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Video: rbb|24 | 06.02.2021 | Material: Morris Pudwell | Quelle: ZB

Kälteeinbruch am Wochenende

Bezirk lässt Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht räumen

Eines der größten Obdachlosencamps Berlins wurde in der Nacht auf Samstag geräumt. Die zuständige Bezirksverwaltung in Lichtenberg sagt, sie will die Bewohner vor dem Kälteeinbruch schützen. Doch das Vorgehen der Behörde provoziert Proteste.

Am Freitagabend ist das Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht in Berlin-Lichtenberg geräumt worden. Etwa 100 Menschen wurden mit Bussen in Unterkünfte der Kältehilfe gebracht. "Wegen des Wetters mit Kälte, Schnee und Feuchtigkeit ist die Lage sehr bedrohlich, wir können nicht mehr gewährleisten, dass Leib und Leben für die Menschen hier gesichert sind", sagte Kevin Hönicke (SPD), stellvertretender Bezirksbürgermeister in Lichtenberg am späten Freitagabend.

Den Bewohner sollte im Laufe des Samstags erlaubt worden sein, persönliche Gegenstände aus dem Lager zu holen, sagte eine Bezirkssprecherin rbb|24. Danach wolle der Besitzer des Grundstück sichern - vermutlich, um weiteres Campieren zu verhindern. Die Bezirkssprecherin sagte hingegen, dass seitens der Verwaltung keine Zelte abgebaut würden.

In Zusammenarbeit mit dem Senat sei eine Unterkunft für 100 Menschen gefunden worden, so Hönicke. Es handele sich um eine Traglufthalle, die schon oft für Obdachlose genutzt worden sei. "Wir haben hier im Laufe des Tages eine sehr gute Lösung gefunde." Busse der BVG standen bereit, um die Campbewohner dorthin zu bringen. Am Einsatz beteiligt waren neben Mitarbeitern des Bezirksamtes und Sozialarbeitern auch Kräfte des Technischen Hilfswerks und des Deutschen Roten Kreuzes. "Mein Ziel ist es, die Leute in sichere Unterkünfte zu bringen", sagte Hönicke.

Kritik an später Räumung

Dutzende Menschen haben am Samstag gegen die Räumung protestiert. Linke Gruppen hatten am Samstag zum Protest am Ostkreuz aufgerufen und forderten, dass die ehemaligen Bewohner des Camps dorthin zurückkehren dürfen. Anwesende sprachen von 80 bis 100 Teilnehmern, ein Polizeisprecher konnte am frühen Nachmittag noch keine Zahl nennen.

Sie warfen dem Bezirk vor, mit der Aktion Obdachlose um ihre Habe und zusätzlich in Gefahr zu bringen. Bewohner hätten etwa nicht mehr ihre persönlichen Wertsachen aus dem Camp holen können, sagte die Anmelderin der Spontandemonstration. In einer Mitteilung hieß es: "Die kälteste Woche des Jahres bei Temperaturen von -12 Grad steht bevor, Corona-Inzidenzzahlen sind nach wie vor hoch, und die Berliner Polizei und Politik hat nichts Besseres zu tun, als den Ärmsten der Armen ihre Unterkunft, Feuerstellen und Besitz wegzunehmen."

"Schon länger klar, dass es kalt werden würde"

Die Aktivistin kritisierte außerdem, dass zu wenige Übersetzer für die häufig nicht deutsch sprechenden Wohnungslosen vor Ort gewesen seien. Campbewohner, die erst am späten Abend zu ihrer Unterkunft zurückkehrten, sei nicht klar gewesen, wohin sie gebracht werden sollen. Einige hätten sich daher geweigert, in die bereitstehenden Busse einzusteigen. Am Samstagnachmittag sei der Zugang zum Gelände gar nicht mehr möglich gewesen.

"Ich finde es sinnvoll, Menschen in winter- und wetterfeste Unterkünfte zu bringen", sagte Daniela Ehlers, Grünen-Politikerin im Lichtenberger Bezirksparlament, dem rbb. "Aber ob man das nachts bei Schneesturm machen muss, wage ich klar zu bezweifeln." Es sei schon länger klar, dass es kalt werden würde, so Ehlers. "Ich frage, warum man Menschen in der Nacht überrumpeln muss."

