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Drogensüchtige an öffentlichen Orten

"Der Konsum von harten Drogen ist sichtbarer geworden"

In Berliner U-Bahnhöfen werden immer häufiger Drogensüchtige beim Konsum gesehen. Woran das liegt und wie sich die Szene in den letzten Jahren verändert hat, beschreiben Streetworker einer Berliner Suchthilfe-Stelle. Von Simon Wenzel

Es ist Montagmittag, überall auf dem U-Bahnhof Leinestraße stehen vereinzelte Gruppen von Menschen herum und warten auf die nächste Bahn. Auch auf den glatten, dunklen Holzbänken sind viele Plätze belegt. Allerdings nicht mit Fahrgästen. Die Menschen, die sich hier aufhalten, sind weggedreht vom Bahnsteig und wirken nervös beschäftigt. Auf einer Bank sitzt ein Mann leicht nach vorne gebeugt, ihm gegenüber eine Frau, halb eingehüllt in eine Decke. Zwischen den beiden liegen Tütchen mit Pulver, gerollte Joints und eine Alufolie, die in der Mitte schon angekokelt aussieht. Sie sind gerade dabei, ihren Drogenkonsum vorzubereiten.

Um solche Szenen mitten am Tag zu beobachten, muss man in Berlin nicht lange suchen. Das Aufeinandertreffen zweier Parallelwelten findet jetzt im Winter vor allem in den U-Bahnhöfen statt, besonders in Neukölln und Kreuzberg auf den Linien der U8 und U7 beobachten immer häufiger Fahrgäste solche Bilder.

Malte Dau (rechts) und sein Neuköllner Streetworker Team. Aus dem Rucksack verteilen sie saubere Konsumutensilien und Info-Flyer. | Quelle: rbb/Simon Wenzel

Streetworker beobachten gestiegenen Crack-Konsum

"Der Konsum von harten Drogen ist auf jeden Fall sichtbarer geworden", sagt Malte Dau von der Suchthilfe-Organisation "Fixpunkt". Dau ist schon seit 20 Jahren als Streetworker in Berlin tätig. Er leitet das kleine Neuköllner Team von Fixpunkt. Unter der Woche sind sie meist täglich im Einsatz in ihrem Bezirk, gehen bekannte Ecken ab und auf Konsumierende zu. Immer dabei haben sie einen Rucksack mit sauberen Utensilien zum Konsum - Spritzennadeln zum Beispiel oder Folien und Löffel zum Kochen und Inhalieren von Drogen.

Der Bezirk Neukölln teilt auf Anfrage mit, man sei "seit Jahren tätig, um den in den letzten Jahren gestiegenen Konsum im öffentlichen Raum mit all seinen negativen Folgen und Begleiterscheinungen zu verringern". Das Streetworker-Team von Malte Dau gehört zur Strategie des Bezirks, denn die Verwaltung arbeitet bereits seit 2017 mit Fixpunkt zusammen. Vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg heißt es auf Anfrage, es sei bekannt, dass auch U-Bahnhöfe als Konsumorte genutzt würden, auch aufgrund von Anwohner-Beschwerden. An sich wäre das aber kein neues Phänomen. Friedrichshain-Kreuzberg setzt im Umgang mit öffentlichem Konsum nach eigenen Angaben auf Netzwerkrunden, Monitoring der Konsumrückstände und Bürgerdialoge.

Die Streetworker von Fixpunkt merken nicht nur, dass der Konsum im öffentlichen Raum häufiger wird. Sie können auch erkennen, was derzeit besonders häufig auf Berlins Straßen und U-Bahnhöfen konsumiert wird - anhand der benötigten Utensilien, die die Konsumenten von ihnen nehmen. "Der typische Heroin-Konsument, wie wir ihn vielleicht noch aus den 80er Jahren kennen, den gibt es nicht mehr", sagt Malte Dau. Heutzutage nehmen Süchtige meist mehrere Drogen parallel – polytoxes Verhalten heißt das. Ein Stoff ist dabei besonders oft vertreten: Crack. "In den letzten zwei, drei Jahren nehmen wir wahr, dass der Konsum von Crack steigt", sagt Dau.

