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Audio: rbb24 Inforadio | 01.02.2023 | Jan Pallokat | Quelle: IMAGO/Image Source

Ostdeutsche als Führungskräfte

"Auf dem Weg nach oben stoßen viele auf Decken aus Panzerglas"

Über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sind gebürtige Ostdeutsche in Chefpositionen immer noch unterrepräsentiert. Die Bundesregierung will mit einem neuen Konzept den Anteil erhöhen. Brandenburg arbeitet mit der "Landeskinderregel". Von Thomas Bittner

"Sie sind Ostdeutscher? Das merkt man Ihnen gar nicht an!" Was als Kompliment gemeint ist, hat für manchen Angesprochenen einen bitteren Beigeschmack. Denn es wirkt, als sei die ostdeutsche Herkunft ein Makel, den man erfolgreich abgelegt habe. Unterschwellig gibt es noch immer Vorbehalte: Im Osten habe man weniger Bildung, vielleicht eine schwierige Vergangenheit, und noch dazu einen unangenehmen Dialekt. Das hat Folgen.

In den Chefetagen der Republik sitzen heute deutlich weniger Ostdeutsche als es der Bevölkerungsanteil erwarten lässt. Auf dem Weg nach oben stoßen viele Ostdeutsche an "Decken aus Panzerglas". So beschreibt es der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD).

Strukturwandel

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Das hat natürlich mit der Geschichte zu tun, die bis heute nachwirkt. Im Osten haben weniger Menschen das Abitur ablegen und studieren können. Ein finanzielles Polster für teure Auslandsstudien und unbezahlte Praktika fehlten - manchmal bis heute. Der Weg zum Karrierejob ist steiniger. Und zum anderen sahen oder sehen sich viele Ostdeutsche gar nicht ganz oben auf der Karriereleiter. Oder sie werden nicht gesehen. Da liegt das Problem.

Konzept der Bundesregierung soll Anteil erhöhen

Gerade hat Schneider für die Bundesregierung ein Konzept vorgelegt, das den Anteil ostdeutscher Führungskräfte erhöhen soll. [ostbeauftragter.de]

Ist denn über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung die Herkunft noch ein so entscheidendes Kriterium? Ja, sagt die Soziologin Maja Apelt von der Universität Potsdam, die sich auch viel mit den Aufstiegschancen von Frauen und Migranten beschäftigt hat. "Wenn wir davon ausgehen, dass Ost- und Westdeutsche die gleiche Intelligenz an den Tag legen, dann müssten sie eigentlich die gleichen Chancen haben, auf höhere Positionen zu kommen."

Es geht dabei auch um etwas Symbolisches. "Führungskräfte symbolisieren für andere: Aha, da kann ich aufsteigen, das ist auch eine Möglichkeit für mich." Und schließlich gehe es um Entscheidungen: "Berücksichtigen sie die Bedürfnisse und Belange der jeweiligen Gruppe, die sie repräsentieren?"

Die Professorin hat Ost- und West-Erfahrungen. Bis 1988 studierte sie an der Berliner Humboldt-Universität, floh dann über Ungarn in den Westen, und kam nach einer 20-jährigen Wissenschaftskarriere in Lüneburg und Hamburg im Jahr 2010 zurück in den Osten.

In den 1990-er Jahren hatte man erwartet, dass mit späteren Generationen auch wieder mehr Ostler an die Spitze kommen. Doch das passierte nicht. Apelt: "Da werden eben Strukturen reproduziert. Wenn beispielsweise Führungskräfte aus südlichen Bundesländern stammen, dann werden sie ihre Nachwuchskräfte und ihre Kollegen wiederum nach Ähnlichkeit wählen, nach dem ähnlichen Milieu, nach ähnlichen Erfahrungen. Und so entstehen Benachteiligungen."

Magere Eliten-Bilanz für Ostdeutsche

Die Eliten-Bilanz für Ostdeutsche ist ernüchternd. Im Bundesverfassungsgericht sitzt gerade mal eine ostdeutsche Richterin, die Brandenburgerin Ines Härtel, erste und einzige seit 1990. Nur zwei von hunderten Vorständen der Dax-Unternehmen stammen aus dem Osten. In den oberen und obersten Bundesbehörden sind nur 13,5 Prozent der Führungskräfte gebürtige Ostdeutsche.

Rechnet man Berlin heraus, sind es sogar nur 7,4 Prozent. Dabei kommt in Deutschland jeder Fünfte aus dem Osten, das sind rund 20 Prozent der Bevölkerung.

Ostdeutsche in Führungspositionen

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Aufstieg führt meist über den Westen

Nur eine der 100 größten Hochschulen in Deutschland wird von einer Ostdeutschen geleitet: Gesine Grande, die Präsidentin der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Sie selbst war 1991 von Leipzig nach Bielefeld gegangen. "Wenn der Westen sowieso kommt, kann ich ihm auch entgegen gehen", war ihr Motto. Im Westen hat sie viel gelernt, was ihr jetzt hilft: ein anderer Kommunikationsstil, mehr Demokratie, Handwerkszeug in der Wissenschaft.

