Girls' Day und Boys' Day - "Wenn die Berufswahl entgegen eines Klischees gewählt wird, wirft das im Alltag oft Fragen auf"

Do 25.04.24 | 10:42 Uhr | Von Hasan Gökkaya
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Symbolbild: Auszubildende an der Bohrmaschine. (Quelle: dpa/Schulz)
Audio: rbb 88.8 | 25.04.2024 | Jana Schmidt | Bild: dpa/Schulz

Frauen sind im Handwerk selten anzutreffen - und Männer als Erzieher in Kitas. Was kann der Girls' Day und Boys' Day daran ändern? Ein Gespräch über den Sinn solcher Aktionstage und alte Rollenvorstellungen - mit der Gender- und Diversity-Forscherin Petra Lucht.

rbb|24: Frau Lucht, in Internetprofilen sind längst Eigenbezeichnungen wie "she/her", "he/him", binär und nicht-binär zu lesen. Der Girls' Day und Boys' Day wirkt da schon fast wie eine Erfindung aus der alten Welt. Ist so ein Aktionstag noch zeitgemäß?

Petra Lucht: Ja, Girls’D ay und Boys’ Day halte ich für sehr zeitgemäß. Leider, muss ich dazu sagen. Es geht hier um den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, der in Deutschland unter Frauen und Männern nach wie vor sehr ungleich aufgeteilt ist. Diese Aktionstage tragen dazu bei, mehr Chancengleichheit zu erreichen.

Sie halten ihn also durchaus für einen modernen Ansatz?

Der Hintergrund der Aktiontage ist, dass die Berufswahl in Deutschland stark durch Geschlechterklischees geprägt ist. Außerdem wird dieser Aktionstag auch für jene Gruppen junger Menschen angeboten, die sich nicht ausschließlich als männlich oder weiblich identifizieren, sondern als non-binär.

Wie macht sich das bemerkbar?

Einige Betriebe und Institutionen berücksichtigen explizit, dass die sozialen Lebenswelten von Mädchen vielfältig sind und dass junge Menschen sich selbst in vielfältiger Weise mit Bezug auf binäre und auf nicht-binäre Geschlechterkonzepte identifizieren. Manchmal wird das auch sprachlich deutlich, indem beispielsweise das Sternchen (*) oder eine andere Markierung an die Begriffe 'Mädchen' und 'Jungen' angeschlossen wird.

Zukunftstag

Anlässlich des Girls' Day und Boys' Day in Berlin und des Zukunftstags in Brandenburg öffnen am Donnerstag hunderte Betriebe ihre Türen für Jugendliche. Die Aktion richtet sich an junge Schülerinnen und Schüler. Ziel ist es, künftig den Anteil an Frauen und Männern in Berufen, in denen sie unterrepräsentiert sind, zu erhöhen. Der erste Girls' Day fand 2001 statt, der erste Boys' Day 2011.

Daten des Statistische Bundesamtes zeigen, dass es weiterhin Branchen gibt, in denen Frauen oder Männer klar unterrepräsentiert sind. Im Handwerk etwa waren 2022 weniger als elf Prozent der Erwerbstätigen weiblich [destatis.de]. In der Industrie, etwa bei der Bedienung von Maschinen, weniger als 16 Prozent. Andererseits lag der Männeranteil am pädagogischen Personal in Kindertageseinrichtungen bei nicht einmal acht Prozent. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?

Das sagt aus, dass die Berufswahl von jungen Menschen nach wie vor von bereits existierenden Vorstellungen von dem, was als typisch weiblich und was als typisch männlich gilt, geprägt wird. Es geht hier also um Geschlechterklischees, die von soziale Normen stark mitgeprägt werden.

Wer prägt diese Normen mit?

Diese Normen werden im sozialen Umfeld vermittelt. Dazu gehören die 'Peer Group', also Mitschüler:innen und Freund:innen und ganz sicher auch das familiäre Umfeld. Weiterhin erlernen junge Menschen diese Normen auch durch die Nutzung von Social Media, Printmedien oder auch Lehrbücher. Wenn die Berufswahl entgegen eines Klischee gewählt wird, wirft das im Alltag oft Fragen auf.

