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Quelle: dpa/Matthias Tödt

Paris nutzt Vorkaufsrecht zugunsten kleiner Läden

Ein Werkzeug gegen öde Innenstädte

Der Einzelhandel ist nicht nur durch die Corona-Pandemie in der Krise. Besonders die hohen Mieten zwingen kleine Läden oft in die Knie. In Berlins Partnerstadt Paris greift die Stadt massiv ein. Ein Modell für Berlin? Von Jan Menzel

In der Rue du Château d’Eau reihen sich Geschäfte, Lokale und Läden aneinander wie an einer bunten Perlenschnur. In einem Schaufenster hängt liebevoll genähte Baby-Kleidung. Direkt daneben ist ein Fachgeschäft für Bilderrahmen. Cafés, Bistros und ein 24-Stunden-Späti wechseln sich ab. Und mittendrin ist "Jamini".

"Jamini" ist ein Laden für Schönes und Nützliches zum Einrichten und Wohlfühlen. Doch der Laden mit der schwarz gestrichenen Fassade steht auch für die Rettung der Rue du Château d’Eau. Denn bevor "Jamini" und die anderen Läden zurückkamen, war die Straße im 10. Pariser Arrondissement praktisch tot. In den Erdgeschossläden gab es fast nur noch Textilgroßhändler mit ihren Lagern. Die typische Pariser Mischung war einer öden Monostruktur gewichen; wenig lebenswert für die Bewohner des Viertels und uninteressant für Touristen.

Über "Semaest" zieht die Stadt das Vorkaufsrecht

Dass nun wieder Leben herrscht und ein bunter Mix aus Geschäften die Straße säumt, liegt am Projekt "Semaest", das die Stadt Paris vor 40 Jahren zusammen mit der Wirtschaftsförderung und privaten Akteuren initiierte. "Wir haben mit Semaest die Möglichkeit, Ladenlokale zu kaufen und dann für Schlachter, Floristen, Buchhändler oder Handwerker zur Verfügung zu stellen", sagte Colombe Brossel. Sie ist Präsidentin von Semaest und Mitarbeiterin der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo.

Was einfach klingt, ist rechtlich und auch finanziell ein Kraftakt. Über Semaest zieht die Stadt nämlich bei Gewerbeimmobilien, die zum Verkauf stehen, das Vorkaufsrecht. Aus Berlin kennt man das von Wohnhäusern. Aber bei Ladenlokalen? "Das Ergebnis lässt sich ja sehen", zeigt sich Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der Berliner Industrie- und Handelskammer grundsätzlich aufgeschlossen. Eder gehört zur Wirtschafts-Delegation der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), die Berlins Partnerstadt in dieser Woche besucht.

In Berlin könnte man an Friedrichshain denken

Mit dabei ist auch Burkhard Kieker, der Geschäftsführer der Tourismuswerber von visitBerlin. Er lobt Semaest als "hervorragende Möglichkeit, damit nicht Viertel entstehen, die keiner haben möchte und auch kein Tourismus entsteht, den keiner haben will." In Berlin könnte man da an Touristen-Hotspots und Partybereiche wie rund um den Boxhagener Platz in Friedrichshain denken.

"Wenn wir das in Berlin nachmachen wollten, müssen wir uns aber sehr genau überlegen, in welchen Fällen wir das machen und mit welcher Kompensation für Eigentümer wir so etwas anstellen könnten", gibt IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder aber zu bedenken. Die Rechtslage in Paris scheint eine völlig andere als in Berlin zu sein.

Allein die Drohung kann Wirkung zeigen

Vorkauf in Berlin heißt, dass der Bezirk in einen geschlossen Vertrag eintritt und in der Regel ein Wohnhaus zum Marktpreis erwirbt. In Paris hat die Kommune die Möglichkeit zum deutlich niedrigeren Verkehrswert zu kaufen. Oder - und das ist der Clou: Allein mit der Drohung, das Vorkaufsrecht geltend zu machen, die Eigentümer zu günstigeren Mietkonditionen zu bewegen.

Dafür hat die Stadt Paris seit 2004 rund 50 Millionen Euro an Semaest gegeben. Damit wurden Ladenlokale gekauft, die in vielen Fällen später an die neuen Gewerbemieter zu akzeptablen Konditionen verkauft wurden. Die 50 Millionen Euro konnten daher zwischenzeitlich wieder an die Stadt zurückgezahlt werden, versichert die Präsidentin von Semaest Colombe Brossel.

Verantwortung gegenüber Handwerkern und kleinen Läden

Auf jeden Fall "spannend" lautet auch die erste Einschätzung von Berlins Wirtschaftssenator Stephan Schwarz. Mit Blick auf Berlins Problem-Einkaufsstraße Nummer 1 dämpft Schwarz aber die Erwartungen: "Die Friedrichstraße hat sehr unter Covid gelitten. Wir haben eine Verkehrssituation, die noch nicht gelöst ist, an der wir aber arbeiten." Auch IHK-Hauptgeschäftsführer Eder fordert für die Friedrichstraße eine große Idee, die auch den Gendarmenmarkt einbezieht.

Bei einem möglichen Vorkaufsrecht oder ähnlichen Instrumenten für Läden und Geschäfte, denke er eher an Kieze, in denen Verdrängungen stattfinden, wo alteingesessene Handwerksbetriebe und kleine Läden vertrieben werden von großen Ketten, sagt Wirtschaftssenator Schwarz. "Da muss man gegenarbeiten. Da hat eine Stadt eine Verantwortung."

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Beitrag von Jan Menzel

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