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Audio: Radioeins | 16.01.2022 | Kathrin Wosch | Quelle: dpa/Christian Gohdes

Interview | Therapeutin für Ghosting-Opfer

"Die meisten fühlen sich, als seien sie wie Müll entsorgt worden"

Ghosting ist ein bekanntes Phänomen: Ein geliebter Mensch bricht plötzlich und ohne Erklärung den Kontakt ab - und dann? Eine Sexual- und Paartherapeutin erklärt, wie man damit umgehen kann und wann psychologische Hilfe nötig ist.

Ghosting ist durch die gestiegene Popularität des Online-Datings vom Phänomen zum bekannten und viel verbreiteten Problem geworden. Es tritt aber längst nicht nur dort auf und muss auch nicht auf die romantische Liebe begrenzt sein. Auch in Freundschaften oder im Berufsleben kann es Ghosting geben. Die Berliner Psychologin Anja Wermann bietet in ihrer Praxis eine "Ghosting Ambulanz" an: Gezielte Betreuung für Menschen, die Opfer geworden sind.

rbb: Ghosting ist längst ein ernstzunehmendes Problem. Selbst Krankenkassen haben inzwischen auf ihren Homepages Tipps, wie Menschen damit umgehen sollten, wenn sie geghostet werden. Kann man sagen, das Phänomen ist im Alltag angekommen?

Anja Wermann: Auch mein Eindruck ist, dass es zunimmt. Das betrifft gar nicht mehr ausschließlich das Onlinedating, sondern den gesamten Beziehungsbereich. Es gibt harte Fälle, in denen jemand nach einer langjährigen, wirklich festen Beziehung mit Zukunftsplänen plötzlich wirklich im Nichts verschwindet.

Sie haben die "Ghosting-Ambulanz" gegründet, betreuen und beraten also Menschen, die Opfer von Ghosting geworden sind. Haben die meisten Betroffenen mit denselben Fragen und Problemen zu tun?

Es gibt tatsächlich Parallelen. Viele, denen das passiert, haben erst einmal die gleichen Fragestellungen oder Gedanken im Kopf. Die allermeisten fühlen sich, als seien sie wie Müll entsorgt worden. Müll, den man nicht mehr will, der weggekippt wird und um den man sich nicht mehr kümmern muss. Eines der größten Probleme sind die vielen unbeantworteten Fragen: Ghosting kommt meist aus dem Nichts, die Betroffenen haben dann aber niemanden mehr, an den sie die Fragen richten können. Man läuft da in jeglicher Hinsicht ins Leere.

Was natürlich dazu führen kann, dass man sich automatisch fragt, welchen Anteil man selbst daran hat, oder?

Genau, das ist auch einer der wichtigsten Punkte. Betroffene müssen sich vor allem klarmachen, dass das Ghosting etwas mit dem Anderen zu tun hat und nicht mit einem selbst. Es ist schwer das zu verstehen, aber es hilft, wenn man sich das immer wieder sagt. Es sagt nur etwas über denjenigen aus, der geghostet hat.

Und wie gehen Sie dann in der Ghosting-Ambulanz genau vor?

Zunächst frage ich ab, was eigentlich genau passiert ist. Davon ausgehend können wir gemeinsam schauen, wo der Hauptschmerzpunkt der Betroffenen ist. An der Stelle lassen sich dann Unterschiede ausmachen. Für manche ist etwa die Vorstellung besonders schmerzhaft, dass der ehemalige Partner ein unbekümmertes, fröhliches Leben weiterführt, während man selbst traurig zurückgelassen wurde. Andere Betroffene hingegen entwickeln eine große Angst vor künftigen Beziehungen und davor, dass das noch einmal passiert. Oder es entsteht die Sorge, dass man sich nicht mehr verlassen kann auf andere Menschen - weil die ja jederzeit abtauchen könnten. Je nachdem, was bei den Betroffenen der Hauptpunkt ist, arbeiten wir dann gemeinsam weiter.

Und wenn man es erst einmal ohne eine Therapie versuchen will: Gibt es so etwas wie Soforthilfe für Menschen, die akut davon betroffen sind?

Man muss sich klarmachen, dass Ghosting in erster Linie wirklich etwas über den anderen aussagt. Da sitzt offenbar jemand, der sehr konfliktscheu ist oder sich bequem aus einem Problem herausgezogen hat. Das hat nichts mit einem selbst zu tun. Ganz viele Menschen verknüpfen das mit ihrem eigenen Wert und sagen sich möglicherweise selbst: "Ich bin es nicht wert, dass jemand mit mir ein vernünftiges Abschiedsgespräch führt." Das sollte man also nicht auf sich selbst beziehen.

Der zweite Tipp wäre: Reden Sie mit anderen Menschen und schlagen Sie sich nicht alleine mit dem Schmerz herum. Niemand ist alleine mit der Erfahrung. Es gibt genügend andere Menschen, die auch schon Erfahrungen gemacht haben. Und dann hilft wie bei Liebeskummer auch beim Ghosting Ablenkung. Das heißt jetzt nicht, dass man sich in Alkohol und Drogen stürzen sollte, aber mit guten Freunden etwas zu unternehmen, kann ja auch helfen. Wenn man dann nach Wochen merkt, dass einen die Gedanken nicht loslassen, sollte man sich vielleicht wirklich professionelle Hilfe suchen. Manches erledigt die Zeit. Wo die Zeit nicht hilft, sollte und muss man sich nicht fünf Jahre mit seinem Kummer alleine herumschlagen. Dann kann man auch zu einem Psychologen gehen.

Kommen zu Ihnen denn eigentlich auch Menschen, die selbst andere ghosten?

Leider nicht. Das fände ich sehr spannend. In meine Beratung kommen aber tatsächlich bisher nur die, die von jemandem geghostet worden sind. Ich habe allerdings Menschen in der Beratung, die an Bindungsangst leiden. Manchmal führt das auch dazu, dass die Person ghostet, wenn ihr die Menschen zu nahe kommen. Da kann man gemeinsam an der Bindungsangst arbeiten. Dass jetzt aber wirklich jemand in meine Beratung kommt und sagt, "Ich bin ein Ghoster! Bitte helfen Sie mir!", das habe ich bislang noch nicht erlebt.

 

 

Das Gespräch führte Kathrin Wosch für radioeins.

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