Nach Berlin-Wahl - Grüne ringen um neue Machtoptionen

Mi 08.03.23 | 09:04 Uhr
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Archivbild: Das Verhandlungsteam von Bündnis 90/Die Grünen, angeführt von Bettina Jarasch (Bündnis 90/Die Grünen, M). (Quelle: dpa/Bernd von Jutrczenka)
Audio: rbb24 Inforadio | 08.03.2023 | Jan Menzel | Bild: dpa/Bernd von Jutrczenka

Die Grünen sind hart in der Berliner Wirklichkeit aufgeschlagen. Statt Rotes Rathaus heißt es Opposition. Doch die Spitzenkandidatin und große Teile der Partei sind uneins, wie es wieder zurück in die Regierung gehen könnte. Von Jan Menzel

  • Teile der Berliner Grünen wollen für eine Regierungsbeteiligung nicht mehr auf die SPD angewiesen sein
  • Mit der CDU hat der linke Parteiflügel jedoch ein Problem - vor allem wegen Positionen zu Tempelhofer Feld und A100
  • Einige Grüne setzen auf ein negatives Votum der SPD-Mitglieder nach den Koalitionsverhandlungen

Den offenen Machtkampf haben die Grünen in letzter Minute noch einmal abgewendet. Ihre Spitzenkandidatin bei der Abgeordnetenhauswahl, Bettina Jarasch, wird Oppositionsführerin. Die bisherige Fraktionsvorsitzende Silke Gebel räumt dafür das Feld. Oder wie es in der Pressemitteilung heißt: Sie tritt "einen Schritt zur Seite". Auf dem kleinen Parteitag der Grünen gibt es minutenlangen Applaus und stehende Ovationen für Gebel.

Für die Grünen ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Personalfragen so effizient abgeräumt werden. Vor mehr als zehn Jahren hätte sich die Fraktion im Streit um ihre Fraktionsvorsitzenden beinahe selbst zerlegt. Auf dem kleinen Parteitag am Dienstag gibt es Umarmungen und einen Blumenstrauß für die scheidende Gebel.

Jarasch: "Machtoptionen jenseits der SPD"

So geräuscharm wie die Partei diese Personalie lösen konnte, lässt sich die andere schwelende Streitfrage wohl nicht klären. Rund einen Monat nach der Wahl suchen die Grünen noch immer nach einer Antwort darauf, wie es sie in die Opposition katapultieren konnte. Vor allem aber ringt die Partei damit, wie das Regieren und das Rote Rathaus wieder in Reichweite kommen können.

"Wir werden uns Machtoptionen jenseits dieser SPD erarbeiten müssen. Daran führt kein Weg vorbei", schreibt Bettina Jarasch ihren Parteifreunden ins Stammbuch. An wen sie dabei denkt, verschweigt Jarasch ausdrücklich nicht: Die Liberalen in der CDU sind für sie Ansprechpartner. Jarasch liebäugelt aber auch mit der FDP, auch wenn diese fürs erste nicht mehr im Abgeordnetenhaus vertreten ist.

Linker Parteiflügel kritisiert CDU

Ganz so flexibel mögen es aber nicht alle bei den Grünen. Monika Herrmann, ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg und wichtige Stimme des linken Parteiflügels, knöpft sich auf dem Parteitag die CDU und ihren Landesvorsitzenden vor. "Das Erste, was Kai Wegner ohne Not macht: Das Tempelhofer Feld und die A100 in Frage zu stellen. Das ist eine Kampfansage an uns. Ganz eindeutig", sagt Herrmann, der der Ruf einer Parteistrategin vorauseilt.

