Freunde auf Facebook, als ich von der ewigen Wohnungssuche in B. genug hatte.

Berlin dürfte das ziemlich egal gewesen sein. Denn letztendlich ist die Stadt nun mal kein Mensch, kein Bär und kein Gefühl, sondern eine Ansammlung von 3,6 Millionen Menschen, die gerade, so scheint es, nicht gut aufeinander zu sprechen sind. Letztendlich ist Berlin aber seit heute eins - Risikogebiet.

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Corona-Lagebericht

Grenzwert für Neuinfektionen erstmals für ganz Berlin überschritten

1. Was vom Tag bleibt

"Berlin ist nicht mehr Berlin." Das dürfte seit Ausbruch der Pandemie hinlänglich bekannt sein. Zum ersten Mal ist jedoch der Grenzwert von 50 Corona-Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen überschritten worden. Am Donnerstag lag er laut Lagebericht des Senats bei 52,8. 498 neue Infektionen wurden demnach in den vergangenen 24 Stunden vermeldet. Das ist mit Abstand der höchste Wert seit Beginn der Pandemie.

Vier Bezirke überschreiten den Weg nach den neuesten Zahlen - und das teilweise deutlich: Neukölln (114,3), Mitte (78,3), Tempelhof-Schöneberg (72,4) und Friedrichshain-Kreuzberg (68,9). In allen anderen Bezirken liegt der Wert unter 50 - in Charlottenburg-Wilmersdorf (48,6) und Steglitz-Zehlendorf (46,1) allerdings nur knapp. Am niedrigsten ist der Wert in Marzahn-Hellersdorf (20,0).

Und während sich das Bezirksamt Neukölln und die Restaurants auf die Nutzung von Pavillons und Heizstrahlern einigen, verliert Berlin im vierten Monat in Folge Einwohnerinnen und Einwohner. Das zeigen aktuelle Zahlen vom Amt für Statistik Berlin-Brandenburg. Ende Juni lebten demnach 3.662.501 Menschen in der Hauptstadt. Das waren 1.039 Menschen weniger als Ende Mai. Der Grund dafür könnte womöglich auch das Coronavirus sein.

2. Abschalten

Dass sich die Pandemie auf die Bevölkerungszahlen von Großstädten auswirkt, konnte man bereits weltweit in viele Ballungsgebieten verfolgen. Am schlimmsten davon betroffen scheint die Weltstadt New York zu sein. Immerhin haben 420.000 New Yorker [tagesschau.de] von März bis Mai Big Apple für ländliche Regionen oder die schicken Hamptons verlassen. Im Süden von Manhattan stehen fünf Prozent der Apartments leer, in den reicheren Vierteln fast die Hälfte aller Wohnungen. Einen Eindruck davon verschafft die ZDF Heute-Reportage “Flucht aus Manhattan”.

3. Und, wie geht's?

Bei der Nachrichtenlage verzeihen Sie uns, dass wir uns an zwei aufeinander folgenden Tagen mit Lob eindecken, aber Christinas Nachricht an uns ist so zuckersüß, dass wir Sie doch gern mit Ihnen teilen würden.

Liebes Absacker -Team,

Ich verfolge den Absacker von Beginn an...als jemand, der weit, weit weg im schwäbischen Exil lebt und just die zweite, für nächste Woche geplante Reise ins dicke B. coronabedingt absagen musste...für mich ist der Absacker gerade die beste lebendigste Verbindung nach Hause...ich lese alle Beiträge des rbb, aber der Absacker ist mein liebstes Ressort.

Berlin wird da lebendig, diese große alte Dame, die doch wie ich immer noch Jöre geblieben ist und das ganz bockig zu bleiben gedenkt...und Sie alle, die Sie diese Beiträge schreiben, werden es auch für mich.

Ich glaube, Sie alle doch irgendwie zu kennen...wir könnten auch wie gute Freunde in einem Berliner Cafe sitzen ( ich persönlich gäbe da Kreuzberg den Vorzug;) und einander das pandemiebedingt schwere Herz ausschütten, miteinander seufzen, kichern und schmunzeln, Entdeckungen und Erheiterndes miteinander teilen...

Guter Journalismus lebt für gewöhnlich von Fakten, zumindest meiner bescheidenen Meinung nach.

