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Video: rbb24 Abendschau | 12.08.2022 | F. Drescher | Quelle: dpa/M. Skolimowska

Mobilitätswende

Pleiten, Pech und Pannen beim Straßenbahn-Ausbau in Berlin

Bei der Mobilitätswende soll nach Vorstellungen des Senats die Straßenbahn eine wichtige Rolle spielen. Doch beim Ausbau des Netzes erlebt die Verkehrsverwaltung immer wieder heftige Pannen. Der Fahrgastverband IGEB redet sogar von Sabotage. Von Frank Drescher

Es lebt sich angenehm im Kiez rund um die Sonntagstraße in Friedrichshain: Die Mieten in vielen sanierten Altbauten sind noch immer günstig, hohe Bäume werfen im Hochsommer kühlenden Schatten. Motorisierten Durchgangsverkehr gibt es keinen, dafür aber viele Bars, Restaurants und Kneipen, die auch Touristenmagneten sind. Kaum zu glauben, dass sich in Laufweite Deutschlands größter Umsteigebahnhof, das Ostkreuz, befindet.

Friedrichshainer Kiez-Idyll in Gefahr?

Doch bei der Anbindung dieses Umsteigebahnhofs ans Straßenbahnnetz ist noch Luft nach oben: Bisher fährt die Tram im großen Bogen um das Ostkreuz herum. Deswegen plant die Verkehrsverwaltung seit gut 20 Jahren, die Strecke direkt an den Bahnhof zu verlegen.

Mit der Ruhe im Kiez könnte es dann vorbei sein, fürchtet die Kiez-Initiative "Zukunft Ostkreuz". 900 Einwendungen gibt es aus der Anwohnerschaft gegen die Tram-Pläne in der Sonntagstraße. Viele richten sich gegen den befürchteten Lärm der Straßenbahn. Und ein Kiez-Bewohner hat Sicherheitsbedenken: "Wenn die Druffies aus dem Park hier vor den Zug laufen, wird's dauernd Unfälle geben", sagte er dem rbb.

Allerdings stammt die jetzige Planung für die Streckenverlegung noch aus einer Zeit, als die beiden nächstgelegenen Haltestellen je einen halben Kilometer Fußweg vom Bahnhof entfernt lagen.

Inzwischen ist der Zugang zum Ostkreuz von Nordosten her möglich. Dort befindet sich auch eine Haltestelle. Würde diese weiter in Richtung Bahnhof verlegt, ließe sich der Umsteigeweg auf etwa 200 Meter verkürzen.

Trotzdem hält die Verkehrsverwaltung vorerst an der Tram in der Sonntagstraße fest – auch wenn sie sich schon mehrfach in den verwaltungsrechtlichen Prozeduren verhedderte, die BVG und Verkehrsverwaltung zwingend befolgen müssen. Bevor Bautrupps die Sonntagstraße aufreißen, muss es nämlich einen rechtlich unanfechtbaren Planfeststellungsbeschluss geben. Dazu muss die Verwaltung detaillierte Baupläne veröffentlichen, damit alle betroffenen Anrainer und, wie es verwaltungsjuristisch heißt, "Träger öffentlicher Belange" Gelegenheit haben, triftige Gründe gegen den Bau der Strecke vorzutragen. Die erwähnten 900 Anwohner haben das getan.

Pannen über Pannen

Dabei trat Panne Nr. 1 zutage: Es sind mehr Anwohner vom Lärm betroffen, als die Verwaltung annahm, weil viele Dachgeschosse inzwischen ausgebaut und bewohnt sind. 2021 gab es darum neue Pläne.

Und bei deren Vorstellung passierte Panne Nr. 2: Sie wurden im Internet nicht vollständig veröffentlicht, ein Formfehler, der eine Wiederholung des Verfahrens erforderlich macht. Diese war für Ende 2021 angekündigt, ist aber immer noch nicht erfolgt. Einen Termin mag die Verkehrsverwaltung inzwischen nicht mehr nennen, es gehe Gründlichkeit vor Schnelligkeit, heißt es aus der Pressestelle.

