rbb24
  1. rbb|24
  2. Panorama
Audio: Inforadio | 02.07.2021 | Martin Terhardt im Interview | Quelle: imago images/Laci Perenyi

Kritik an der Politik

Stiko-Mitglied Terhardt mahnt zu Zurückhaltung bei Kinderimpfungen

Michael Müller, Ramona Pop, Jens Spahn - sie alle fordern, Kinder ab zwölf Jahren schon jetzt umfassend zu impfen, obwohl die Ständige Impfkommission das noch nicht empfehlen kann. Stiko-Mitglied Terhardt wehrt sich im rbb gegen diese Vorstöße.

Der Berliner Kinder- und Jugendmediziner Martin Terhardt hat die Politik dazu aufgerufen, beim Thema Kinderimpfungen gegen Corona zurückhaltender zu sein. "Mich entsetzt das immer wieder, wie die Politik vorprescht und wissenschaftliche Daten ignoriert", sagte Terhardt, der auch Mitglied der Ständigen Impfkommission ist, am Freitagmorgen im Inforadio des rbb.

"Die Stiko hat entschieden, Kinderimpfungen ab 12 nicht generell zu empfehlen, sondern nur Kindern mit besonderen gesundheitlichen Risiken, mit einer beruflichen Indikation aufgrund ihrer Ausbildung oder für Kinder und Jugendliche, die in Kontakt zu Personen stehen, die schlecht geschützt sind. Die Krankheitslast bei Kindern und Jugendlichen ist ganz gut bekannt, wir wissen, dass sie selten schwer erkranken", begründete Terhardt die Stiko-Entscheidung. Es sei daher noch tolerabel, dass man sie noch nicht umfassend impfe, denn man wisse zu wenig über die Risiken seltener Komplikationen.

Delta-Variante

Nonnemacher und Müller werben für Corona-Impfungen

Angesichts der Urlaubssaison und der sich rasch ausbreitenden Delta-Variante werben die Regierungen in Berlin und Brandenburg für weitere Impfungen. Auch Urlauber sollten vorsichtig sein, so der Berliner Regierende Bürgermeister.

Arzneibehörde EMA befürwortet Kinderimpfungen

"Seit einer Woche wissen wir mehr, denn in den USA sind in den zurückliegenden sieben Wochen sechs Millionen Jugendliche geimpft worden. Seltene Komplikationen wie Herzmuskelentzündungen gab es vor allem bei Jungen. Da wir das aber noch nicht abschließend bewerten können, werden wir unsere Empfehlung hier noch nicht ändern", betonte Terhardt.

Nach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatten sich zuletzt Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) und Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) für Impfungen von Kindern ab 12 Jahren ausgesprochen - auch ohne allgemeine Stiko-Empfehlung. Sie warnen vor einer Zuspitzung des Infektionsgeschehens in den Schulen nach den Ferien. Dazu sagte Terhardt, für den Gesundheitschutz in Schulen brauche es andere Konzepte, auch weil Kinder unter zwölf Jahren grundsätzlich noch nicht geimpft werden könnten.

Nach einer entsprechenden Empfehlung der Arzneimittelbehörde EMA hatte die EU-Kommission im Juni offiziell die Zulassung für die Impfung von Kindern ab zwölf Jahren mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer empfohlen.

Fragen und Antworten zu neuer Mutation

Was Sie über die Delta-Variante wissen sollten

Die Delta-Variante kann erst mit einer Sommergrippe verwechselt werden: Schniefnase, Kopfschmerzen, raue Kehle. Und sie ist in Deutschland angekommen, unterscheidet sich aber von anderen Corona-Spielarten. Was weiß man? Von Georg-Stefan Russew

Höhere Wirksamkeit nach Kreuzimpfungen

Terhardt nahm im Inforadio-Interview auch Stellung zur jüngsten Entscheidung der Stiko, unabhängig vom Alter sogenannte Kreuzimpfungen zu empfehlen. Nach einer Erstimpfung mit dem Vektorimpfstoff von Astrazeneca sei eine Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff von Biontech oder Moderna besonders wirksam gegen die derzeit grassierende Delta-Variante, hatte die Stiko am Donnerstag mitgeteilt. Zwischen erster und zweiter Impfung solle ein Abstand von mindestens vier Wochen eingehalten werden.

"Wir wissen aus verschiedenen Laboruntersuchungen, dass dieses Schema eine bessere Immunantwort und einen besseren Immunschutz nachgewiesen hat als wenn man zwei Mal Astrazeneca impft", sagte Terhardt dazu im Inforadio.

Ob Menschen, die bereits zwei Mal Astrazeneca bekommen haben, mit einem mRNA-Impfstoff nachlegen sollten, könne man noch nicht sagen, betonte Terhardt. Dazu gebe es noch zu wenige Informationen über Nebenwirkungen. Vorstellbar sei dies grundsätzlich bei Auffrischungen von vulnerablen Gruppen, die bereits seit Februar oder März durchgeimpft sind. "Aber das können wir jetzt noch nicht abschließend empfehlen", erklärt das Stiko-Mitglied Terhardt.

Sendung: Inforadio, 2. Juli 2021, 7:05 Uhr

Artikel im mobilen Angebot lesen