Ich kann das zum Teil aus eigener Erfahrung bestätigen; ich bin Diplom-Physikerin, in den 1980er bis 1990er Jahren und auch heute sorgt die Wahl meines Studienfachs im Alltag häufig für Diskussionen. Wichtig ist, dass die Berufswahl mittlerweile zwar als individuelle Entscheidung erlebt wird, denn prinzipiell stehen alle Berufe und auch alle Studienfächer für alle Geschlechter offen. Aber wir sind doch nicht ganz so frei wie wir uns das vorstellen.

Zur Person

Petra Lucht. (Quelle: Bernd Wannenmacher)
Bernd Wannenmacher

Petra Lucht ist derzeit Gastprofessorin an der Freien Universität Berlin. Sie ist dort tätig im Forschungsbereich "Science of Science mit einem Schwerpunkt auf Fragen von Gender und Diversity" des Fachbereichs Biologie, Chemie und Pharmazie.

Gibt es weitere Faktoren, die unser Rollenverständnis beeinflussen können?

Ein weiterer Bereich ist beispielsweise unsere Kleidung. Wenn sie in einen großen Discounter gehen, um Kleidung einzukaufen, ist diese sortiert - in der Regel für Frauen, für Männer, für Mädchen und für Jungen. Wenn Sie sich die Kleidung für Mädchen und Jungen anschauen, sehen sie, dass diese farblich kodiert ist. Weiterhin werden zum Beispiel T-Shirts mit bestimmten Schriftzügen bedruckt. Die Berufe, die mit diesen Schriftzügen auf T-Shirts für Jungen und Mädchen dargestellt werden, entsprechen oft Geschlechterklischees. Damit streift man Kindern und Jugendlichen diese Klischees über und signalisiert ihnen damit, welche Berufs- und welche Studienfachwahl für sie vorgesehen ist.

Ist die ungleiche Aufteilung zwischen Frauen und Männern im Ausland ähnlich?

Das lässt sich nicht so einfach vergleichen. Was die enge Verknüpfung der Vorstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit mit einem Beruf angeht, gibt es zumindest andere Länder, die Deutschland ähneln. Allerdings ist das eben nicht überall so. Der Anteil von Frauen in Mint (Bezeichnung für Fächer aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, Anmerk. d. Redaktion) ist beispielsweise in einigen südeuropäischen, lateinamerikanischen und auch in skandinavischen Ländern höher als in Deutschland.

Die Geschlechterunterschiede nehmen aber teils ab. In der technischen Forschung und Entwicklung stieg der Frauenanteil 2023 mit 42.000 weiblichen Beschäftigten auf 18 Prozent - zehn Jahre zuvor waren es noch elf Prozent. In der Informatik stieg der Anteil auf knapp 18 Prozent, nach 14 Prozent im Jahr 2013.

Ja, das stimmt. Die Zahlen verändern sich, allerdings recht langsam. Die Studienlage zeigt, dass sich das Spektrum der Berufsfelder von Mädchen sich in den letzten Jahren stärker vervielfältigt hat als das von Jungen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Hasan Gökkaya für rbb|24.

Sendung: rbb24 Inforadio, 25.04.2024, 09:40 Uhr

Beitrag von Hasan Gökkaya

27 Kommentare

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  1. 27.

    Ihr Anliegen ist doch das, was sonst immer angeboten wird. Man muss nicht mehr schauen, was passiert. Das weiß man schon.
    Aus diesem Grund gibt es doch dieses besondere Format, wo sich Jungs in frauendominierten und Mädchen in männerdominierten Berufen umschauen können.

    Wüsste nicht, was daran verkehrt ist. Es geht um eine Erweiterung des Erfahrungshorizontes von Jugendlichen. Nicht mehr und nicht weniger.

  2. 26.

    Das einzige Problem war, das Schule als mögliche Berufsfeld nur für den Jungs angeboten war und nicht für die Mädchen. Wir haben schon den „Sinn“ verstanden, bzw ich, nur finde ich es trotzdem schade das alles nur so oder so angeboten wird… mein Anliegen war man hätte das gleiche beide Geschlechter anbieten können und schauen was passiert… bei uns zu House läuft übrigens alles super danke… ;)

  3. 25.