Sie alle bringen das Kunststück fertig, die Fakten zum Leben zu erwecken.

Dabei und darüberhinaus entwickeln Sie tröstliche und entlastende Perspektiven ...ich habe lange über die richtigen Wörter an dieser Stelle nachgedacht. Ich hoffe, nicht so verflixt pathetisch zu klingen!

Ich bleibe aber dabei: Sie trösten mich mit Ihrem Absacker. Sie entlasten mich. Sie werden nahbarer, als Menschen erfahrbar, ohne dabei unprofessionell zu werden.

Für mich ist das großes Kino im besten Sinne.

Mit den verschiedenen Autoren sind Sie vielfältig geworden, was den Absacker größer macht...Jeden Abend die spannende Frage, wer von Ihnen mich heute besucht!;)

Ich muss gestehen, ich mag den Absacker so wie er ist! ( Das werden vermutlich viele schreiben)...ich sehe aber auch, wie er sich auf dieser Coronareise hierher entwickelt hat...und strenge mich an, offen zu bleiben für Veränderungen ( als preußischer Sturkopp eine gewisse Herausforderung).

Ich hoffe, wir werden uns weiter in meinem gedachten Café treffen und Freunde bleiben.

Ich fände es schön, wenn der Absacker über Corona hinaus erhalten bliebe.

Er mag aus der Not geboren sein, Sie haben da aber gemeinsam etwas ganz Besonderes geschaffen, dass es in meinen Augen verdient, darüberhinaus am Leben gehalten zu werden.

Ich danke Ihnen allen für all die harte Arbeit, die Sie in den Absacker stecken. Für das spürbare Herzblut, den Schweiß und die ( hoffentlich nicht allzu vielen) Tränen, die Sie darin investieren.

All dies wird gesehen. Es wird geschätzt und gewürdigt.

Der Absacker ist ein verbindendes Gesprächsthema unter all meinen Freunden geworden. Alle, wirklich alle mein zum Teil sehr verschiedenen Freunde, selbst die Schwäbischen, die Berlin gar nicht leiden mögen, lesen ihn und haben ihn gern. Und sprechen darüber.

Ich finde das nach wie vor erstaunlich. Und wunderbar.

Nach so viel Süße, lassen wir uns ab Morgen gerne wieder tadeln. Schreiben Sie uns Ihre Kritik und Ihre Verbesserungsvorschläge an absacker@rbb-online.de.

Wer ich bin

Offensichtlich griechisch - oder außerirdisch. Da scheiden sich die Geister. Manchmal fühlt sich Efthymis Angeloudis (Aussprachehilfen gibt es nicht), als ob das Leben ihm einen üblen Streich gespielt hätte und er deswegen in Berlin gelandet sei. Manchmal geht er (mit Einhaltung der Abstandsregeln) nach dem Regen im Park spazieren und denkt sich, dass es hier gar nicht mal so schlecht ist.

4. Ein weites Feld

Dass wir in der Hauptstadt weniger werden, wird so manch einer sicherlich gut finden. Vielleicht nicht zu unrecht. In New York zum Beispiel werben manche Vermieter mit drei Monaten mietfrei [bloomberg.com], um ihre leerstehenden Wohnungen loszuwerden. So eine Entwicklung wäre für viele Wohnungssuchende und Wohnungslose in Berlin ein Segen.

Doch auch dann ist zu befürchten, dass Misstrauen, Angst und Wut auf diese oder jene Menschengruppe, "die im Verkehr ja nur an sich denkt und uns den Platz raubt" nicht komplett aus dem Stadtbild verschwinden werden. Wahrscheinlich war das schon vor dem verkorksten Jahr 2020 so. Corona hat dem Ganzen wohl den Rest gegeben. Und das hat weniger etwas mit Atemschutzmaske oder Sicherheitsabstand zu tun als mit einer Grundeinstellung, die in jedem das Andere sieht.

Vielleicht hilft es sich selbst dann noch vor Augen zu führen, dass der Gegenüber meistens dieselben Schwächen, Ängste und Hoffnungen wie wir hat. Dit is Berlin. Oder dit sollte es sein.

Es grüßt Sie hoffnungsvoll,

Efthymis Angeloudis

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