Doch für viele Grüne bleibt da ein Dilemma. Auf der einen Seite steht die CDU, mit der man nicht regieren will. Auf der anderen Seite ist die SPD, die den Grünen gerade erst auf unschöne Art und Weise den Stuhl vor die Tür gestellt hat. Der innenpolitische Sprecher der Abgeordnetenhaus-Fraktion Vasili Franco fasst es so zusammen: "Verantwortungsvolles Regieren mit dieser Giffey-SPD ist nicht möglich. Das ist Geschichte. Aber meint Ihr, das hätte mit dieser CDU eine Zukunft? Tut mir leid, zumindest ich habe dafür den falschen Vornamen."

Forderung nach Demut und Selbstkritik

Den Grünen bleibt vorerst nichts anderes übrig, als die Oppositionsrolle anzunehmen. Die Noch-Regierende Bürgermeisterin der SPD könne sich da auf etwas gefasst machen, kündigt die einflussreiche Abgeordnete Katrin Schmidberger an: "Wenn Frau Giffey uns Grüne in der Opposition haben will, dann kann sie das gern haben. Aber auch sie wird bald feststellen, dass wir für sie in der Opposition noch anstrengender werden als mit ihr in der Regierung."

Einer der wenigen, der in der Debatte vernehmbar nachdenklichere Töne anstimmt, ist Timur Ohloff aus Mitte. "Wieso geben uns 65.000 Menschen in Berlin die Stimme für unsere Bundespartei, aber nicht für diesen Landesverband?" fragt Ohloff. Er verlangt bei der Analyse und der Aufarbeitung der Wahl in den kommenden Wochen und Monaten "Demut und Selbstkritik" sowie die "nötige Reflexion".

SPD-Mitgliedervotum über CDU-Koalition steht noch aus

Werner Graf, der künftig die grüne Fraktion in einer Doppelspitze mit Bettina Jarasch leiten soll, setzt dagegen noch auf ein kleines Fünkchen Hoffnung, wenn er an die "Lieben SPD-Mitglieder" appelliert: "Ihr habt es noch in der Hand. Ihr seid nicht Franziska Giffey und Raed Saleh ausgeliefert. Ihr habt es selbst in der Hand, diese Rückschrittskoalition abzuwählen."

Graf spielt dabei auf das geplante Mitgliedervotum bei den Sozialdemokraten an. Der SPD-Landesvorstand hatte beschlossen, dass die Partei auf diesem Wege entscheiden soll, ob die SPD eine Koalition mit der CDU eingeht. Beide Parteien wollen am Donnerstag mit ihren Koalitionsverhandlungen beginnen. Bis Anfang April sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein.

Sendung: rbb24 Inforadio, 08.03.2023, 8:00 Uhr

59 Kommentare

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  1. 59.

    Für die Grünen zählt nur die Macht, alles andere ist denen doch egal. Eklig.

  2. 58.

    Meine Kinder wohnen auch in der großen Stadt nur leider nicht in der Grünen Selbstverwirklichungszone.
    Wollen sie irgendwo hin müssen sie hoffen, das einer der übervollen Busse an der Haltestelle noch anhält mit dem Elterntaxi fahren (Meist in Fahrgemeinschaft mit den anderen Nachbarskindern).
    Verkehr in Innenstädten zu regulieren CIty Maut etc. ist sinnvoll aber das LAnd Utopia herbeizusehnen nicht.

  3. 57.
    Antwort auf [Zebulon] vom 08.03.2023 um 10:21

    Das habe ich mich auch gefragt.Aber Frau Jarasch stellt sich nicht in Frage .Frau Giffey ,hat erkannt dass sie nicht Regierende bleiben kann, aber als Berlinerin mit politischer Kompetenz und persönlichen Symphatiepunkten bleibt sie Berlin als Führungskraft erhalten .Ich hoffe die SPD Mitglieder spüren den Dolch bei der versuchten Umarmung von Frau Jarasch

  4. 56.

    Jede Verlängerung der U-Bahnen ins Umland macht Sinn, weil so neue Außenbezirk-Stadtteile attraktiv werden.
    Und Dank Giffeys Rauswurf der Grünen bekommen wir jetzt endlich wieder eine Verkehrspolitik, die zu einer Hauptstadt-Metropole passt.
    Endlich mehr U- und Autobahnen!

