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Quelle: Florian Gaertner/photothek.de

Pro und Contra

Ist das Aufheben der Corona-Maßnahmen das richtige Signal?

Bald sollen alle tiefgreifenderen Corona-Schutzmaßnahmen entfallen - und das bei derzeit heftig steigenden Inzidenzen. Setzt die Politik die richtigen Zeichen? Ein Pro und Contra von Cornelia Koch und Markus Woller

Pro von Cornelia Koch: "Bange machen gilt nicht - Eigenverantwortung übernehmen"

Zwei Jahre ist es her, dass Deutschland dicht gemacht hat. Geschlossene Geschäfte, Cafés, Restaurants, Schulen, sogar Flatterband vor dem Kinderspielplatz. Kurz darauf Ausgangssperre, Kontaktverbot, Reiseverbot.

Grundrechtseinschränkungen, wie es sie in der Bundesrepublik noch nie gegeben hatte, "unverzichtbar, um Leben zu retten", wie es Ex-Kanzlerin Angela Merkel formuliert hat.

Zwei Jahre ist das her – seitdem haben wir viel gelernt. Viel erduldet. G3, G2, G2plus. Und statt Baumwollmasken FFP2, sowie Impfstoff, der möglicherweise das Schlimmste verhindert hat. Dabei sollten wir es belassen. Und endlich wieder leben. Mit oder trotz Corona. Menschen ins Gesicht sehen, uns in den Arm nehmen, tief durchatmen. Die Angst überwinden. Bange machen gilt nicht: Eigenverantwortung übernehmen!

Kinder kämpfen wegen der Pandemie mit Übergewicht

Dick durch Corona

Home-Schooling, geschlossene Sportvereine, verrammelte Spielplätze: während der Pandemie haben viele vorher schlanke Kinder und Jugendliche an Gewicht zugelegt. Manche sogar in extremem Ausmaß. Und die Kilos bleiben. Von Sabine Priess

Die Jungen tragen die Last: Vor allem sollten wir auf die schauen, die die Hauptlast tragen, aber als Nicht-Wähler keine Lobby haben. Allein im ersten Coronajahr ist die Zahl der 15- bis 17-Jährigen, die wegen Depressionen behandelt wurden, über 17 Prozent gestiegen.

Deutlich gewachsen ist auch die Zahl von Jugendlichen, die wegen Alkohol- und Cannabis-Missbrauch in Behandlung sind. Und es gibt 20 Prozent mehr krankhaft übergewichtige Kinder. Jeder Corona-Tote ist einer zu viel. Jeder Long-Covid-Fall beklagenswert. Aber jedes Kind, jeder Jugendliche, jede/r Student/in, der/die aus Mangel an Lebensfreude krank wird, auch.

Es kann nicht sein, dass diejenigen, die das geringste Risiko haben, schwerwiegend an Corona zu erkranken, die größte Last tragen. Lasst uns den jungen Menschen ihr Leben zurückgeben – mit allen Freiheiten, offenen Clubs, ohne Maskenzwang in Schulen und Universitäten!

Verfehlte Gesundheitspolitik: Längst sind Fallzahlen und Intensivbettenbelegung in den Krankenhäusern entkoppelt. Sprich: Wir haben zwar eine schwindelerregend hohe Inzidenz – aber das spiegelt sich nicht in der Zahl von Schwerstkranken an Beatmungsgeräten wider. Nichts deutet darauf hin, dass Omikron Rekordzahlen bei Aufnahmen in Intensivstationen verursacht. Und zum Glück mussten deutsche Mediziner nicht aus Mangel an Intensivbetten entscheiden, wer behandelt werden kann und wer nicht.

Wenn aber die Angst vor dieser sogenannten Triage und die Überlastung der Krankenhäuser die Hauptgründe für fast alle Corona-Maßnahmen waren und dieser Fall nicht eingetreten ist: Warum halten wir dann daran fest? Es ist doch eher der Personalmangel als Folge einer eklatanten Fehlentwicklung der auf Profit getrimmten Gesundheitspolitik, der das medizinische Personal auf dem Zahnfleisch kriechen und in Scharen aus ihrem Beruf flüchten lässt.

