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Quelle: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Interview | Paartherapeutin zu Trennungen während Corona

"Bei vielen Paaren ist die Zündschnur jetzt extrem kurz"

Viele Paare haben sich während der Corona-Zeit getrennt, andere suchen Hilfe. Die Berliner Paartherapeutin Anna Wilitzki berichtet von extrem gereizten Paaren, die einander kaum noch wahrnehmen - und über Haupttrennungsgründe.

rbb|24: Hallo Frau Wilitzki, ist Trennung ein Pandemie-Trend?

Anna Wilitzki: Trend klingt immer so positiv. Es hat sich gezeigt, dass während Corona tatsächlich viele Paare an ihre Grenzen gestoßen sind und schnell das Gefühl haben, keinen Ausweg mehr zu sehen. Da geht es um Probleme, bei denen man vorher gesagt hätte, dass sie sich schon irgendwie regeln würden. Gerade durch die Lockdowns hatten viele Paare von null auf hundert das Gefühl, es ist zu viel. Viele haben sich dann für eine Trennung entschieden.

Zur Person

Anna Wilitzki

Kommen zu Ihnen mehr oder andere Paare als vor Corona?

Es sind nicht unbedingt mehr – was auch daran liegt, dass man als Therapeutin nur ein bestimmtes Kontingent schaffen kann. Aber man merkt den Paaren, die jetzt kommen an, dass sie viel gereizter sind. Bei vielen ist die Zündschnur extrem kurz. Vielen fehlt auch die Bereitschaft, die für eine Therapie aber essenziell ist, auf den anderen nochmal zuzugehen oder etwas Neues auszuprobieren.

Es kommen also viele mit klarer Trennungsabsicht und wollen sich dabei von Ihnen begleiten lassen?

Nein, ehrlich gesagt kommen die meisten schon, um eine gemeinsame Therapie zu machen. Aber viele sind durch die Pandemie sehr erschöpft und haben viele Ängste: berufliche, finanzielle und eben auch Ängste, die die Beziehung betreffen. Bei vielen Klienten hat auch die große Einsamkeit eine Erschöpfung entstehen lassen, die vielen gar nicht bewusst ist. Vielen ist auch nicht bewusst, dass diese Erschöpfung sich auf den Prozess der Therapie auswirkt. Sie kommen also schon, um an ihrer Beziehung zu arbeiten, merken dann aber, dass sie superschnell an ihren Grenzen sind und das eigentlich gar nicht erfüllen können. Das heißt nicht, dass sie sich gleich trennen.

Sie sprachen gerade von Einsamkeit. Geht es um Einsamkeit in einer Beziehung?

Ja. Und hier gibt es nicht nur eine positive Einsamkeit – die hätte man dann, wenn man gemeinsam einsam ist, im selben Raum ist, sich noch wahrnimmt, aber trotzdem für sich selbst bleibt. Aber ganz viele Menschen in Beziehungen sind einsam, weil sie einander nicht mehr wahrnehmen und nicht auf die Bedürfnisse ihres Gegenübers eingehen. Sie lassen sich mit ihren Ängsten, Unsicherheiten, Verzweiflung und Traurigkeit im Regen stehen.

Kommen seit Corona mehr Menschen, die schon lange oder erst sehr kurz zusammen sind? Oder kommen besonders viele Paare mit Kindern?

Kinder sind sehr häufig ein Thema – und durch die Pandemie noch mehr. Ich empfinde tiefstes Mitgefühl für viele Paare mit Kindern. Durch Corona ist da für viele ein extremes "Mental-Load-Gefühl" entstanden. Und dann ist vielen Paaren in der Zeit auch noch bewusst geworden, dass sie doch noch in alten Rollenmustern leben. Da kann sehr schnell Frustration aufkommen.

Was die Dauer der Paarbeziehung betrifft, ist es ziemlich ausgeglichen. Es kamen einige Paare, die erst kurz vor Corona zusammengekommen sind und die durch die Pandemie dieses Nähe-Distanz-Gefühl in ihrer Beziehung nicht richtig ausjustieren konnten. Aber es kamen auch viele Paare, die schon lange zusammen sind und die schon vorher Probleme hatten. Die haben sich dann noch viel stärker gezeigt.

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Sagt man nicht, dass Krisen Menschen zusammenschweißen? War Corona dahingehend eine besondere Krise?

Krisen können Zusammenhalt fördern, wenn beide Partner ähnlich damit umgehen. Wenn beide auch darüber reden können, was diese Krise mit ihnen macht und es schaffen, ohne Vorurteile für den anderen da zu sein.

Was Corona betrifft, war der Umgang sehr unterschiedlich. Manche haben versucht, gar nicht in die Angst reinzugehen. Andere waren sehr vorsichtig. Da haben sich bei vielen dann Konflikte und Missverständnisse in der Beziehung gezeigt.

Paare, wo der eine Corona mehr oder weniger leugnet und der oder die andere große Angst vor einer Erkrankung hat, haben es also besonders schwer?

Ja, das hat sich wirklich gezeigt. Auch viele Freundschaften sind ja darüber zerbrochen. Das betraf und betrifft auch viele Paarbeziehungen. Denn derjenige, der nicht an Corona glaubt, geht ja auch gar nicht auf die Ängste des anderen ein. Sondern die werden eher ins Lächerliche gezogen. Das ist eines der schlimmsten Dinge in einer Beziehung.