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Alles muss "schnell, schnell, schnell" gehen bei Crack-Abhängigen

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg bestätigt auf Anfrage, dass der Konsum von Crack in Berlin und im Bezirk angestiegen sei. In diesem Jahr sei in den Konsumräumen in Friedrichshain-Kreuzberg bereits mehr Crack als Heroin und Kokain konsumiert worden, teilt das Bezirksamt mit. In Neukölln ist weiterhin Heroin die meist konsumierte Droge, mit größerem Abstand (63% des gesamten Konsums in den Konsumräumen), gefolgt von Crack. Hier sei in diesem Jahr zwar ein Anstieg von Crack-Konsum im Vergleich zum Vorjahr zu beobachten, die Zahlen würden damit aber wieder auf dem gleichen Niveau liegen, wie schon 2020 und 2019. Als Ursache für den kurzzeitig niedrigeren Konsum von Crack wird vermutet, dass der Konsumraum 2021 nicht so stark frequentiert wurde wie in diesen und den Vorjahren.

Crack ist eine Form von Kokain, gemischt und aufgebacken mit Natron wird es rauchbar. So wirkt das Aufputschmittel innerhalb von Sekunden. Crack ist eine der am stärksten süchtig machenden Drogen, es führt schnell zu einer starken psychischen Abhängigkeit. "Crack-Konsum macht etwas anderes mit den Menschen", erklärt Dau. Der Rausch soll kurz und heftig sein, Süchtige wollen oder müssen ihn deshalb öfter am Tag wiederholen. "Die Gier nach dem Crack wird immer größer, die Halbwertzeit des Gefühls, was man davon kriegt, ist extrem gering und dann ist es nur ein Konsumieren, Geldmachen, Konsumieren, Geldmachen …", sagt Malte Dau. Alles müsse "schnell, schnell, schnell" gehen. Das merken er und seine Kollegen auch in ihrer Arbeit als Streetworker.

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Niemand konsumiert gerne im U-Bahnhof vor vielen Leuten

Damit, dass der Konsum im öffentlichen Raum steigt, hat Crack aber wohl nicht vordergründig zu tun. Das liege eher an einem stadtweiten Problem, sagen die Streetworker: "Es ist immer schwerer, Rückzugsräume zu finden", sagt ein Kollege von Malte Dau, Marco Hampel. Das habe in erster Linie mit fehlendem Wohnraum zu tun, erklärt er: "Es gibt zu wenige Notübernachtungen und zu wenige betreute Angebote. Es sind immer mehr Menschen in prekären Verhältnissen unterwegs."

Niemand konsumiere gerne im U-Bahnhof vor vielen Menschen seine Drogen, sagen die Streetworker. Ohne Freiräume bliebe aber oft kein anderer Ausweg. "Am Anfang wirst du sicher noch Scham haben, aber irgendwann ist es dir wahrscheinlich auch egal, ob dich einer beim Konsumieren sieht", sagt Malte Dau.

Er ist auch Vermittler, wenn es zu Zusammenstößen der beiden Parallelwelten kommt. Sogenannte Raumkonfliktmeldungen bekommen Malte Dau und sein Team vom Bezirk oder direkt von besorgten Bürgern, wenn Personen in Parks, U-Bahnhöfen oder in Hauseingängen Drogen konsumieren. "Wir gehen dann hin und reden mit den Leuten, gehen an die jeweiligen Stellen und schauen uns die Begebenheiten vor Ort an", sagt Dau. Marco Hampel nennt diesen Teil ihres Jobs "Öffentlichkeitsarbeit". Sie sprechen mit Anwohnern und Geschäftstreibenden. "Wir werben ein bisschen für Verständnis, aber versuchen gleichzeitig die Ängste der Menschen ernst zu nehmen", sagt er. Es gibt auch eine Broschüre [externer Link, PDF: fixpunkt.org] mit Informationen und Verhaltensratschlägen für Anwohner. Zur Aufgabe von Fixpunkt gehört es auch, gebrauchte Konsumutensilien an öffentlichen Orten, wie dreckige Spritzen, zu entsorgen.