Warum lassen wir nicht die Politiker ihre Hausaufgaben machen, statt stellvertretend für sie vermeintlich das Gesundheitssystem zu retten, indem wir weiterhin zwischenmenschliche Kontakte vermeiden?

#wiegehtesuns | Die Tanzlehrerin

"Die Leute werden tanzen"

Lange war unklar, ob die Tanzschule "Maxixe" in Berlin-Kreuzberg die Pandemie überlebt. Mehr als sieben Monate war sie komplett dicht. Das machte Inhaberin Ele Busch schwer zu schaffen – psychisch und finanziell. Jetzt gibt es Licht am Horizont. Ein Gesprächsprotokoll

Blick ins Ausland: Ein Blick auf unsere europäischen Nachbarn zeigt: Es geht auch anders. Längst reiben sich Dänen, Finnen, Franzosen und andere verwundert die Augen, was wir Deutschen in Sachen Corona so treiben. Ohne dabei nennenswert erfolgreicher zu sein, wenn man nackte Zahlen zugrunde legt.

Das hierzulande oft gescholtene Schweden hat derzeit eine 7-Tage-Inzidenz von 93 (Deutschland: 1651, Stand vom 17.3.). Und bei der sogenannten Letalitätsrate (Sterblichkeitsrate) liegen beide Länder nahezu gleichauf (0,72 in Schweden, 0,71 in Deutschland). Auch wenn Karl Lauterbach noch so laut trommelt, es hapere bei uns an der Impfwilligkeit: Die Impfquote in Schweden liegt sogar noch einen Prozentpunkt niedriger als bei uns. Daran kann es also nicht liegen, dass Schweden nahezu alle Coronamaßnahmen aufgehoben hat.

Wir sind müde, liebe Frau Nonnemacher, lieber Herr Woidke, lieber Herr Lauterbach. Und pleite, zumindest trifft das auf manche Pensionswirte, Einzelhandelsbetriebe oder Gastronomenfamilien zu (was die Staatskasse angeht, wird der Schuldenberg ja praktischerweise umverteilt auf die nächste Generation). Rund 40 Prozent weniger Umsatz pro Corona-Jahr verzeichnete der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband für seine Branche – und oft ist auch das Personal nach zwei Jahren Durststrecke auf Nimmerwiedersehen verschwunden.

Freiheit und Mut: jetzt! Mit all dem muss Schluss sein. Wir brauchen Politiker, die uns Mut machen. Und Mut haben. Jetzt kommt das Frühjahr: Wir wollen raus aus dem Homeoffice, Kollegen und Freunde treffen, tanzen, Urlaub machen. Zuversicht tanken. Wann sonst sollen wir uns von der Corona-Angst erholen und frei fühlen, wenn nicht jetzt?

Haben Sie doch ein bisschen Vertrauen zu uns! Wir wissen doch nach zwei Jahren, wie es geht. Rücksicht nehmen, Alte und Kranke schützen (aber wir sollten sie fragen, wie dieser Schutz aussehen soll!). Wer sich mit Impfung sicherer fühlt: impfen lassen. Ansonsten: Hände waschen. Bei der kleinsten Erkältung zu Hause bleiben. Teststab in die Nase. Und wenn's eng wird, Maske auf. Aber bitte freiwillig.

Contra von Markus Woller: "Als ziehe jemand das Brett unter unseren Füßen weg"

Seit Wochen surfen wir nun auf dem Scheitelpunkt der Omikron-Welle - bei Inzidenzen, die in ihrer Höhe in naher Zukunft höchstens noch vom Benzinpreis eingeholt werden können. Pünktlich zum Frühlingsanfang ziehen uns die Lockerungen des neuen Infektionsschutzgesetzes nun auch noch das Brett unter den Füßen weg. So jedenfalls fühlt sich für mich der von vielen so sehnlich erwartete "Freedom Day" an.

Alles sei anders als früher, sagen gerade viele.

Omikron: ein Schnupfen!
Die Impfungen: verteilt!
Die Schüler: überstrapaziert!
Freiheit: jetzt!

Wenn ich nach Berlin und Brandenburg schaue, frage ich mich: Stimmt diese Logik? Soweit ich das verstanden habe, geht es doch seit zwei Jahren um ein einziges Ziel: Das Gesundheitssystem vor der Überlastung zu schützen. Und da muss man sich schon fragen: Sind wir schon so weit?

