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Audio: Antenne Brandenburg | 06.02.2020 | Thomas Krüger | Quelle: rbb/Thomas Krüger

Interview | Medikamentenmangel

"Vielleicht müssen Ärzte Therapien komplett umstellen"

In Deutschland sind aktuell 260 Medikamente nur eingeschränkt oder gar nicht lieferbar. Das Problem ist ein strukturelles, sagt der Sprecher der Cottbuser Apotheken. Andreas Baumgertel über Gründe und mögliche Auswirkungen durch das Coronavirus.

Rund 260 Medikamente sind in Deutschland derzeit nur eingeschränkt oder gar nicht lieferbar. Apotheker müssen häufig improvisieren, Patienten sind verunsichert. Andreas Baumgertel ist der Sprecher der rund 30 Cottbuser Apotheken. Im Interview erklärt er die Gründe für den Mangel, die möglichen Auswirkungen des Coronavirus in China und er spricht auch darüber, ob sich die Lage in absehbarer Zeit verbessern wird.

rbb|24: Her Baumgertel, schon seit einiger Zeit wird von Problemen bei der Arzneimittelbelieferung gesprochen. Welche Arzneimittel haben denn aktuell Lieferschwierigkeiten?

Andreas Baumgertel: Zunächst muss man sagen, dass die Lieferschwierigkeiten sich über sämtliche Anwendungsgebiete erstrecken. Im Moment haben wir in den Apotheken vor allem mit bestimmten Antidepressiva Schwierigkeiten, bei Antiepileptika und - was relativ neu ist - auch im Bereich der Onkologie, also bei der Behandlung von Krebserkrankungen.

Wie viele Medikamente fehlen genau?

Wir haben Ende des letzten Jahres 290 gelistete Medikamente gehabt, die nicht lieferbar waren. Aktuell sind es 260, aber es kommt nicht auf die reine Zahl an, sondern auf die Qualität, also welche Arzneimittel, die breit eingesetzt werden, fehlen. Das Niveau der fehlenden Mittel ist weiterhin relativ hoch.

Wie reagieren denn Patienten, wenn benötigte Arzneimittel nicht verfügbar sind?

Es ist Verunsicherung da. Alle Apotheken versuchen natürlich irgendwie den Patienten zu helfen, indem man entweder schaut, ob es andere Packungsgrößen gibt oder andere Hersteller eventuell noch liefern können. Wenn das nicht möglich ist, muss man auch mit dem Arzt sprechen, dass er die Therapie komplett umstellt. Aber für die Patienten selbst ist das natürlich eine psychische, mentale Belastung, wenn sie wissen, dass sie ein notwendiges Medikament nicht bekommen. In so einer Breite kennt man das auch nicht, dass bestimmte Sachen nicht lieferbar sind.

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Worin liegen denn die Ursachen für diese Knappheit?

Meine persönliche Meinung ist, dass es zwei grundlegende, also systematische Probleme gibt. Einerseits, dass große, flächendeckend beliefernde Arzneimittelhersteller ihre Grund- und Arzneistoffproduktion nicht mehr selbst durchführen, sondern von Zulieferern aus dem In- und Ausland zukaufen, vor allem aus Asien. Andererseits, dass sich durch diese Entwicklung eine Monopolisierung entwickelt hat. Das heißt, es gibt weltweit nur noch wenige Hersteller, die bestimmte Arzneistoffe produzieren. Die Arzneimittelhersteller beherrschen nicht mehr die gesamte Produktionskette, entscheidende Teile sind ausgelagert.

Ist in nächster Zeit eine Entspannung der Lage zu erwarten?

Ich glaube nicht, dass sich in absehbarer Zeit die Gesamtproblematik entspannen wird. Es werden weiterhin neue Medikamente mit Lieferschwierigkeiten dazu kommen, es werden auch mal wieder welche lieferbar sein. Das wird uns noch lange beschäftigen.

Empfohlen wird beispielsweise, dass sich Krankenhäuser und Apotheken bevorraten sollen. Ist das ein praxistauglicher Vorschlag?

In meinen Augen ist das ein Mittel der Mangelverwaltung. Natürlich kann man sich bevorraten, wenn es ein bestimmtes Arzneimittel gibt. Aber diese Vorräte sind irgendwann aufgebraucht. Wir sprechen hier von Zeiträumen von bis zu einem Jahr. Es hat auch niemand eine Glaskugel um zu sehen, welche Stoffe demnächst nicht lieferbar sind. Auf Dauer ist eine Bevorratung keine Lösung für eine kontinuierliche Arzneimittelversorgung.

Momentan beschäftigt uns das Coronavirus. Hat dieser Virus auch Auswirkungen auf zukünftige Arzneimittellieferungen?

In der chinesischen Provinz Hubei, mit der Hauptstadt Wuhan, wo das Zentrum dieser Infektionswelle ist, werden auch einige Arzneistoffe hergestellt. In Wuhan selbst sind es 17 relevante Arzneistoffe, in der gesamten Region 48. Es kann durchaus sein, wenn die Infektionswelle nicht in den Griff bekommen wird, dass dort die Produktion eingeschränkt werden muss. Denkbar ist das auf alle Fälle.

Wie schätzen Sie aktuell die Versorgung mit Medikamenten in Deutschland ein?

Momentan kann man einiges durch das Engagement der Apotheker ausgleichen. Aber wenn man wirklich eine hochqualitative Versorgung aufrecht erhalten möchte, müsste man überlegen, ob man die zwei Dinge, also Grundstoffherstellung und Monopolisierung durch Neuansiedlung von Produktionsstätten in Europa oder in Deutschland relativieren kann.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Thomas Krüger für Antenne Brandenburg. Das gesamte Interview können Sie mit einem Klick ins Titelbild nachhören.

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