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Vertreiben bringt nichts - zumindest langfristig

Einfach vertreiben kann man die Drogenabhängigen ohnehin nicht. Theoretisch könnte man das natürlich schon, es ergäbe aber wenig Sinn, meinen die Streetworker. Denn davon würden sie ja nicht aufhören zu konsumieren: Werden sie an einem Ort vertrieben, wechseln sie an einen anderen. Vor etwa zehn Jahren sei das schon mal versucht worden, sagt Malte Dau. Als am Kottbusser Tor rigoros gegen Drogenabhängige vorgegangen wurde, zogen sie zum Hermannplatz um. "Da waren dann auf einmal 30, 40 oder sogar 50 Leute mittem am Tag auf dem großen Platz. Dann hat der Bezirk den Wochenmarkt zu einem täglichen Markt gemacht, um eine soziale Kontrolle herzustellen und dann sind sie wieder zurück zum Kottbusser Tor gegangen", erzählt er und sagt: "Du musst an dem Ort, an dem sich sich die Leute aufhalten, ein Angebot entwickeln."

Auch die BVG reagiert deshalb in der Regel nicht konfrontativ auf den Konsum in den eigenen Bahnhöfen. Das Problem sei zwar bekannt, und einige U-Bahnhöfe entlang der U7 und U8 stünden bei den Streifen des Unternehmens "besonders im Blick", teilt die BVG auf Anfrage mit. Allerdings gingen die Sicherheitsmitarbeiter dabei "mit Augenmaß und Fingerspitzengefühl" vor. "Gerade in der Kälteperiode sind wir auch gehalten, Menschen, die arm sind oder am Rande der Gesellschaft stehen, nicht ohne konkreten Anlass in die Kälte zu schicken", schreibt das Unternehmen.

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Drogenkonsum kennt keine Geschäftszeiten

Repressive Strafen und harte Durchgriffsszenarien scheinen nach den Berliner Erfahrungen keine nachhaltige Lösung zu sein. In der Drogenpolitik in Deutschland und Europa hat deshalb ein Umdenken stattgefunden. Akzeptierende Drogenhilfe heißt das Stichwort - so heißt das, was der Fixpunkt praktiziert. Die Menschen mit ihrer Sucht akzeptieren und ihnen erstmal bedingungslos helfen, wo es geht. Infektionskrankheiten vermeiden, Kriminalität und Obdachlosigkeit bekämpfen und irgendwann Perspektiven aus der Sucht aufzeigen, aber nur wenn jemand es auch selbst will. "Wir agieren begleitend, um darüber hinaus Perspektiven entwickeln zu können, wie sich die Lebenssituation verbessern kann. Das kann ja auch ein geregelterer und achtsamerer Konsum sein", sagt Marco Hampel.

Die Streetworker fordern vor allem eines: mehr Schutzräume für Drogenkonsumierende. Wenn sie mit ihrem Rucksack auf Tour durch den Bezirk gehen, dann haben sie neben sauberen Konsumutensilien auch Flyer dabei. Darauf sind Adressen für Konsumräume und Drogenberatungsstellen zu finden. Fünf Drogenkonsumräume gibt es derzeit in Berlin - zwei am Kotti, einen in der Karl-Marx-Straße, im Wedding und in Moabit. Dazu drei mobile Stationen, die derzeit die U-Bahnhöfe Leinestraße, Eisenacher Straße und Wilmersdorfer Straße anfahren.

Alleine in die Neuköllner Konsumstelle des Fixpunkts in der Karl-Marx-Straße kommen teilweise um die 300 Besucher am Tag, viele, um ihre Drogen zu nehmen. Das sind Spritzen, Pfeifen oder Lines, die nicht auf einer U-Bahn-Bank gestochen, geraucht und gezogen werden. Dieses Angebot gibt es aber nur tagsüber. Um 20.30 Uhr schließt die letzte Einrichtung. Zu früh, denn Drogenkonsum kennt keine Geschäftszeiten. Immerhin: Der Bezirk Neukölln teilt auf Anfrage mit, für das kommende Jahr sei eine finanzielle Aufstockung und Ausweitung der Straßensozialarbeit aus Bezirksmitteln vorgesehen.

Beitrag von Simon Wenzel

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