  5. 55.

    Da haben sich SPD und Bündnisgrüne gegenseitig blockiert - nicht im Sinne einer Überreaktion, sondern im Sinne einer Lähmung. Saleh spielt da keine untergeordnete Rolle.

    Die generelle Titulierung ist polemisch.

  6. 54.

    Vom Grundsatz her sind U-Bahnen immer da gebaut worden, wo die Straßenbahnen bereits überlastet waren. Das war um 1900 im Berliner Zentrum überall der Fall. Karlsruhe ist vor Kurzem mit einer Tunnelstrecke nachgezogen worden, weil der Tram-Takt unter 2 Minuten ging. Dieser Tunnel ist allerdings nur so lang, wie es unabdingbar sein muss, dann tritt die Straßenbahn wieder an die Oberfläche.

    Hannover hat großspurig mit einer U-Bahn-Struktur begonnen, dann ist es zu einem Stadtbahnsystem gewandelt worden, mithin Kombination einer U-Bahn im Zentrum und der normalen Straßenbahn außerhalb des Zentrums.

    Für vordergründige Prestige sollten keine Verkehrsbauten errichtet werden.

  7. 52.

    Die Überschrift des Artikels umschreibt sehr klar und einmal deutlich: der Parteispitze der „Grünen“ geht es nicht um das Wohl der Wähler oder des Volks sondern um die MACHT! Sie haben alle Grundprinzipien der Gründungspartei „Der Grünen“ über Bord geworfen. Sie demontieren die Partei. Hoffentlich besinnt sich die Basis auf ihre Gründungsprinzipien – sonst werden diktatorische Handlungsprinzipien die Oberhand gewinnen.

  8. 51.

    In diesem Punkt stimme ich Ihnen zu. Dasselbe trifft auch beim Hineinfahren in Abbiegespuren zu, wo rund 10 % keine drei Lenkzüge machen wollen, sondern meinen, dass ein einziger Lenkzug reicht und dann das Fahrzeug fast diagonal mit herausragendem Heck auf der Hauptfahrspur steht und sie damit blockiert.

    Jede/r weiß darum und nimmt das quasi als Normalität zur Kenntnis. - Scheinbar kleine Ursache, allergrößte Wirkung.

  9. 50.

    Ich schließe mich fast allen Meinugen hier an. Eine Partei, die nur beleidigt reagiert und jammert, dass sie nun die Opposition darstellt, statt selbstkritisch die Gründe zu hinterfragen, ist NICHT als Regierungspartei geeignet. Anhand der Selbstdarstellung ist zu erkennen, dass es genauso weitergegangen wäre, wie bisher. Danke an alle, die das verhindert haben. Die Äußerung von Fr. Schmidberger: "...Aber auch sie wird bald feststellen, dass wir für sie in der Opposition noch anstrengender werden als mit ihr in der Regierung..." ist auch ein Zeichen dafür, dass kein Interesse daran besteht, Politik FÜR Berlin und ALLE Bürger zu machen, sondern nur eigene Ideologien durchzusetzen und die kommende Regierung, lt. Zitat Fr. Giffey in persona, zu behindern, wo immer es geht. Mit diesem Denken werden die GRÜNEN auch zukünftig an Bedeutung verlieren.

  10. 49.

    Nach meiner Einschätzung wurde in den vergangenen ein bis zwei Jahren sogar mehr für den flächenhaften Ausbau der Straßenbahn getan als in den all den Jahrzehnten nach 1990 davor. Das mag merkwürdig klingen, doch es ist die Schaffung einer Verwaltungsstruktur, die den systematischen Ausbau dieses Verkehrsmittels erst ermöglicht, anstatt öffentlichkeitswirksam und sporadisch von Mal zu Mal zu handeln.

    Die Struktur ist geschaffen, das Personal ist da, also kann auch unter Berücksichtigung sämtlicher Belange solide geplant werden.

