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Audio: Inforadio | 01.11.2022 | Sabine Dahl im Gespräch mit Christian Mertens | Quelle: dpa/Paul Zinken

Aktivisten-Anwalt im Interview

Wann wird eine Straßenblockade zur Nötigung?

Wegen der Klimaproteste stand in Berlin ein Rüstwagen im Stau - der zur Rettung eines Unfallopfers benötigt wurde. Rechtsanwalt Mertens hat schon einige Aktivisten verteidigt und erklärt, ab wann der Tatbestand der Nötigung im Straßenverkehr greift.

Christian Mertens ins Rechtsanwalt in Köln. Er hat schon mehrere Menschen, die bei diesen Blockadeaktionen dabei waren, verteidigt - aus Überzeugung, wie er selbst sagt.

Zum Fall: In Berlin stehen zwei spezielle Rüstfahrzeuge zur Verfügung, einer davon in Siemensstadt. Nachdem am Montagvormittag eine Radfahrerin in Wilmersdorf unter einem Betonmischer eingeklemmt worden war, sollte dieser zum Einsatz kommen. Doch der Stau auf der A100 hielt ihn auf und er kam zu spät. Rettungskräfte konnten die Frau nur mit improvisierten Hilfsmitteln befreien. Noch ist unklar, ob die Radfahrerin wegen der durch die Klimaproteste verursachten Staus schwerer verletzt wurde.

rbb|24: Herr Mertens, die Berliner Innensenatorin Iris Spranger sprach von Nötigung im Straßenverkehr. Nehmen die Protestler Schaden an Leib und Leben in Kauf für ihre Aktionen?

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Christian Mertens: Der Jurist sagt ja immer gerne: Es kommt drauf an. Obwohl der Straftatbestand der Nötigung eigentlich nur ein kleines Delikt ist, ist er relativ kompliziert. Sie müssen irgendjemandem, ich formuliere es mal flapsig, sagen, dass er etwas Bestimmtes machen soll und Sie müssen dabei entweder Gewalt benutzen oder Sie müssen ihm mit einem empfindlichen Übel drohen. Ich persönlich sehe diesen Tatbestand der Gewalt im Straßenverkehr nicht erfüllt, wenn man sich vor ein Auto setzt.

Aber die Klimaprotestler nötigen die Autofahrer plötzlich zu bremsen und möglicherweise stundenlang dort rumzustehen.

Mertens: Ja, das ist grundsätzlich richtig. Allerdings müssen sie bestimmte Nötigungsmittel nutzen. Nämlich die Gewalt oder die Drohung mit einem empfindlichen Übel. Die Rechtsprechung sagt: Wenn ich mich vor das erste Auto setze, ist es keine Gewalt. Weil ich ja nur meinen Körper benutze, um mich davor hinzusetzen. Aber ich benutze dadurch das eine Auto, um das andere mit Gewalt zu bremsen. Also ich baue quasi ein Hindernis auf.

Das ist die sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung. Aber deswegen muss man sagen, der objektive Tatbestand der Nötigung ist deshalb in solchen Fällen in der Regel erfüllt. Ich halte das nicht zwingend für richtig, aber das ist so.

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Es gibt ja auch schon Urteile dieser Art. Und nun ist zum wiederholten Mal die Feuerwehr nicht zu ihrem Einsatz gekommen. Welchen Straftatbestand erfüllt das? Ich meine mich zu erinnern, die Feuerwehr bei der Arbeit zu behindern, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet...

Ich habe mir gestern mal ein bisschen die Orte rausgesucht, um die es da geht. Das ist sehr weit voneinander entfernt. Ich als Strafverteidiger würde mich sehr mit Ihnen über die Tatsachen streiten, ob das überhaupt alles so stimmt, wie es erzählt wird.

Die Feuerwehr wird es ja wissen, dass das Fahrzeug nicht rechtzeitig gekommen ist und sie deshalb die Frau nur unter großen Schwierigkeiten befreien konnten.

Ich kenne die Örtlichkeiten nicht und kann mich nicht darüber streiten. Ich weiß nur, dass die beiden Orte etliche Kilometer voneinander entfernt waren. Aber lassen wir mal dahingestellt, unterstellen wir mal, das sei so. Dann gibt es aber bei der Nötigung noch eine zusätzliche Klausel, die Verwerflichkeitsklausel. Das bedeutet, Sie müssen überlegen, wie stehen Zweck und Mittel zueinander.

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Die "Letzte Generation" sagt, dass sie sicherstellen möchte, dass niemand zu Schaden kommt. Deshalb würden sie immer schauen, dass Rettungsgassen gebildet werden können.

Hinzu kommt, das der Paragraph der Nötigung laut Gesetzgeber nur erfüllt ist, wenn ich mit dem Nötigungsmittel direkt auf jemanden einwirken kann. Also die Autofahrer an der Ampel zum Beispiel. Das heißt, wenn sie 15 Kilometer vor einem Verkehrsstau abfahren, weil jemand die Straße blockiert hat, dann werden sie nicht genötigt.

Wir waren aber eigentlich bei der Feuerwehr. Wir wissen jetzt noch nicht, wie es der Frau geht, und die Feuerwehr konnte auch noch nicht sagen, ob die Frau möglicherweise schwerer verletzt ist, weil es einfach länger gedauert hat und schwieriger war, sie unter diesem Betonmischer herauszubekommen. Wo fängt die gefährliche Körperverletzung an?

Die gefährliche Körperverletzung fängt da an, wo sie billigend in Kauf nimmt, dass sie unmittelbar auf eine andere Person einwirken, also jemand verletzt wird. Dass das hier kein wie auch immer geartetes vorsätzliches Körperverletzungsdelikt ist, das ist eindeutig.

Das Einzige, worüber man möglicherweise noch nachdenken müsste, wäre eine fahrlässige Körperverletzung. Wenn Sie also sagen, irgendjemand hat gegen eine Pflicht verstoßen und dadurch ist eine Person zu Schaden gekommen, dann wäre das der einzige Straftatbestand, den ich möglicherweise noch prüfen würde.

Ist das Ihre Liebe zur Juristerei, so ein bisschen Paragraphenverliebtheit, dass Sie finden, diese Leute brauchen einen Anwalt - oder warum machen Sie das?

Das hat nichts mit Paragraphenverliebtheit zu tun. Ich persönlich glaube, dass diese Leute ihre eigene Strafbarkeit riskieren. Denn sie werden ja bestraft und gehen trotzdem dafür auf die Straße und versuchen, sich durchzusetzen und uns allen zu zeigen in welcher Situation wir leben.

Ich persönlich finde, dass diese Leute einen Anwalt verdienen. Wenn sie keinen hätten, dann würde man sagen, ja, 'Klimaspinner, weg mit denen!'.

Doch ich glaube, unsere Rechtsordnung ist viel feiner, als man es sich manchmal so vorstellt. Da wird nicht entschieden nach "der eine stört den anderen und deswegen wird er bestraft", sondern da gibt es Strafbestandsmerkmale, die man abarbeiten muss. Da gibt es Wertungen, da gibt es Dinge wie die benannte Zweck-Mittel-Relation - das muss berücksichtigt werden, auch im Strafrecht. Deswegen mache ich das.

Dieser Text ist eine redigierte und leicht gekürzte Fassung des Interviews. Das gesamte Gespräch können Sie sich anhören, wenn Sie oben links auf das Abspielsymbol im Bild klicken.

Sendung: Inforadio, 01.11.2022, 07:05 Uhr

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