Noch keine konkrete Ausgestaltung

Brandenburg verlängert bestimmte Corona-Regeln bis 2. April

Die aktuellen Corona-Regeln gelten in Brandenburg nur noch bis zum 19. März. Dass es danach auch weiter Beschränkungen geben wird, das hat ein Regierungssprecher am Dienstag verkündet. Wie diese genau aussehen werden, ist aber noch nicht beschlossen.

Omikron: ein Schnupfen? 360 Menschen sind allein im vergangenen Monat in Berlin und Brandenburg im Zusammenhang mit Corona gestorben. So viele wie der Ort Proschim in der Lausitz Einwohner hat. Die Corona-Warnampeln, bisher das Maß für alle politischen Entscheidungen, sind bunt gemischt, von rot über gelb bis lila. Rot: die Hospitalisierungsinzidenz. Die Krankenhäuser sind immer noch mit vielen Corona-Kranken belastet. Gelb: Die Intensivbettenbelegung. Zehn Prozent der Betten sind immer noch mit Corona-Patienten belegt. Lila: Die Sieben-Tage-Inzidenz. Wohl nur in Ermangelung noch dramatischerer Farben, denn der höchste ausgewiesene Warnwert liegt bei 250. Die aktuelle Inzidenz liegt sechsmal höher. Das kann aus meiner Sicht nicht der richtige Zeitpunkt für die Aufhebung fast aller Beschränkungen sein.

Die Impfungen: verteilt? In Brandenburg liegt die Quote für die Auffrischungsimpfung bei gerade einmal 51 Prozent. In Berlin bei 58,8 Prozent. Wer jetzt sagt, jeder habe ja seine Impf-Chance gehabt, der übersieht den wichtigsten Fakt: Nicht jeder hat seine Impf-Chance genutzt. Es langt schlicht nicht, damit Ärzte und Pfleger nicht wieder an den Rand der Überlastung getrieben werden. Ein vermeintlicher "Freedom Day", der die Situation weiter verschärfen wird, muss den Krankenhausmitarbeitern doch wie ein Schlag in ihre übermüdeten Gesichter vorkommen.

Wieder über 1.000er-Marke

Corona-Inzidenz steigt in Berlin sprunghaft an

Nach einem Rückgang in den vergangen Tagen ist die Corona-Inzidenz in Berlin am Mittwoch stark angestiegen. Gesundheitssenatorin Gote sprach erst vor zwei Tagen davon, dass der Trend nach unten gehe.

Die Schüler: überstrapaziert? Ganz sicher richtig! Von ihnen verlangt die Pandemie mehr als von den meisten anderen. Aber: Was soll daran besser werden, wenn die Maskenpflicht in der Schule wegfällt? Die rasant steigenden Zahlen nach den letzten Herbstferien, als es ebenfalls keine Maskenpflicht gab, lassen nichts Gutes hoffen. Quarantäne, Ansteckung, Unterrichtsausfall, weil sich die Lehrer infizieren: Manche Politiker mahnen zurecht, dass durch die Abschaffung der Masken bei vielen Kindern im Sommer die Abschlüsse in Gefahr sein werden. Zudem: Welche Freiheit haben wir gewonnen, wenn sich die Pandemie erneut aus den Klassenzimmern in die Elternhäuser verbreitet?

Freiheit: jetzt? Leider nein! Die Abschaffung fast aller Maßnahmen kommt aus meiner Sicht zu früh. Und sie könnte sich schnell als Frustbringer erweisen, wenn schon in wenigen Wochen neue Einschränkungen zwingend nötig werden. Das Vertrauen zwischen Politik und Gesellschaft würde dabei einmal mehr Schaden nehmen. Gut, dass besonders betroffene Länder wie Brandenburg noch einmal mit eigenen Maßnahmen gegensteuern. Nur so kann vielleicht noch verhindert werden, dass aus dem Surfen auf der Omikron-Welle ein Ritt auf der Rasierklinge wird.

Sendung: Brandenburg Aktuell, 17.03.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Cornelia Koch, Markus Woller

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