Die ist wohl auch dringend erforderlich, denn – Panne Nr. 3 – der Einwand der Feuerwehr (Träger öffentlicher Belange) von 2018 blieb bis vor kurzem ohne Lösung: Sie befürchtet Probleme bei der Brandrettung. Denn das Gesetz erfordert seit einiger Zeit einen zweiten Rettungsweg, den die Feuerwehr bei den Altbauten in der Sonntagstraße nur mit Hilfe von Drehleitern herstellen kann. Und dabei stellt die Oberleitung der Straßenbahn ein Problem dar.

Heftige Kritik vom Fahrgastverband: Dilettantismus oder Sabotage?

Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB zeigt sich aber verärgert, dass die Lösung – eine wegklappbare Oberleitung – so lange auf sich warten ließ: "Am Ostkreuz sind entweder Dilettantismus oder Sabotage am Werk. Anders kann ich es mir einfach nicht mehr erklären. Wenn hier über viele Jahre Verfahren verschleppt werden, dann zeugt das nicht mehr von einem echten Engagement", sagte er im Gespräch mit rbb|24.

Anderswo geraten Pläne in Vergessenheit

Während die Verkehrsverwaltung am Ostkreuz ihre Tram-Pläne auch gegen den Widerstand der Anwohner durchsetzen will, zeigt sie sich anderswo nachlässig. Etwa bei der "Straßenbahn-Südtangente". Die soll einmal von Johannisthal nach Marienfelde führen, nach derzeitigem Stand irgendwann nach 2035. In Plänen des Berliner Senats tauchte sie aber schon 2003 auf. Sie kreuzt im Verlauf der Buckower Chaussee die momentan im Ausbau befindliche Bahnlinie. Für die Buckower Chaussee baut die Bahn dort eine Brücke, auf der aber kein Platz für eine Straßenbahn vorgesehen ist. Zuerst hatte die "Berliner Zeitung" berichtet. Doch das ist nicht die erste Panne dieser Art, die in diesem Zusammenhang bekannt wurde. In Treptow vergaß die Verkehrsverwaltung, die Wasserstraßenverwaltung des Bundes beim Neubau der Marggraffbrücke an eine geplante Tram-Strecke zu erinnern.

Berlins Senat war schon vorausschauender

Bei der Südtangente zwischen Rudow und Johannisthal hat der Senat dagegen anfangs Weitblick bewiesen: Vor etwa 20 Jahren sorgte der damalige Senat beim Neubau der Brücken über den Teltowkanal und die Autobahn nach Schönefeld dafür, dass für einen späteren Einbau einer Straßenbahn ausreichend Platz und Tragfähigkeit vorhanden sind. Warum lief es damals besser? Weil die Planung aus einer Hand kam: "Beim angesprochenen Projekt war der Vorhabenträger die damalige Verkehrsverwaltung – und zwar in sogenannter Auftragsverwaltung des Bundes, weil es sich ja um Bundesautobahnen handelt, die heute komplett auf der Bundesebene bzw. von der Autobahn GmbH des Bundes geplant werden", erklärt die Verkehrsverwaltung auf Anfrage. Der Unterschied zur Buckower Chaussee sei, dass es sich nicht um zwei unterschiedliche Verwaltungsebenen gehandelt habe, also Land Berlin und – durch die Bahn – der Bund.

Was die Straßenbahn an der Buckower Chaussee betrifft, sprechen Bahn und Verkehrsverwaltung seit dem Frühjahr miteinander, um doch noch eine Lösung zu finden, teilte die Bahn rbb|24 mit. Ein Ergebnis erwartet sie für Ende dieses Monats.

Hier könnten weitere Planungskonflikte lauern

Sendung: rbb24 Abendschau, 12.08.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Frank Drescher

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