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Audio: rbb24 Inforadio | 08.03.2023 | Jan Menzel | Quelle: dpa/Bernd von Jutrczenka

Nach Berlin-Wahl

Grüne ringen um neue Machtoptionen

Die Grünen sind hart in der Berliner Wirklichkeit aufgeschlagen. Statt Rotes Rathaus heißt es Opposition. Doch die Spitzenkandidatin und große Teile der Partei sind uneins, wie es wieder zurück in die Regierung gehen könnte. Von Jan Menzel

Den offenen Machtkampf haben die Grünen in letzter Minute noch einmal abgewendet. Ihre Spitzenkandidatin bei der Abgeordnetenhauswahl, Bettina Jarasch, wird Oppositionsführerin. Die bisherige Fraktionsvorsitzende Silke Gebel räumt dafür das Feld. Oder wie es in der Pressemitteilung heißt: Sie tritt "einen Schritt zur Seite". Auf dem kleinen Parteitag der Grünen gibt es minutenlangen Applaus und stehende Ovationen für Gebel.

Für die Grünen ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Personalfragen so effizient abgeräumt werden. Vor mehr als zehn Jahren hätte sich die Fraktion im Streit um ihre Fraktionsvorsitzenden beinahe selbst zerlegt. Auf dem kleinen Parteitag am Dienstag gibt es Umarmungen und einen Blumenstrauß für die scheidende Gebel.

Jarasch zu Sondierungen in Berlin

"Dreck, Durchstechereien und Despektierlichkeiten"

Spitzenkandidatin Bettina Jarasch und ihre grüne Partei sind not amused. Nach dem Schwenk der Berliner SPD hin zur CDU wirft Jarasch den Sozialdemokraten vor, Rot-Grün-Rot "tot gemacht" zu haben - und gibt keine gute Prognose für eine Groko ab.

Jarasch: "Machtoptionen jenseits der SPD"

So geräuscharm wie die Partei diese Personalie lösen konnte, lässt sich die andere schwelende Streitfrage wohl nicht klären. Rund einen Monat nach der Wahl suchen die Grünen noch immer nach einer Antwort darauf, wie es sie in die Opposition katapultieren konnte. Vor allem aber ringt die Partei damit, wie das Regieren und das Rote Rathaus wieder in Reichweite kommen können.

"Wir werden uns Machtoptionen jenseits dieser SPD erarbeiten müssen. Daran führt kein Weg vorbei", schreibt Bettina Jarasch ihren Parteifreunden ins Stammbuch. An wen sie dabei denkt, verschweigt Jarasch ausdrücklich nicht: Die Liberalen in der CDU sind für sie Ansprechpartner. Jarasch liebäugelt aber auch mit der FDP, auch wenn diese fürs erste nicht mehr im Abgeordnetenhaus vertreten ist.

Linker Parteiflügel kritisiert CDU

Ganz so flexibel mögen es aber nicht alle bei den Grünen. Monika Herrmann, ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg und wichtige Stimme des linken Parteiflügels, knöpft sich auf dem Parteitag die CDU und ihren Landesvorsitzenden vor. "Das Erste, was Kai Wegner ohne Not macht: Das Tempelhofer Feld und die A100 in Frage zu stellen. Das ist eine Kampfansage an uns. Ganz eindeutig", sagt Herrmann, der der Ruf einer Parteistrategin vorauseilt.

Doch für viele Grüne bleibt da ein Dilemma. Auf der einen Seite steht die CDU, mit der man nicht regieren will. Auf der anderen Seite ist die SPD, die den Grünen gerade erst auf unschöne Art und Weise den Stuhl vor die Tür gestellt hat. Der innenpolitische Sprecher der Abgeordnetenhaus-Fraktion Vasili Franco fasst es so zusammen: "Verantwortungsvolles Regieren mit dieser Giffey-SPD ist nicht möglich. Das ist Geschichte. Aber meint Ihr, das hätte mit dieser CDU eine Zukunft? Tut mir leid, zumindest ich habe dafür den falschen Vornamen."

Koalitionsverhandlungen mit der SPD

Wegner verteidigt Forderung nach Abfrage von Vornamen

Eine Koalition "auf Augenhöhe" erwartet CDU-Landeschef Wegner mit der SPD. Bevor die Gespräche beginnen, betonte er im rbb Schnittmengen - sprach aber auch unterschiedliche Standpunkte an. In einem besonders umstrittenen Punkt verteidigte Wegner seine Haltung.

Forderung nach Demut und Selbstkritik

Den Grünen bleibt vorerst nichts anderes übrig, als die Oppositionsrolle anzunehmen. Die Noch-Regierende Bürgermeisterin der SPD könne sich da auf etwas gefasst machen, kündigt die einflussreiche Abgeordnete Katrin Schmidberger an: "Wenn Frau Giffey uns Grüne in der Opposition haben will, dann kann sie das gern haben. Aber auch sie wird bald feststellen, dass wir für sie in der Opposition noch anstrengender werden als mit ihr in der Regierung."

Einer der wenigen, der in der Debatte vernehmbar nachdenklichere Töne anstimmt, ist Timur Ohloff aus Mitte. "Wieso geben uns 65.000 Menschen in Berlin die Stimme für unsere Bundespartei, aber nicht für diesen Landesverband?" fragt Ohloff. Er verlangt bei der Analyse und der Aufarbeitung der Wahl in den kommenden Wochen und Monaten "Demut und Selbstkritik" sowie die "nötige Reflexion".

SPD-Mitgliedervotum über CDU-Koalition steht noch aus

Werner Graf, der künftig die grüne Fraktion in einer Doppelspitze mit Bettina Jarasch leiten soll, setzt dagegen noch auf ein kleines Fünkchen Hoffnung, wenn er an die "Lieben SPD-Mitglieder" appelliert: "Ihr habt es noch in der Hand. Ihr seid nicht Franziska Giffey und Raed Saleh ausgeliefert. Ihr habt es selbst in der Hand, diese Rückschrittskoalition abzuwählen."

Graf spielt dabei auf das geplante Mitgliedervotum bei den Sozialdemokraten an. Der SPD-Landesvorstand hatte beschlossen, dass die Partei auf diesem Wege entscheiden soll, ob die SPD eine Koalition mit der CDU eingeht. Beide Parteien wollen am Donnerstag mit ihren Koalitionsverhandlungen beginnen. Bis Anfang April sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein.

Sendung: rbb24 Inforadio, 08.03.2023, 8:00 Uhr

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