Tanzkritik | "Messa da Requiem"in Berlin - Auf geschmackvoll-seriöse Art gediegen

Sa 15.04.23 | 12:27 Uhr
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"Staatsballett Berlin in einer Azene aus Verdis Requiem"; © Serghei Gherciu
Audio: rbb24 Inforadio | 15.04.2023 | F. Schmid | Bild: Serghei Gherciu

Christian Spuck, der künftige Intendant des Berliner Staatsballetts, hat sich erstmals in der Stadt vorgestellt. Sein Einstand mit "Messa da Requiem" ist gelungen. Einwände sind allerdings nötig. Von Frank Schmid

Mit Jubel und langanhaltendem Beifall hat am Freitagabend in der Deutschen Oper in Berlin das Publikum auf die Choreographie "Messa da Requiem" von Christian Spuck reagiert - dem künftigen Intendanten des Berliner Staatsballetts.

Giuseppe Verdis "Messa da Requiem", seine Totenmesse, ist eines der bedeutendsten Chorwerke der Musikgeschichte. Verdi folgt hier zwar der Tradition der katholischen Liturgie, hat aber eigentlich ein Oratorium komponiert, in dem auch immer wieder der Opernkomponist aufblitzt.

Sein Requiem ist ein überwältigendes Werk, voller extremer Emotionen. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin hat es unter Leitung von Nicholas Carter auch sehr wuchtig, mit bedrängender Intensität gespielt, manchmal, in den hochdramatischen Phasen, eine Idee zu grell.

Choreographie ein Gesamtkunstwerk

Zu der mitunter ungeheuren Wucht dieser Musik hat Christian Spuck eine Choreographie im Sinne eines gewaltigen Gesamtkunstwerkes entworfen. Chor, Gesangssolisten und Tänzer verschmelzen miteinander zu einer Einheit, sind oft als große Masse auf der Bühne. Einer Bühne, die mit ihren grau-braun-schwarzen Holzwänden, mit der tiefhängenden Decke und den schwarzen Ascheflocken auf dem Boden wie ein riesiges Verlies wirkt – wobei in Spucks Choreographie weder die Hölle droh, noch der Himmel lockt.

Staatsballett: Messa da Requiem © Serghei Gherciu
Staatsballett Berlin: "Messa da Requiem" von Giuseppe Verdi | Bild: Serghei Gherciu

Keine Handlung, keine Visualisierung der Musik – schlichter Tanz

Christian Spuck hat richtigerweise nicht versucht, der Musik eine Handlung zugrunde zu legen. Er hat keine Szenen erfunden, mit denen die Musik bebildert oder visualisiert wird. Sein Tanz steht in der Spannung zwischen Abstraktion und Emotion – ist durchweg nicht-erzählerisch und entsteht aus der Musik.

Allerdings bleibt das Bewegungsmaterial im Kern schlicht. Strecken, Dehnen, Heben, Schweben – das sind die Hauptelemente in wenigen Variationen. Christian Spuck setzt auf gerade Linien der sehr oft weit gestreckten Arme und Beine, ein Ausdehnen der Gliedmaßen und Nach-Hinten-Dehnen der Körper, vor allem der Damen in den vielen Hebungen durch die Herren in den vielen Duo-Szenen, die diese Choreographie prägen.

Wenn nicht gerade wieder eine Massenszene arrangiert werden muss. Der Chor, die Gesangssolisten, die Tänzer – mitunter scheint es, als wären mehr als 100 Menschen auf der Bühne. In diesen Szenen ist Spuck eigentlich ein Arrangeur. Er muss schlichtweg Raum finden für den Rundfunkchor Berlin, der szenisch mitagiert, der sich an den Seiten drängt oder über die Bühne flutet. Oft treten die Sänger und Tänzer aus dem Chor heraus und wieder in den Chor zurück, dann strömen die Sängerinnen und Sänger beiseite. Das arrangiert Spuck sehr geschickt, wie ein organisches Fließen.

Recht konventioneller Tanz – nicht alles erschließt sich

Ähnlich im Tanz, der zwar geschmeidig-elegant und auf geschmackvoll-seriöse Art gediegen ist, aber eben auch recht konventionell, ohne eine einzigartige Handschrift bleibt. Und nicht alles im expressiven Spreizen und Dehnen oder in den revuehaften Wellen- und Schlangen-Bewegungen erschließt sich, wenn etwa um Tische herum und mit ihnen getanzt wird. Da wäre etwas mehr Emotion in der Abstraktion wünschenswert gewesen oder auch mal ein Innehalten, wie ein Nachsinnen. Zudem können die Tänzerinnen und Tänzer des Staatsballetts ihre individuelle Klasse hier selten zeigen – das ist keine Choreographie für Glanzpunkte durch die Solisten.

Trauer und Tragik ohne Entrinnen

Gerade weil Christian Spuck nicht der Versuchung erlegen ist, die Musik zu bebildern, gelingt ihm das große existenzielle Drama. Es gelingt ihm, uns an die für uns Menschen unfassbare Tatsache heranzuführen, dass wir alle sterben werden, früher oder später.

Als Gesamtkunstwerk besticht dieser Abend im Schrecken über das bevorstehende Ende. Das ist eine dunkle Messe voller Trauer und Tragik, voller Verlorenheit und Fassungslosigkeit, auch ein Erzählen von der Einsamkeit im Sterben. Immer wieder sind einzelne Tänzerinnen völlig allein zu sehen oder ersterben förmlich in der Hebung durch ihre Partner.

Am Ende senkt sich die massige Decke herab – es gibt hier kein Entrinnen, auch wenig Trost und kaum Hoffnung. Das in dieser eindrucksvollen Konsequenz zu zeigen, ist mutig.

Geschickte Entscheidungen

Das Publikum hat auch Christian Spuck ausgiebig gefeiert für diese erste abendfüllende Choreographie, die er in Berlin zeigt, wenngleich sie bereits 2016 entstanden ist, für das Ballett der Zürcher Oper. Von dort kommt Christian Spuck als neuer Staatsballett-Intendant in der kommenden Saison.

Es war eine geschickte Entscheidung, sein Zürcher Erfolgsstück als erstes in Berlin zu präsentieren - auch weil hier der Tanz nicht im Vordergrund steht. Der Tanz hinterlässt nicht den stärksten Eindruck, sondern die exzellenten Gesangssolisten und vor allem der Rundfunkchor Berlin mit einer phantastischen Leistung. Ob im Pianissimo oder im Fortissimo, in den hochdramatischen urgewaltigen Gesangspassagen – der Rundfunkchor Berlin war schlichtweg fabelhaft. Allein schon deswegen sollte man diesen "Messa da Requiem"-Abend erleben.

Sendung: rbb24 Inforadio, 15.04.2023, 08.00 Uhr

2 Kommentare

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  1. 2.

    Sicherlich der Beginn einer neuen Ära beim Staatsballett. Es war ein grandioser Abend. Nicht nur Tänzer und Tänzerinnen konnten brillieren, musikalisch ein Hochgenuss. Bühnenbild sehr spartanisch, aber mit einfachen Mitteln wurden tolle Effekte erzielt.

  2. 1.

    Ich habe Karten und freu mich so darauf!!!

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