rbb24
  1. rbb|24
  2. Politik
Quelle: dpa/Wolfgang Kumm

Kommentar | Chaos beim Impfen und Testen

Gefährliche Ignoranz

Die vierte Corona-Welle und der Bedarf an Booster-Impfungen haben die Berliner Politik anscheinend überraschend getroffen. Das ist ein peinliches und gefährliches Versäumnis. Denn die Politiker hätten es besser wissen müssen, kommentiert Jonas Pospesch.

"Bitte beachten Sie, dass aufgrund der hohen Nachfrage alle Verfügbarkeiten ausgebucht sind. Bitte versuchen Sie es erneut zu einem späteren Zeitpunkt." Wer in diesen Tagen in Berlin versucht, einen Impftermin zu bekommen, der wird diesen Satz wahrscheinlich oft lesen müssen. Er stammt von der Plattform "Doctolib", über die Ärzte und Senat Impftermine vermitteln. Wer es ohne Termin probieren will, steht stundenlang an. Die wichtigen Booster-Impfungen kommen so nur schleppend in die Oberarme der Berlinerinnen und Berliner.

Dass es dazu gekommen ist, liegt an einem spektakulären Versagen der Politik.

Selbst die hat inzwischen das Problem erkannt und arbeitet jetzt "mit Hochdruck" daran, die Kapazitäten für mehr Impfungen zu schaffen. Das hat der Berliner Gesundheitsstaatssekretär Martin Matz diese Woche bei einer Pressekonferenz verkündet. Natürlich ist es richtig, wenn sich der Senat jetzt ins Zeug legt. Aber so hastig und überfordert hätte das Ganze nicht laufen müssen - nicht laufen dürfen. Denn das Debakel kam mit Ankündigung.

Neue Impfstellen gehen in Betrieb

Impf-Nachfrage in Berlin und Brandenburg wächst spürbar

Lange Warteschlangen vor Impfstellen belegen: Immer mehr Menschen wollen eine Auffrischung, auch bei den Erstimpfungen steigt die Nachfrage. Abhilfe schaffen sollen neue Impfstellen.

Keine Prognosen? Von wegen!

Am 22. Juli hat das Robert Koch-Institut (RKI) ein Papier mit dem Titel "Vorbereitung auf den Herbst/Winter 2021/22 [rki.de]" veröffentlicht. Darin heißt es: "'Booster-Impfungen' (insbesondere) für Ältere und Risikogruppen sollten jetzt geplant und vorbereitet werden." Niemand kann also behaupten, man hätte nicht wissen können, dass die Booster-Impfungen jetzt anstehen.

Dieses Versagen mit Ansage frustriert auch den Chef des RKI, Lothar Wieler. "Es ist bemerkenswert, dass man offensichtlich immer wieder die Hand auf die heiße Herdplatte legen muss, um zu merken, dass man sich dann verbrennt", so Wieler in einem Interview mit "Zeit Online". Da wirkt es geradezu wie ein Schlag in die Magengrube einer bereits durch die ewige Pandemie geschundenen Öffentlichkeit, wenn Gesundheitsstaatssekretär Matz behauptet: "Es gibt einfach keine Möglichkeiten von Prognosen, die für einen längeren Zeitraum tatsächlich tragen. Das haben wir jetzt über die Pandemie-Phasen glaube ich alle gesehen."

Denn im selben RKI-Papier, das dazu auffordert, die Booster-Impfungen vorzubereiten, findet sich eine erschreckend genaue Prognose für den November. Diese rechnet mit einer Inzidenz von 300 bis 400, wenn sich zu Beginn der vierten Welle keine Verhaltensänderung einstellt und die Impfquote bei 75 Prozent dümpelt. Also gilt auch hier: Der Senat hätte sich nicht nur besser vorbereiten können, er hätte es tun müssen.

Immun, erkrankt oder ins Krankenhaus

Wie unterschiedlich die vierte Welle Geimpfte und Ungeimpfte trifft

Reicht das Impfen doch nicht? Angesichts steigender Inzidenzen und Berichten von Geimpften im Krankenhaus gibt es Verunsicherung. Doch die Statistiken bieten viele Argumente für die Spritze. Von Haluka Maier-Borst und Martin Adam  

Auch der Bund trägt Verantwortung

Fairerweise muss man jedoch sagen, dass das kein typisches Berliner Versagen ist. Im Gegenteil: Immerhin sind hier zwei Impfzentren offengeblieben, während sie im Rest Deutschlands fröhlich geschlossen wurden. Auch hätte der Bund die Länder logistisch mehr unterstützen können. Denn es war ja klar, dass viele Millionen Deutsche jetzt ihre Booster-Impfungen brauchen würden. Dass man es auch dort verschlafen hat, ein paar Monate in die Zukunft zu blicken, ist "bemerkenswert", um es mit den Worten von Lothar Wieler zu sagen.

Auch bei den kostenlosen Bürgertests muss man den Bund für seinen Schlingerkurs zur Verantwortung ziehen. Die kostenlosen Tests erst öffentlichkeitswirksam einzustellen, um sie kurz darauf wieder anzubieten, hat natürlich dazu geführt, dass in der Zwischenzeit viele Teststationen geschlossen haben. Dass diese Teststationen deshalb nun fehlen, kann man der Berliner Landespolitik nur schwerlich anlasten.

Corona-Grafiken

Das sind die aktuellen Fallzahlen in Berlin und Brandenburg

Die Corona-Lage in Berlin und Brandenburg: Wie viele Covid-19-Erkrankte liegen in den Kliniken? Wie entwickelt sich die Lage? Alle wichtigen Erkenntnisse in Grafiken. Von Haluka Maier-Borst, Jenny Gebske, Arne Schlüter und Sophia Mersmann

Die fünfte Welle wartet schon

Klar ist: Inzwischen ist das Kind in den Brunnen gefallen. Es geht nur noch um Schadensbegrenzung. Wenn die Politik jetzt neue Maßnahmen auffährt, ist das richtig. Aber eins muss klar sein: Es darf nie wieder passieren, dass die politischen Akteure in Berlin und im Bund so blauäugig alle Gelegenheiten verstreichen lassen, rechtzeitig zu reagieren. Wir dürfen nicht vergessen: Jede Virus-Welle, die so außer Kontrolle gerät, kostet Menschenleben. Schon bei vergangenen Wellen hatte die Politik gepennt. Dass es schon wieder so weit gekommen ist, sollte die Verantwortlichen beschämen.

Sie werden eine Gelegenheit bekommen, es besser zu machen. Schon jetzt warnen RKI-Chef Lothar Wieler und der Vorsitzende der ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, vor der fünften Welle. [tagesschau.de]. Ihnen müssen wir jetzt gut zuhören. Denn Deutschland kann sich nicht erlauben, die Hand schon wieder auf die heiße Herdplatte zu legen.

Die Kommentarfunktion wurde am 26.11.2021 um 14:42 Uhr Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.

Beitrag von Jonas Pospesch

Artikel im mobilen Angebot lesen