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Quelle: dpa/Bernd von Jutrczenka

Corona-Pandemie

Warum "Problemkiez"-Impfen so problematisch ist

Auch an diesem Wochenende gibt es in Berlin wieder Sonder-Impfaktionen in sozialen Brennpunkten. Diese sind aber längst nicht immer zielgenau. Das zeigt eine Abfrage unter den Bezirken, die dem rbb exklusiv vorliegt. Von Sabine Müller

Am 4. Mai kündigte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) an, es solle bald Sonder-Impfaktionen in sozialen Brennpunkten geben. Am 19. Mai schickte das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf eine maßgeschneiderte Einladung raus: Am 22. und 23. des Monats könnten sich in der Thermometer-Siedlung in Lichterfelde Menschen impfen lassen, namentlich aufgelistet wurden sechs Straßen.

Das klang nach ganz gezielten Corona-Impfungen dort, wo sie besonders gebraucht werden.

Die Grünen-Abgeordnete Fatos Topac wollte wissen, wie kleinteilig die Daten zu Corona-Inzidenzen eigentlich sind, auf die die Bezirke zurückgreifen können. Über die Gesundheitsverwaltung ließ sie in den Bezirken nachfragen, ob Aussagen über einzelne Straßenzüge oder Wohnblöcke möglich sind.

Für Steglitz-Zehlendorf bestand die Rückmeldung aus einem einzigen Wort: Nein.

Nach welchen Kriterien der Ort für die Impfaktion dann ausgewählt wurde, dazu kam keine Antwort aus dem Bezirk. Andere Bezirke waren auskunftsfreudiger, sagt Topac dem rbb. Pankow zum Beispiele habe genannt: "Die Entfernung zu den bisherigen Impfzentren, den Anteil an Transferleistungsempfänger*innen, die Bereitschaft präventive Angebote anzunehmen und den Anteil der Migranten und Migrantinnen." Aus Lichtenberg wurde auf Kieze verwiesen, in denen es nur wenige Hausärzte und Hausärztinnen gibt.

Keine Termine, lange Wartezeiten

Schwerpunktimpfungen in Schöneberg und Marzahn gestartet

Berlin setzt auf Schwerpunktimpfungen, um Menschen in Wohngebieten mit einer erhöhten Inzidenz zu impfen. Nun finden solche Impfungen in Tempelhof-Schöneberg und Marzahn-Hellersdorf statt. Impfwillige müssen mit langen Wartezeiten rechnen.

"Epidemiologisch sauber"

Die erste sogenannte Brennpunkt-Impfaktion fand Mitte Mai in Neukölln statt. Allerdings habe der Krisenstab des Bezirks entschieden, kein "Problemkiez-Impfen" zu machen, sagt Amtsarzt Nicolai Savaskan, "weil die Gefahr besteht, dass wir Gruppen stigmatisieren und Problemviertel zu Problemen erklären. Wir haben uns für den epidemiologisch sauberen Weg entschieden."

Damit meint Savaskan, es sei genau dort im Bezirk geimpft worden, wo die Corona-Inzidenz höher war als anderswo. Die nötigen kleinteiligen Daten dazu hätten vorgelegen.

Die meisten Bezirksämter antworteten auf die Anfrage der grünen Abgeordneten Topac allerdings, dass die Inzidenzen nicht Kiez- oder Wohnblock-genau ausgewertet werden. Warum? Die Antworten gehen auseinander. Manche Bezirke wie etwa Pankow sagen, das sei derzeit nicht möglich. Andere wie Treptow-Köpenick erklären, möglich sei das schon, aber der personelle Aufwand sei zu groß. Und wieder andere wie Lichtenberg sagen, davon sei kein besonderer Erkenntnisgewinn zu erwarten.

Muss der Senat eingreifen?

Hier handele offenbar jeder Bezirk nach eigenem Gutdünken, sagt die Abgeordnete Topac. Sie fordert mit Blick auf eine eventuelle vierte Corona-Welle: "Das wäre ein Moment, wo auf der Landesebene eine politische Verantwortung an der Stelle gesehen und übernommen werden kann, um lenkend einzugreifen."

In der Antwort auf die Anfrage der Abgeordneten beschreibt die Gesundheitsverwaltung eine kleinräumige Daten-Analyse als wünschenswert. Meldedaten der Bezirksebene sollten an das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) übermittelt werden, heißt es, denn dort sitze die Expertise. Bisher fehlt für diese Daten-Übermittlung aber die Rechtsgrundlage.

Wie der rbb aus der Berliner Gesundheitsverwaltung erfuhr, bittet das Lageso schon seit Jahren darum, diese Daten aus den Bezirken erhalten und verarbeiten zu dürfen. Bislang passierte allerdings nichts. Jetzt heißt es ganz am Schluss der Anfrage aber: "Es ist vorgesehen, die dafür notwendigen Schritte zeitnah einzuleiten." Die Pläne liegen angeblich fertig in der Schublade.

Nach Schwerpunktimpfung

Neuköllner Amtsarzt fordert mehr Impfberatung für Migranten

Bei einem Pilotversuch in Neukölln sind am vergangenen Wochenende in Kiezen und Quartieren rund 2.200 Menschen gegen das Coronavirus geimpft worden. Der Neuköllner Amtsarzt fordert nun eine gezielte Impfberatung für Menschen mit Migrationshintergrund.

Die Bezirke wehren sich

Sollte die Gesundheitsverwaltung jetzt aktiv werden, muss sie allerdings mit heftigem Gegenwind aus den Bezirken rechnen. Der Neuköllner Amtsarzt Nicolai Savaskan wirft Gesundheitsverwaltung und Lageso Überheblichkeit vor. Dort säßen doch keine klügeren Leute, die besser beurteilen können, was in Neukölln-Britz passiere.

Patrick Larscheid, der Amtsarzt von Reinickendorf, hält das Lageso nach eigener Aussage personell gar nicht für bereit, diese Aufgabe zu übernehmen: "Bitte, wer ist denn das Lageso? Das ist eine Struktur, die heillos überfordert ist. Dieses Amt ist völlig ausgeblutet."

Ob Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) in dieser Frage wirklich die Konfrontation mit den Bezirken sucht, blieb zunächst unklar. Auf Nachfrage des rbb kam aus ihrer Verwaltung keine Antwort.

Beitrag von Sabine Müller

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