    Dass da, wo es bildhaft-vordergründig nichts zu berichten gibt, sich öffentlichkeitswirksam aufs Fahrrad geschwungen wird, mag irgendwie albern sein, es unterscheidet sich in Nichts von der üblichen PR, zu deren Teil auch die Bündnisgrünen geworden sind.

    Insofern unterscheide ich für mich klar zwischen den Inhalten und dem üblichen, teilweise üblen Parteiwesen, gleich auch welcher.

  11. 48.

    Der Immobilitätssenat hatte allerdings auch zugeben müssen, dass er sich jahrelang nicht um die Tram in Spandau bei Berlin gekümmert hatte.

  12. 47.
    Antwort auf [Anna] vom 08.03.2023 um 09:53

    In Punkto U-Bahn hat die CDU ja nun gar nichts auf dem Plan außer sinnfreier Verlängerung der U2 nach Buch. Das wäre Verschwendung von Steuergeldern und dient nur populistischem Wählerfang. Wenn man U-Bahnen baut, dann doch bitte dort wo bisher keine Alternativen wie S-Bahn oder Tram existieren. Die U2 wäre ideal bis zum S-Wartenberg zu verlängern, dann gäbe es endlich auch Querverbindungen.

  13. 45.

    Und endlich sind wir wieder beim Lieblingsthema Straßenbahn. Und wie viel Km Straßenbahn wurde unter grüner Beteiligung gebaut, geschweige geplant? Den Autoverkehr abzulösen oder einzuschränken ist ja okay, aber wo waren dazu die schlüssigen Konzepte? Sich werbewirksam mit dem Fahrrad fotografieren zu lassen, war jedenfalls keine Maßnahme. Und das die Landesgrünen Frau Jarasch dann noch auf den Fraktionsvorsitz hieven? Ist das nicht die Partei, die bei anderen Zusammenhängen sofort "Rücktritt " ruft?

  14. 44.

    das ist Punkt,wir brauchen Politiker die Fachwissen haben und auch gegen Parteiintressen aus vollen Herzen für diese Stadt und ihre Menschen das Maximum erreichen wollen . Ich sehe aber grade bei den Grünen einen Drank zur Selbstdarstellung und zur Postenrangelei .

  15. 43.

    Ach echt jetzt, nüscht mehr mit Begegnungsstätten, mit mehr Aufenthaltsqualität, mit spielenden Kinder, Vielfalt und Kleingärtnern auf ehemaligen Hauptstraßen und öffentlichen Plätzen in der Innenstadt?
    Meine Hoffnungen und Illusionen sind erschüttert – wie grausam kann die Realität noch werden?
    Werde vorerst wohl mein Fahrrad doch wieder gegen ein Auto tauschen.

  16. 42.

    So wie manche Autofahrer parken würde ich mir wünschen dass hier die Parkplatzgebühren um den Faktor 100 erhöht würden und die Übeltäter nicht nur umgesetzt würden sondern zusätzlich ein Fahrverbot erhielten!

  17. 41.

    Wenn ich hier die Äußerungen von Frau Jarasch lese, bekomme ich immer mehr den Eindruck sie würde sogar mit dem Teufel eine Koalition eingehen. Hauptsache Macht ausüben. Sie erwähnt immer noch, sie wollte Regierende werden. Bei einem nicht erreichten Direktmandat (4.Platz), würde ich ihr den Rücktritt nahelegen. Und nicht das Rausdrängen anderer Personen aus dem Amt. Das nimmt mit der Zeit bizarre Züge an.

  18. 40.

    frau jarasch sagte einmal, dass die erst denkt und dann redet!
    hätte sie mal nachgedacht, dann hätte sie richtig festgestellt, dass sie in berlin so unbeliebt wie keine bisherige grüne.
    fazit, mit dieser frau als fraktionsvorsitzende werden die grünen nur als fallobst enden.

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