    Jaaa, ich habe gestern und heute erstaunt gesehen, dass zwei Frauen, keine Männer weit und breit, auf einem neu zu gestaltendem Spielplatz steinsetzertätigkeiten ausübten - M/w ist es eben gewohnt ...
    2. Wenn ich auf der Strasse, weil eine Kindergartengruppe, ob 'sch..'parkendem Auto Strassenüberquerungsprobleme haben davon ein Foto mache und über die Kreuzung hinweg von zwei Betreuerinnen angebrüllt werde ich hätte das Fotografieren zu unterlassen, dann u. wenn ich einen Mann in einer Kindergartengruppe auf einem Spielplatz als Betreuer sehe - ja dann denke ich - und was denken die Betreuerinnen?

  4. 24.

    Ich stimme Ihnen voll und ganz zu. Dieses ständige darauf hinweisen, dass es Unterschiede gibt, fördert genau dieses Denken.
    Und diese ganzen Quotenbestimmungen fördern Diskriminierung.

  5. 23.

    Das ist Quatsch. Inzwischen sind Werkzeuge, Hilfsmittel und Technik soweit, dass auch Männer nicht ständig schwer schleppen müssen. Leitern gibt es übrigens schon aus Aluminium und wiegt meist unter 20 kg.

  6. 22.

    "Meine Tochter sagte auf dem Weg zum Angebot sie möchte gern Grundschullehrerin werden..."

    Wo ist das Problem? Ihre Tochter und sie haben den Sinn des Girls' Day und Boys' Day nicht verstanden. Ihrer Tochter kann man das noch verzeihen.

    Noch mehr als Social Media und Peer Group prägt halt das Elternhaus das Rollenverständnis.

  7. 21.

    Mir scheint, Sie haben den Sinn des Girls und Boys Day nicht verstanden. Es geht ja gerade darum, sich Berufe jenseits der Klischees anzuschauen und eben nicht gemischt.
    Manche brauchen einfach mehr Vorbilder, um den Mut zu fassen, eine eigene Entscheidung zu treffen.

    Trotzdem darf Ihre Tochter Lehrerin werden.

  8. 20.

    "Ich verstehe immer nicht, warum aus jeder Unterschiedlichkeit und jeder Verteilung, die nicht 50:50 läuft, gleich ein Gesellschafts-Problem gemacht wird."

    Das sind die neuen Sprechblasen unserer Zeit. Weil es sonst irgendein -ismus wäre. Zudem muss immer alles "gerecht" sein. Und machen wir uns nichts vor: Menschen sind nicht individuell sondern Herdentiere&Mitläufer. Zu einer sozialen Gruppe dazugehören ist wichtig. Die Zugehörigkeit drückt sich auch über die Sprache aus.

  9. 19.

    Danke für den Hinweis. Aber sicher wissen Sie auch, dass es Arbeitsschutzrichtlinien gibt, die den Frauen manchen Tätigkeiten verwehren.

  10. 18.

    Meine Tochter nahm heute an einem Angebot teil. Leider mussten wir feststellen dass es sehr schade war das die Gruppen nicht gemischt waren. Sie kam nach Hause mit nur ganz wenig Wissen worüber es heute eigentlich ging (wurde nicht thematisiert zumindest in dem Angebot woran sie teilgenommen hatte). Insgesamt war sie nicht so ganz angetan von den Angebote für Mädchen da es so gestaltet war das diese hauptsächlich eine reine Umkehrung den Klischees war. Warum explizit alles auf Boys und Girls differenzieren -Chancengleichheit heißt nicht man soll in irgendeiner gegenteilige Schublade geschoben werden die dir nicht passt. Meine Tochter sagte auf dem
    Weg zum Angebot sie möchte gern Grundschullehrerin werden - das war heute allerdings nur für die Boys im Angebot…

  11. 16.