Auch das ist auffällig: Der Weg nach oben führt über den Westen. In einer Datenerhebung für den MDR [ostdeutscheswirtschaftsforum.de] haben Wissenschaftler festgestellt: Entweder eine Karrierestation oder ein Studium im Westen des Landes erhöhen auch für Ostdeutsche die Aufstiegschancen. Die Wahrscheinlichkeit, aus der Heimatregion heraus in eine Chefposition zu kommen, ist gering.

Grande: Bisher habe ich nur westdeutsche Chefs erlebt

Gesine Grande versucht zu erklären, warum sie eine Exotin unter den Hochschulrektor:innen ist. Die Karriereorientierung sei im Osten eine andere. Lange Jahre sei man damit beschäftigt gewesen, überhaupt klarzukommen. "Ich glaube, uns haben viele Netzwerke, viele Wertvorstellungen gefehlt. Und für manches war es einfach zu spät, wie etwa im Ausland zu studieren."

Ob Ostler auf Chefsesseln die Unzufriedenheit in den neuen Bundesländern dämpfen könnten, ob sie einen ganz eigenen Führungsstil mitbringen, da sind sich die beiden von uns befragten Professorinnen nicht sicher. "Ich habe eigentlich, wenn ich so nachdenke, bisher nur westdeutsche Chefs erlebt", sagt Grande im Gespräch mit dem rbb, "deshalb kann ich das nicht mal aus eigener Erfahrung beurteilen." Die Ostdeutschen hätten durch viel mehr Brüche in ihrer eigenen Biografie vielleicht mehr Offenheit gegenüber nicht geradlinigen Karrieren. Aber genau wisse sie das auch nicht.

Maja Apelt: "Natürlich kommen aber ein paar andere Erfahrungen dazu, zum Beispiel die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen." Wer selbstverständlich erlebt habe, dass Mütter und Großmütter berufstätig waren, gehe vielleicht sensibler als Chef mit solchen Themen um.

Generatiosnwechsel in Verwaltungen als Chance nutzen

Im Konzept der Bundesregierung, das mehr Ossis an die Macht bringen soll, sind jetzt ein paar Maßnahmen beschrieben: Erst einmal soll überhaupt erfasst werden, wo potenzielle Nachwuchskräfte, Referentinnen und Referenten, überhaupt geboren sind. Neue Bundesbehörden und Forschungseinrichtungen werden im Osten angesiedelt, damit dort auch Einheimische gut bezahlte Jobs mit Karrierechance bekommen.

Personalauswahlkommissionen und Entscheidungsgremien sollen diverser besetzt werden. Ein Personalaustausch zwischen Ost und West soll einfacher werden. Der Ost-Nachwuchs in Behörden soll eigene Mentoren bekommen.

Auch die Überalterung in den Amtsstuben hilft da. In den nächsten Jahren wird es einen Generationswechsel in den öffentlichen Verwaltungen geben. Den wolle man nutzen, um das "Repräsentationsdefizit" von Ostdeutschen abzubauen.

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Immer weniger Studienanfänger schreiben sich für ein Mint-Fach ein - also Mathe, Informatik, Naturwissenschaft oder Technik. Dabei werden genau hier Fachkräfte gesucht. Aline Anders-Lepsch hat an der BTU in Cottbus nachgeforscht, wie der Trend gebrochen werden könnte.

Brandenburg will "Repräsentationslücke" schließen

Mit den Ost-Bundesländern wolle man besser zusammenarbeiten, ein Eckpunktepapier sei in Arbeit. Nachfrage in der Potsdamer Staatskanzlei. Regierungssprecher Florian Engels sagt: "Das Thema haben wir längst im Blick."

Im Koalitionsvertrag heißt es: "Wir werden mit gutem Beispiel vorangehen und uns dafür einsetzen, dass die Repräsentationslücke im Landesdienst geschlossen wird." Immerhin: Es war Dietmar Woidke, der sich offen dafür stark machte, endlich eine Ostdeutsche nach Karlsruhe ins Bundesverfassungsgericht zu entsenden. Jüngst sprach er sich für eine zukünftige rbb-Intendantin oder einen Intendanten mit Ostbiografie aus.

Auch in der Landesregierung Ungleichgewicht

Engels verweist auf die "Landeskinderregel" für den Justizbereich. Wer sich in der Ausbildung zum Juristen für ein Referendariat bewirbt, hat bessere Chancen, wenn er oder sie "enge familiäre oder soziale Bindungen zum Land Brandenburg" und zur hiesigen Justiz nachweisen kann. Das verbessert die Chancen für den Staatsdienst, meint der Regierungssprecher. Und ergänzt: "Letzten Dienstag wurde ein aus Burg stammender Richter in das Finanzgericht Berlin-Brandenburg berufen und kürzlich ein gebürtiger Frankfurter zum Chef des dortigen Finanzamtes."

Dass aber noch mehr geschehen muss, bestätigt auch der Regierungssprecher. In Brandenburgs Landesregierung sind nur fünf von elf Minister:innen Ostdeutsche.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 01.02.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Thomas Bittner

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