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Quelle: dpa/Jens Kalaene

Kommentar | Infektionsschutzgesetz

"Wahlen gewinnt man eben eher im Baumarkt als im Theater"

Katastrophale Aussichten für die Kultur mit dem Infektionsschutzgesetz? Ach was! Tonleitern in Hinterhöfen, Hamlet im Dänischen Bettenlager: Alles erlaubt. Maria Ossowski sieht mit der Gesetzesnovelle gravierende Folgen auf die Kulturbranche zukommen.

Es steht fest. Alle kulturellen Veranstaltungen werden mit dem neuen Infektionsschutzgesetz, mit der Bundesnotbremse verboten, wenn die Inzidenz drei Tage hintereinander 100 überschritten hat. Fünf Werktage muss sie unter 100 liegen, faktisch eine Woche, wenn Kinos, Konzerthäuser oder Theater danach wieder öffnen wollen.

Alle hervorragenden Hygienekonzepte, oft mit hohen Investitionen umgesetzt, sind nicht berücksichtigt worden. Die Pilotprojekte, die zeigten: Niemand steckt sich in der Philharmonie oder im Berliner Ensemble an, wenn alle sich an die Regeln halten - sie werden ignoriert. Die dringenden Appelle der Berliner und Hamburger Kultursenatoren, Klaus Lederer und Carsten Brosda, wenigstens Open Air zu erlauben, haben nicht gefruchtet.

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Kein kulturelles Verantwortungsbewusstsein in der Politik

Beide Politiker sitzen im Bundesrat. Beide scheinen kein Gehör bei ihren Kolleginnen und Kollegen zu finden. Wahlen gewinnt man eben eher im Baumarkt als im Theater. Viele Politiker scheinen jedes kulturelle Verantwortungsbewusstsein verloren zu haben. Es ist ein Gesetz aus dem Kanzleramt. Dort angesiedelt ist auch die Funktion der Kulturstaatsministerin. Monika Grütters kann deshalb nicht gegen ein Gesetz aus dem eigenen Haus protestieren, selbst wenn sie vermutlich recht unglücklich damit ist. Spätestens jetzt zeigt sich: Ein vom Kanzleramt unabhängiges Kulturministerium ist dringend nötig.

Da das Gesetz auch die Gastronomie, die Hotellerie und die Veranstaltungswirtschaft in den Ruin treiben kann, ist die Kultur nur ein Problemfall unter vielen. So verzweifeln die hoch engagierten Kulturverbände, die seit Wochen Sturm laufen gegen die undifferenzierten Verbote. Die besondere Rolle der Kultur wird nicht gewürdigt, die Kunstfreiheit ist kein Thema. Die Kulturleute sollen sich nicht so anstellen, die empathiefreie Order der nordrhein-westfälischen Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Pönsgen wirkt noch nach.

Hamlet vor dem Keksregal

Ironie hilft bei der Frage, welche Alternativen dann für diesen Sommer bleiben, so nicht ein Wunder geschieht und die Zahlen mit den Impfungen sinken. Vielleicht eine kleine, intime Serenade im Hinterhof? Nein, verboten! Erlaubt nur, wenn ein Solo-Geiger dort übt. Auch Zuhören ist möglich, aber nur alleine, also nur, wenn Sie Unkraut zupfen, Fenster putzen oder den Müll runterbringen. Dann dürfen Sie genießen, aber Vorsicht, ab und zu muss ein falscher Ton dabei sein, sonst wird aus Etüden ein Konzert. Am besten sollten Künstlerinnen und Künstler nur Tonleitern spielen, dann sind alle auf der sicheren Seite.

Hamlets Monolog mit Maske im Supermarkt vor dem Regal mit den Prinzenrollen? Sein oder Nichtsein, es wäre skurillerweise erlaubt im korrekten Abstand der Einkaufswagen. Möglich wäre auch eine Premiere um Hamlet, den Prinzen vom Dänemark, im Dänischen Bettenlager, aber natürlich nur mit vorheriger Anmeldung und negativem Test.

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"Wir sind nur noch erschüttert"

Ganz im Ernst: In diesem Gesetz ist leider nirgendwo zu spüren, dass sich unsere Volksvertreter besondere Mühe gegeben hätten, die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Kultur angemessen zu würdigen, etwa durch ein wenig Verständnis für aufführungspraktische Probleme. Verbote sind allerdings leichter zu ertragen, wenn sie weniger pauschal, sondern differenzierter daherkommen.

Kulturmacher und Kulturgenießer waren und sind zu allem bereit, Nibelungenring mit FFP2-Maske, Figaro-Chor ebenfalls maskiert, Massentests vor dem Konzerthaus. Wir achten die Sorge um die Gesundheit aller, wir sind das Gegenteil von Corona-Leugnern, aber wir sind ob dieses Rasenmäherprinzips in einem Gesetzestext nur noch erschüttert.

Sendung: Inforadio, 21.04.2021, 12:55 Uhr

Beitrag von Maria Ossowski

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