    „Ich sehe nicht, dass es irgendwann einmal Stahlkocherinnen geben wird, nur damit diese Männerdynastie endlich von Frauen erobert wird.“

    Ich bin ausgebildeter Metallurge. In meiner Berufsschulklasse waren wir 10 Jungs und 2 Mädels. Zum Berufsbild von Metallurgen gehört unter anderem die Herstellung oder Formgebung von Stahl.

    Soviel dazu.

  12. 15.

    Sehe ich ähnlich.
    Jeder soll jeden Beruf ergreifen können.
    Aber diese Debatten, dass wir ein Problem haben, wenn in einer Branche 80% Männer und 20% Frauen arbeiten, ist einfach nur lächerlich.
    Wenn Vielfalt so toll ist, darf im Prozente-Kuchen nicht immer nur die 49, 50 und 51 sein - sondern dann muss auch mal 0 und 1 sowie 99 und 100 vorkommen.

  13. 14.

    Wer seine Meinung entgegen der gängigen äußert, sieht sich auch mit aufkommenden Fragen konfrontiert.
    Ich verstehe immer nicht, warum aus jeder Unterschiedlichkeit und jeder Verteilung, die nicht 50:50 läuft, gleich ein Gesellschafts-Problem gemacht wird.
    Ich habe mein ganzes Leben in Männer-untypischen Branchen gearbeitet.
    Es ist echt traurig, was teilweise für ein Menschenbild vorherrscht, Kinder könnten nicht selbständig auswählen und sich nicht durchsetzen.
    Wenn Anders machen, handeln und denken bzw. das Gegenteil angeblich so schön und toll sind, frage ich mich, warum man an anderer Stelle Kindern und Jugendlichen genau eintrichtert, was das Richtige ist.

  14. 12.

    Ja, sehr schade - Schriftsetzer, ein toller Beruf!
    War in der ersten Fotosatz-Klasse.

  15. 10.

    Schön, dass Sie sich gerade am Stahlkocher-Beispiel aufhängen, ein Beruf, der im Ruhrgebiet möglicherweise verbreiteter ist als in Berlin. Haben Sie auch den Rest gelesen? Hier für Sie noch einmal: Es ist gut, wenn alle Berufe für alle offenstehen. Ich selbst wollte einst Schriftsetzer lernen, konnte es aber nicht, da das seinerzeit (wegen Bleisatz) ein Männerberuf war. Ich wollte das werden, weil es mich interessiert hat und nicht, um ein Klischee zu durchbrechen. Es sollte möglich gemacht werden, dass jede und jeder den Beruf lernen kann, der ihn interessiert. Sicher kann man manchmal auch Interessen wecken. Aber wenn eine Frau nun mal Kita-Erzieherin werden will und den Beruf mit Liebe und Engagement ausführt, sollte man ihr nicht vorhalten, dass sie damit ein Klischee bedient.

  16. 9.

    Wenn ich sowas jetzt 2024 lese, frage ich mich ernsthaft, wer hier wen zurück an den Herd und Opas Bett befördern will. Wenn 50 Jahre Frauenbewegung so zielführend waren, dass die Herrlichkeit schon den Geschirrspüler ausräumen kann, seine weibliche Begleiterin aber weiter mit dem Klischee behaftet ist, dass sie wegen eines T-Shirts mit dem Aufdruck "Zicke" keinen Bock hat, einen Nagel in die Wand zu hauen, ist das nur noch behämmert. Die Aussage von @3 Gerdi, "schwere Leiter", ist schon damit widerlegt, dass ein bettlägeriger Mensch auch von Pflegekräften versorgt werden muss, die zierlich und weiblich sind.

  17. 8.

    Was für ein Blödsinn. Es gibt auch sehr kräftige Frauen und wiederum schwache Männer. Eine Frau, die sich den Anforderungen auf dem Bau nicht gewachsen sieht, wird sich vermutlich genausowenig für einen Bauberuf interessieren, wie ein Mann in gleicher Situation. Außerdem kommt es oft mehr auf die Technik als die Stärke an. Oder wie erklären Sie sich, dass in der Altenpflege mehr "schwache" Frauen als Männer arbeiten und Senioren durchaus anheben können.

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