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Video: Abendschau | 15.02.2022 | Carla Spangenberg | Quelle: rbb

Alkohol in der Schwangerschaft

"Ich bin meiner Mutter nicht böse"

Antonia kann sich schlecht konzentrieren und ist vergesslich. Das hat einen Grund: Sie ist das Kind alkoholkranker Eltern, ihre Mutter trank auch in der Schwangerschaft. Für Antonia wird das lebenslange Auswirkungen haben. Von Carla Spangenberg

Manchmal vergisst Antonia, zu kochen und zu essen – überhaupt braucht sie im Alltag häufig Unterstützung. Deshalb wohnt die 19-Jährige in einer betreuten WG. Dort, in Berlin-Spandau, helfen ihr Betreuerinnen und Betreuer bei den Dingen, die sie selbst nicht meistern kann.

Antonia leidet unter einer sogenannten fetalen Alkoholspektrumstörung (FASD). Die entsteht, wenn Mütter in der Schwangerschaft Alkohol trinken. Der Fötus wird dann schon im Mutterleib geschädigt und die Folgen tragen die Kinder ihr Leben lang: Lese- und Rechenschwäche und Konzentrationsschwierigkeiten, das ist auch bei Antonia so. Bei anderen gehören auch ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung) und Wachstumsstörungen zum Krankheitsbild. Die Schäden können unterschiedlich schwer sein.

Bei Antonia sind sie nicht so schwerwiegend, sie hat allerdings oft Probleme, sich etwas zu merken: "Fremdsprachen sind für mich wirklich schwer." Auch Termine oder Absprachen mit ihrer Betreuerin vergesse sie häufig. Deshalb hat sie eigene Strategien entwickelt und führt einen detaillierten digitalen Kalender, der ihr Erinnerungen schickt.

Kindheit mit alkoholkranken Eltern

Bis zu ihrem achten Lebensjahr wuchs Antonia bei ihren alkoholkranken Eltern auf, dann kam sie in eine Pflegefamilie. Eine Verwandte hatte sich wegen der Situation ans Jugendamt gewendet, das stellte Kindeswohlgefährdung fest und nahm Antonia aus der Familie.

An ihre Kindheit kann sich die junge Frau kaum erinnern: "Ich weiß nur, dass die Wohnung wohl sehr verwahrlost war. Das hat mir das Jugendamt erzählt." Zu ihrem Geburtstag habe sie von ihren Eltern mal einen Hasen geschenkt bekommen, das weiß sie noch. Außerdem erinnert sie sich an Ausflüge mit ihrem Vater zum Spielmannszug, auf dem er Schlagzeug gespielt habe.

Zu Anfang war sie der Mutter böse

Zu diesem Vater hat Antonia nur selten Kontakt. Er ist noch immer alkoholkrank, und Antonia kann den Geruch von Alkohol und Zigaretten nur schwer ertragen. Ihre Mutter trinke nicht mehr, sagt Antonia. Die beiden sehen sich häufiger.

Ihre Mutter bestreitet, in der Schwangerschaft getrunken zu haben – allerdings zeichnet die medizinische Diagnose ein anderes Bild. Trotzdem macht Antonia ihrer Mutter keine Vorwürfe: "Ich bin ihr nicht böse. Am Anfang war ich das. Aber jetzt ich bin einfach sehr froh, trotzdem mit ihr Kontakt zu haben."

Schritt in die Unabhängigkeit

Vor kurzem hat Antonia einen Schritt in die Unabhängigkeit gemacht und ist bei ihren Pflegeeltern ausgezogen, zu denen sie immer noch einen guten Draht hat. In ihrer WG sind sie zu viert – die Wohngemeinschaft wird vom FASD-Fachzentrum geleitet und betreut.

Das Zentrum organisiert auch Workshops und Informationsveranstaltungen zum Thema FASD. Dort klärt Antonia als Referentin Schulklassen, Lehrerinnen und Erzieher über die fetale Alkoholspektrumstörung auf. Dabei macht sie sehr deutlich: Am besten ist es, in der Schwangerschaft gar keinen Alkohol zu trinken, denn schon kleinste Mengen können reichen, um das Kind nachhaltig zu schädigen. "Der Mann sollte die Frau während der Schwangerschaft unterstützen, gar keinen Alkohol anzufassen, damit erst gar keine Kinder mit dieser Störung geboren werden", sagt sie.

Nach Angaben der Bundesdrogenbeauftragten werden in Deutschland schätzungsweise rund 10.000 Kinder pro Jahr mit FASD geboren. Etwa 3.000 von ihnen leiden unter der schwersten Form dieser Behinderung: dem fetalen Alkoholsyndrom (FAS). Bei ihnen hat der mütterliche Alkoholkonsum in der Schwangerschaft zu körperlichen Fehlbildungen geführt, oder auch zu geistiger Behinderung. Normales Lernen ist für diese Menschen nicht möglich.

Antonia streichelt in ihrem Kinderzimmer einen Hasen. | Quelle: rbb

Unverständnis im sozialen Umfeld

Häufig werden Kinder mit FASD gemobbt oder ausgegrenzt. Auch Antonia hat sich von ihrer Umgebung früher oft nicht richtig verstanden gefühlt. Das Leben in ihrer WG tut ihr gut, hier wohnen Menschen, die an der gleichen Störung leiden und größeres Verständnis haben: "Die Menschen hier verstehen mich. Nicht so wie andere, die sagen, dass ich irgendwas einfach nicht kann, oder mich deswegen runtermachen." Seit ihrer Kindheit hatte Antonia immer ein enges Verhältnis zu Tieren.Sie lebt größtenteils vegetarisch und ihre Katze und ihr Hase sind für sie da, wenn es ihr schlecht geht.

Demnächst beginnt Antonia vielleicht mit einer betreuten Ausbildung. Sie würde gern mit Zierpflanzen arbeiten, aber auch die Arbeit als Malerin kann sie sich gut vorstellen. Ein Praktikum in einem Malereibetrieb hat sie bereits absolviert. Und irgendwann will sie dann auch in einer eigenen Wohnung leben.

Sendung: Abendschau, 15.02.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Carla Spangenberg

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