Als Reaktion auf die Räumung kam es auch zu Sachbeschädigungen von Linksradikalen. In einem Schreiben, das im Internet kursiert, hieß es, dass eine Sparkasse in der Nähe beschädigt und Bagger auf einer nahe gelegenen Baustelle "unbrauchbar gemacht" worden seien. Der Polizei war das Schreiben bekannt, ein Sprecher konnte am Samstagnachmittag aber nur bestätigen, dass Scheiben von Bauwagen und Baufahrzeugen eingeschlagen wurden.

"Die Kälte hat uns überrascht"

Hönicke, der als Stadtrat auch für das Thema Soziales verantwortlich ist, wies die Vorwürfe zurück. Schon seit Freitagnachmittag seien Sozialarbeiter und Übersetzer vor Ort gewesen, die den Menschen geholfen hätten. Auch hätten die Bewohner durchaus persönliche Dinge mitnehmen können, zum Teil sogar per Lastwagen. Zwang sei nicht ausgeübt worden, sagte Hönicke.

"Die Kälte hat uns überrascht", fügte eine Bezirkssprecherin auf rbb-Nachfrage hinzu. Erst am Donnerstag sei klar geworden, wie kalt es wirklich werden würde. "Es hat dann länger gedauert, als erwartet, bis alle Einsatzkärfte da waren."

Eines der größten Berliner Obdachlosenlager

Auf der Brache an der Rummelsburger Bucht leben die Menschen in Zelten und anderen Unterkünften. Bei der Obdachlosenzählung in Berlin vor einem Jahr war es der Ort mit den meisten Obdachlosen: 81. Erst danach folgte die Gegend am der Bahnhof Zoo mit 71 im Freien lebenden Menschen. Bei einer Begehung am Donnerstag seien an der Rummelsburger Bucht 40 bis 50 Zelte gezählt worden, sagte Hönicke.

Das Areal ist Bauland. Dort sollen Hunderte Wohnungen entstehen, aber auch eine umstrittene Touristenattraktion. Die sogenannte "Coral World", ein Aquarium mit Südseefischen, soll dort entstehen. Anwohner und Umweltschützer kritisieren allerdings sowohl den geplanten Standort innerhalb eines Wohngebiets, als auch möglicherweise negative ökologische Auswirkungen des Projekts.

Zusätzliche Plätze in Obdachlosenunterkünften

Berlin stellt an dem bevorstehenden eisigen Wochenende mehrere zusätzliche Plätze im Warmen für Obdachlose bereit. In einem Hostel an der Boxhagener Straße in Friedrichshain stehen ab Samstag 18 Uhr 100 Betten Tag und Nacht zur Verfügung, wie die Senatsverwaltung für Gesundheit am Freitagabend mitteilte. Zudem öffnet am Sonntag auf dem Gelände der früheren Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Reinickendorf eine Einrichtung mit 100 Plätzen. Die Anzahl soll ab Dienstag auf 200 erhöht werden.

Ein Hostel an der Köpenicker Straße in Kreuzberg erhöht seine Kapazität von 100 Plätzen um weitere 20, darunter auch für obdachlose Rollstuhlfahrer.

Quelle: Pudwell

Bitte an Bevölkerung, Obdachlose in der Kälte nicht zu ignorieren

Laut Mitteilung gibt es in den Einrichtungen der Kältehilfe aktuell 1.090 Notübernachtungsplätze. In der vergangenen Woche seien davo 121 frei geblieben. In der Stadt sind demnach auch fünf Busse mit Sozialarbeitern unterwegs, um obdachlose Menschen zu unterstützen und sie in Einrichtungen zu bringen.

Wer vermute, dass eine Person unter Kälte leidet, sollte diese höflich ansprechen und fragen, ob sie Hilfe annehmen will, hieß es. Besonders im Winter könne es lebensgefährlich werden, auf der Straße zu schlafen. "Sehen Sie bitte nicht weg, wenn Sie eine Erfrierungsgefahr vermuten", bat die Senatsverwaltung die Einwohner. Gewählt werden sollten in solchen Fällen die Notnummern 110 (Polizei) oder 112 (Feuerwehr/Rettungsdienst).

Sendung: Inforadio, 06.02.2021, 06:00 Uhr

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