 

Seit wann kommen die Corona-geschädigten Paare?

Die ersten kamen direkt nach dem ersten Lockdown.

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Ist Corona für die Paare im Regelfall wirklich das Problem oder eher eine Art Brandbeschleuniger, für etwas, was sowieso schon da war?

Corona ist ein Brandbeschleuniger – oder hat vielmehr vieles aufgedeckt. Vorher konnten sich viele in ihrem Alltag – auch mit Kindern und allem anderen – treiben lassen und haben gar nicht so richtig wahrgenommen, ob sie sich gesehen gefühlt haben. Aber durch diese förmliche Stille durch Corona ist vielen erst bewusst geworden, was ihnen fehlt.

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Welche Themen bringen die Paare seit Corona mit?

Affären sind ein bisschen weniger geworden. Aber gerade Themen wie die Verteilung der Care-Arbeit sind ein großes Thema. Doch in der Therapie-Arbeit betrachten wir das als die oberen Themen. Das, was darunter liegt, sind eigentlich die wichtigeren Themen. Also Gefühle wie Einsamkeit, Hilflosigkeit oder Erschöpfung. Die werden oft in Vorwürfe verpackt wie: 'Du machst hier nichts' oder 'ich bin nicht deine Putzfrau'.

Initiieren eher Frauen oder Männer den Gang zur Paartherapie?

Früher dachte ich, dass es mehr Frauen sind, die die Therpie wollen. Aber tendenziell ist es so, dass Frauen oft eine Paartherapie als erstes ansprechen und der Partner, wenn wir jetzt von einer Beziehung von Mann und Frau reden, es erst einmal eher abtut. Wenn es dann doch irgendwann zu viel geworden ist und die Frau sagt, dass sie die Beziehung beenden will, sind es oft die Männer, die den Termin zur Paartherapie ausmachen.

Gibt es allgemeingültige Ratschläge, die man von Corona angeschlagenen Paaren mitgeben kann?

Ja, es gibt ein paar Dinge, die sehr hilfreich sein können. Es gibt ein Buch namens "Fünf Sprachen der Liebe", in dem es darum geht, dass jeder eine Art andere Sprache spricht, um Liebe zu zeigen. Da gibt es auch einen Test, den Paare ruhig mal machen sollten. Wenn man dann weiß, was man selbst und auch der oder die andere braucht, kann man auch besser kommunizieren.

Denn in meiner ganzen Zeit als Paartherapeutin hatte ich nur sehr wenige Paare, die dahingehend die gleiche Sprache sprechen.

Geht es dabei um die Zeichen, durch die man Liebe ausdrückt oder erfährt?

Ja genau. Es gibt einerseits Menschen, die brauchen hier Worte der Anerkennung oder der Liebe, es gibt den "Act of Service", das aktive Tun, dann Geschenke, die man bekommt und auch gemeinsam aktiv verbrachte Zeit. Und natürlich gibt es noch Intimitäten – also physische Berührungen. Jeder braucht da etwas anderes. Es ist wichtig für Paare, da auf den oder die andere zuzugehen.

Wann sollte man als Paar zur Therapie gehen?

Wenn man merkt, dass man sich nicht mehr traut, ehrlich miteinander zu reden oder Themen anzusprechen oder wenn man das Gefühl hat, dass man abgetan wird. Oder wenn man Zeit lieber mit anderen Menschen verbringt. Man soll sich schon auch freuen, miteinander Zeit verbringen zu können.

Außerdem sind Kinder Trennungsgrund Nummer eins und Trennungsgrund Nummer zwei. Paare sollten sich vor der Familiengründung im besten Fall schon vorher überlegen, wie sie nach der Geburt eines Kindes wieder zueinander finden. Es ist natürlich, dass man sich, wenn das Kind da ist, als Paar erst einmal verliert. Aber es ist unnatürlich, nicht mehr zurückzufinden.

Trennungsgrund Nummer drei ist übrigens Hausbau.

Der Traum von uns Paartherapeuten wäre, dass alle Paare nach einem Jahr zu uns kommen. Da können wir schon vieles erkennen, was noch nicht wirklich zu einem Problem für die Paare geworden ist. Das wäre ideal, ist aber utopisch. Das macht man ja nicht, wenn alles gut ist.

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Kann man sagen, welche Beziehungen gerettet werden können?

Ich merke bei vielen Paaren, dass kaum jemand gelernt hat, bindungsorientiert mit dem anderen umzugehen. Man kennt es aus dem Umgang mit Kindern, aber nicht mit Erwachsenen. Das kann aber jeder lernen, der bereit ist, sich zu zeigen und der wegkommt davon, den anderen verstehen zu müssen. Es geht darum, den oder die andere so anzunehmen, wie er oder sie ist. Wenn ich diese Bereitschaft bei einem Paar sehe, dann wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch funktionieren mit einer Paartherapie.

Manche Paare sind aber durch die Pandemie so erschöpft, dass ich als Therapeutin mehr arbeiten müsste, als sie selbst. Da wird dann schnell klar, dass es nicht funktionieren wird. Ich würde mir natürlich niemals anmaßen, einem Paar zu sagen, dass es sich besser trennen soll. Aber kommuniziere, dass es sehr schwer werden könnte und ich nur bis zu einem bestimmten Punkt selbst mitmachen kann.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

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